[Kapitalmarkt-News vom 19. Mai 2022]

Fazit: Viele Notenbanken geben Gas; und auch die EZB muss folgen. Doch selbst ein Einlagenzins von 2 % Anfang nächsten Jahres würde alles andere als eine straffe Geldpolitik darstellen. Auf der anderen Seite ist die bevorstehende Rezession allerdings auch kein Grund für eine baldige Wende hin zu einer wieder expansiveren Zinspolitik.

Denn der Abschwung ist absolut notwendig, um die Inflation in den Griff zu bekommen – gerade, weil die realen EZB-Zinsen auch im Jahr 2023 negativ sein sollten. Entscheidend für die Effektivität der EZB wird sein, ob die Fiskalpolitik die Geldpolitik unterstützt oder unterläuft. Stemmt sich die Fiskalpolitik gegen die Rezession, oder ist diese nicht ausreichend tief, wird ein Einlagenzins von 2 % sicherlich nicht ausreichen, um den Inflationsdruck entscheidend zu beeinflussen. So ist für das lange Ende der Zinskurve noch viel Luft nach oben. 10-jährige Bundrenditen von oder über 2 % sollten kurzfristig nicht überraschen.

Wie effektiv ist die Geldpolitik?

Die Effektivität der Notenbankpolitik hängt maßgeblich von der Fiskalpolitik ab. Reagiert die Fiskalpolitik mit einer Konsolidierungspolitik auf Zinserhöhungen und senkt ihre Ausgaben, ist der Einfluss der restriktiven Zinspolitik auf die Realwirtschaft um Einiges größer, als wenn der Staat nicht reagieren würde. Schließlich hat die Ausgabensenkung einen direkten negativen Effekt auf die Realwirtschaft, da sie die Nachfrage dämpft. Wie hoch die Zinsen in der Euro-Zone steigen müssen, hängt also auch von der Reaktion der Fiskalpolitik ab. Hält sich der Staat trotz sich eintrübender Konjunktur und immenser Belastungen für die Konsumenten zurück, werden Zinsanhebungen der EZB weniger stark ausfallen müssen, als wenn die Fiskalpolitik mit höheren Ausgaben auf die Rezession reagiert, etwa durch Transferzahlungen und Entlastungen für Haushalte. Denn damit neutralisiert sie die Bemühungen der Notenbank, die Nachfrage zu dämpfen.

Nun wird häufig argumentiert, die aktuelle Inflation würde durch Angebotsschocks wie Rohstoffpreisanstiege verursacht, und die Geldpolitik habe somit wenig Einfluss. Dies ist nicht richtig, denn derartige Angebotsschocks verursachen nur eine einmalige Erhöhung des Preisniveaus. Ist die Nachfrage jedoch so robust, dass Unternehmen den Kostendruck weitergeben können, dann entsteht die Gefahr einer Lohn-Preis-Spirale und damit breiter Inflationsdruck. Entscheidend ist deshalb immer auch die Nachfrage. Können Unternehmen die Preise nicht überwälzen, ergibt sich aus Angebotsschocks kein Inflationsrisiko, sondern eher ein Rezessionsrisiko. Angesichts der hohen Realeinkommensverluste der europäischen Haushalte und der Dauer der Inflation ist von zunehmendem Lohndruck auszugehen. Euro-Zone und USA benötigen deshalb eine spürbare konjunkturelle Abkühlung, um den Inflationsdruck zu dämpfen bzw. ihn auf Konsumenten, Arbeitnehmer und Arbeitgeber zu überwälzen. Wenn die Rohstoffpreise sinken sollten, tragen die Schwellenländer die Kosten für eine niedrigere Inflation. Lassen die Rohstoffpreise hingegen nicht nach, bleiben nur Margendruck und Lohnzurückhaltung, um den Inflationsdruck zu dämpfen. Langfristig ist es Produktivitätswachstum, das zur Ausweitung des Angebots führt. Doch sollten hierfür Zinsen gesenkt werden, um das Wachstum zu stützen und den Raum für Produktivität zu schaffen? Grundsätzlich ist die Antwort hierzu ja. Doch wenn die Angebotsseite wenig auf Zinsen reagiert, wird eigentlich nur die Nachfrage stimuliert, was sich in höheren und nicht niedrigeren Preisen spiegelt. Zwar ist eine hohe Nachfrage sicherlich notwendig, damit das Angebot ausgeweitet werden kann. Dies braucht jedoch Zeit, sodass eine Zinssenkung erst einmal zu Preisdruck führt – vor allem bei geringen Überkapazitäten. Kommt es dann zu einer Lohn-Preis-Spirale, ergibt sich keine Angebotsausweitung, stattdessen steigt die Inflation.

