[Consumer & Retail-Information vom 30. Juni 2020] Das von der Coronakrise stark beeinflusste Einkaufsverhalten der letzten Monate hat verdeutlicht: Die Konsummuster sind auch in besonderen Situationen mit starken Absatzzuwächsen bei frischem Obst auf der einen Seite sowie bei Suppen/Fertiggerichten in Dosen und Nudeln auf der anderen Seite komplex und vielschichtig. Zudem sind wesentliche Trends erstaunlich stabil und der Weg vor Corona setzt sich in Summe fort.
Die in der Grafik visualisierten Trends in der Nahrungsmittel- und Getränkeindustrie setzen den Rahmen für die Entwicklung des Konsumverhaltens in den kommenden Jahren und dienen damit als Orientierung für die strategische Ausrichtung der Geschäftsmodelle. Ihre Bedeutung unterscheidet sich je nach Segment zum Teil erheblich, andererseits stehen die Trends in Wechselwirkung zueinander und verstärken sich gegenseitig.
Neben den dringlichen Themen im Tagesgeschäft, die aufgrund der Coronakrise aktuell im Fokus stehen, beschäftigt sich die Branche damit, zukunftsfähige Produkt- und Wertschöpfungskonzepte zu entwickeln. Es geht hierbei nicht darum sich auf möglichst vielen Spielwiesen zu versuchen oder dem momentan populärsten Trend zu folgen. Dies wäre aus Sicht der IKB ausgesprochen kontraproduktiv. Vielmehr geht es um gezielte und durchdachte Schritte, die in der Regel Investitionen und Änderungen in der Endverbraucher- und Markenkommunikation mit sich bringen.
Bezogen auf die Ernährungstrends sind es aus IKB-Sicht drei Themen, die mittelfristig eine dominierende Bedeutung behalten werden: 1. Gesundheit/Wellness; 2. Snacking; 3. Convenience. Hinzu kommt der für die Konsumenten dominierende Aspekt der Nachhaltigkeit als übergeordneter Anspruch an Produkte, Produktion und Distribution.
Functional Food mit erheblichem Wachstums- und Ertragspotenzial
Ein ausgesprochen interessanter Produkttrend sind funktionelle Lebensmittel, sprich Functional Food im weiteren Sinne. Hiermit explizit nicht gemeint sind Nahrungsergänzungsmittel wie Vitamin- oder Mineralstoffpräparate. Auch eine enge Auslegung des Begriffs als „nachweislich gesundheitsfördernd“ ist für die Betrachtung des Marktpotenzials und die sich ändernden Ansprüche der Konsumenten an die Ernährung nicht zwingend zielführend.
Vielmehr setzen wir dort an, wo Lebensmittel über die reine Ernährungsfunktion hinaus veredelt werden, um physiologische und mentale Parameter gezielt positiv zu beeinflussen. Hierzu gehören vitalisierende Aspekte ebenso wie die Verbesserung des Wohlbefindens und die Unterstützung der persönlichen Lebenseinstellung, die sich z. B. in einem sportlichen Lebensstil zeigen kann oder im kompletten bzw. weitgehenden Verzicht auf tierische Produkte.
Fokussiert man die Betrachtung auf wesentliche Produkttrends jenseits von Nischen und kombiniert diese mit den genannten Konsumtrends, geht die IKB bei entsprechenden Produkten allein im Inland von mittelfristigen Wachstumsprognosen in einer Größenordnung von + 5 % bis + 15 % p. a. und teilweise höher aus.
- Protein – Proteinreiche Produkte sind gefragt, insbesondere als Alternative zu Fleischprodukten. Ob der Eiweißbedarf für die Mehrzahl der Verbraucher nicht sowieso über die konventionelle Ernährung gedeckt werden kann, spielt dabei keine entscheidende Rolle. Während klassische Ernährungsmuster verloren gehen, z. B. beim Frühstücken, richtet sich das Augenmerk auf ToGo- und Snacking-Produkte, die „gute“ Ernährungsbausteine wie Protein aufweisen. Dies ist etwa der Fall bei Molkereiprodukten und Milchalternativen, Smoothies/Drinks, Riegeln und bestimmten Backwaren. Dieses Segment ist deshalb attraktiv, weil sich durch breite Modifikationsmöglichkeiten mit geringem Mehraufwand Produkte herstellen lassen, die im Vergleich zu Standardprodukten deutlich höhere Endverbraucherpreise erzielen können.
- Ballaststoffe – kein Ballast, sondern Mehrwert. Vollkornvarianten bei Brot- und Backwaren sind die gebräuchlichste und verbreitetste Form im Anwendungsspektrum, aber auch Anreicherungen mit pflanzlichen Ballaststoffen beispielsweise in Molkereiprodukten/Milchalternativen, Fertiggerichten, Getränken und Süßwaren fragen Konsumenten zunehmend als wertgebende Komponente nach. Dies eröffnet Optionen, Produkten mit stark genussbasierter Positionierung eine Gesundheitskomponente zu geben und Produkttexturen insgesamt neu zu gestalten.
- „Plant based“ – der Begriff spannt den Bogen von den allgemein bekannten gesundheitlichen Komponenten pflanzlicher Nahrungsmittel über Nachhaltigkeit, Klimawandel bis hin zu Fleischalternativen – alles Themen, welche die Konsum- und Kaufentscheidungen zunehmend beeinflussen. Darüber hinaus bieten die „Botanicals“ zahlreiche Möglichkeiten für neue Geschmackserlebnisse, die der Verbraucher weiterhin sucht.
Zusatznutzen für Konsumenten und Hersteller führen zu einer Win-Win-Konstellation
Die Breite der Ernährungstrends bietet vielfältige Ansätze für die Entwicklung zukunftsfähiger Produkt- sowie Wertschöpfungskonzepte und Differenzierungspotenzial. Viele Unternehmen sind bereits erfolgreich unterwegs, entweder über Anpassungen bei etablierten Produktlinien oder durch Beteiligungen an Startups in neuen Geschäftsfeldern.
Insbesondere das Segment Functional Food bzw. die Umsetzung von Elementen hieraus bieten Wachstums- und attraktive Wertschöpfungspotenziale. Der Zusatznutzen für Konsumenten und Hersteller führt dabei zu einer Win-Win-Konstellation.
Johannes Sausen ist Direktor und Leiter des Sektorvertriebs der IKB sowie Head of Consumer, Retail, Logistics & Health. Sein persönlicher Branchenschwerpunkt liegt in den Bereichen Consumer Food, ausgewählten Consumer Nonfood-Segmenten sowie im Einzelhandel. Er ist involviert in Finanzierungs- und Corporate Finance-Transaktionen der Bank in den genannten Branchen. Nach dem Studium der Volkswirtschaftslehre an der Universität zu Köln hat er seine ersten fünf Berufsjahre bei einer Unternehmensberatung absolviert, bevor er 1999 zur IKB stieß.
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