Auch wenn die langfristige Lösung für eine geringere Inflation sicherlich die Ausweitung des Angebots durch Produktivitätssteigerungen und mehr Ressourcen ist, gibt es kurzfristig nur einen Ausweg: Die Nachfrage muss gesenkt werden, was mit Hilfe von steigenden Zinsen und einer restriktiven Fiskalpolitik sichergestellt werden kann und muss. Eine geringere Nachfrage wird auch den Bedarf nach Arbeitskräften dämpfen, was sich wiederum in Lohnzurückhaltung bzw. steigender Arbeitslosenquote niederschlägt. Angesichts fehlender Arbeitskräfte bzw. des Fachkräftemangels mag dies jedoch weniger effektiv sein. Bleibt also nur Margendruck. Es geht aktuell darum, die Fähigkeit der Unternehmen, Kosten weiterzugeben bzw. Margen sogar auszuweiten, zu stoppen, um so auch den Druck auf die Produktivität zu erhöhen. Ohne Zweifel ist eine Anpassung des Konsums und damit des Lebensstandards aktuell notwendig. Je nachdem, wie schnell die Angebotsseite durch Produktivität und Kapazitätsausweitungen reagieren wird, muss dies jedoch nicht von langer Dauer sein. Kurzfristig würde sicherlich eine Euro-Aufwertung helfen. Sie würde den Inflationsdruck durch hohe Importpreise spürbar senken und so die Kaufkraft der Konsumenten stabilisieren. Doch auch dafür ist aktuell eine straffere Geldpolitik in der Euro-Zone notwendig.

Wo gehen die Zinsen hin?

Wie hoch werden die Zinsen in der Euro-Zone steigen? Bis jetzt hat die EZB immer wieder betont, dass keine nennenswerte geldpolitische Straffung erforderlich ist. Folgerichtig hat sich die europäische Notenbank trotz der hohen Inflation und ständiger Anpassungen ihrer Prognosen bis dato kaum bewegt. Die aktuelle Inflation und die daraus folgenden realen Kaufkraftverluste deuten zusammen mit der unsicheren Energieversorgung tatsächlich auf eine spürbare Abkühlung der Nachfrage auch ohne geldpolitische Straffung hin. Auch signalisieren die hohen Schuldenquoten einen bedeutenden Einfluss der Zinsen – zumindest was den Privatsektor angeht. Deshalb müssen die Zinsen nicht kräftig steigen, bzw. es reicht die aktuelle Eintrübung, um den Inflationsdruck zu brechen. Dies ist zumindest die Einschätzungen der Märkte für Bundrenditen, die bei ca. 1,4 % liegen. Dieses Niveau liegt selbst unter dem mittelfristigen Inflationsziel der EZB von 2 %. Und auch die aktuellen Erwartungen über den Verlauf des EZB-Einlagenzinses spiegeln die Annahme, dass es keiner spürbaren Straffung im Euro-Raum bedarf. Alle Prognosen deuten weiterhin auf negative reale Zinsen hin.

Wird jedoch eine effektive geldpolitische Straffung benötigt, um die Wirtschaft ausreichend abzukühlen, werden spürbare Zinsanhebungen notwendig sein. Die Fed hatte es in den 70er Jahren versäumt, ihre realen Zinsen ausreichend anzuheben. In Folge stieg die Inflationsrate immer weiter an. Erst als die reale Fed Funds Rate Anfang der 80er Jahre für eine längere Zeit spürbar anstieg, war die Inflationsdynamik nachhaltig gebrochen. Benötigt also die Euro-Zone eine effektive geldpolitische Straffung, um den Inflationsdruck in den Griff zu bekommen, wäre selbst ein Einlagenzins von 3 oder 4 % nicht sonderlich hoch – vor allem wenn die Fiskalpolitik diese Straffung nicht unterstützen würde. Und je länger die Inflationsrate auf einem erhöhten Niveau verharrt, desto schwieriger wird es, sie nachhaltig und ohne solch eine Straffung zu senken.

Einschätzung: Die Wahrscheinlichkeit steigt, dass die EZB die Zinsen im September, Oktober und Dezember jeweils um mindestens 50 bp anheben muss. Und auch Anfang 2023 ist mit weiteren Zinsanhebungen zu rechnen, sodass der Einlagenzins relativ schnell auf 2 % oder darüber ansteigen könnte. Die erwartete Rezession wird aber die Notwendigkeit von spürbar steigenden realen Zinsen dämpfen. Allerdings bleibt der Lohndruck im Schatten einer erhöhten Inflation auch im Jahr 2023 hoch. Deshalb gibt es auch keinen Grund, warum die EZB infolge der bevorstehenden Rezession die Zinsen wieder schnell senken sollte. Während für das lange Ende der Zinskurve somit noch Luft nach oben besteht, geht die Tendenz beim DAX eher nach unten, zumindest kurzfristig (siehe IKB-Kapitalmarkt-News 11. August 2022). Diese Einschätzung wird dadurch bekräftigt, dass die europäische Fiskalpolitik wohl eher versuchen wird, die Konjunktur zu unterstützen – und nicht die Geldpolitik. 

 

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