Jüngste Korrektur nicht überraschend
[IKB-Kapitalmarkt-News vom 17. Januar 2018] Die gute Konjunktur lässt schon länger an der Sinnhaftigkeit niedriger Renditen am langen Ende der US-amerikanischen, europäischen und deutschen Zinskurve zweifeln. Während die Akteure an den Aktienmärkten von der Nachhaltigkeit der wirtschaftlichen Belebung überzeugt sind, spiegeln langlaufende Renditen die Erwartung einer mittelfristigen Wachstums-schwäche. Wie kann es sonst möglich sein, dass 10-jährige Renditen im Euro-Raum bei einem Niveau von deutlich unter 1 % verharren. Auf Grundlage der aktuellen Wachstums-, Inflations- und Zinsprognosen erwartet die IKB schon länger eine Korrektur langlaufender Renditen und sieht weiterhin eher ein Änderungsrisiko bei den Zins-, als bei den Aktienmärkten.
Nun kam jüngst etwas Bewegung in die Zinsmärkte. In den USA wurden die Inflationsprognosen für 2018 in Folge überraschend hoher Anstiege der Teuerungsrate im November und Dezember von den meisten Marktanalysten deutlich nach oben angehoben. Hinzu kamen Gerüchte, der chinesische Appetit auf US-Staatsanleihen könne nachlassen. Was immer der Grund war, aus fundamentaler Sicht ist eine Korrektur schon lange notwendig gewesen. In der Euro-Zone hat das EZB-Protokoll für Überraschungen gesorgt und eine Korrektur langläufiger Renditen nach oben forciert. Auch dies ist angesichts der wirtschaftlichen Erholung und der sich abzeichnenden Wende in der Geldpolitik überfällig. Auf Grundlage der aktuellen Konjunktureinschätzung sowie des Überraschungspotenzials einer anziehenden Inflation kann von weiteren Anstiegen der Langfristzinsen ausgegangen werden – vor allem, wenn die EZB das Aufkaufprogramm 2018 vollständig beenden und somit eine gewisse Entschlossenheit zeigen wird.
Die Fed konnte ihre Zinsen 2017 drei Mal anheben, ohne eine weitere Straffung durch die Renditen- und Devisenmärkte zu forcieren. Infolgedessen hat sich die US-Zinskurve 2017 deutlich verflacht, da das lange Ende nicht an einen nachhaltigen Anstieg des Zinsniveaus glaubte. Für die EZB geht es aktuell in die andere Richtung. Die Renditemärkte korrigieren und der Euro-Wechselkurs wertet auf. Diese Effekte sind für den Anfang einer geldpolitischen Wende nicht überraschend, wenn Überraschungspotenzial vorhanden ist. Sie bedeuten aber zudem, dass die Geldpolitik in der Euro-Zone nicht nur durch das reduzierte Aufkaufvolumen straffer wird. Vor diesem Hintergrund haben EZB-Ratsmitglieder nach der Zinskorrektur darauf hingewiesen, dass noch auf Sicht mit keiner Zinsanhebung zu rechnen ist. Die EZB befindet sich am Anfang ihrer geldpolitischen Wende und hat die schwierige Aufgabe, diese einzuleiten, ohne dass sich das lange Ende der Zinskurve „verselbständigt“ und die Märkte eine zu ambitionierte Zinswende erwarten. Die letzten Tage haben gezeigt, wie schwierig sich ein Exit aus der ultralockeren Geldpolitik gestalten kann, vor allem, wenn das Ziel eher Normalisierung als effektive geldpolitische Straffung ist. Und dennoch muss die EZB agieren, um nicht hinter die Kurve zu fallen. Das würde bedeuten: Die Inflation überrascht nach oben und die Zinsmärkte passen ihre Erwartungen an.
Zinskurve als Frühindikator für die Konjunktur?
Bei einer steilen Zinskurve (langläufige Renditen sind deutlich höher als die Geldmarktsätze) gehen die Zinsmärkte von einer nachhaltigen geldpolitischen Straffung aus. Je stärker die Neigung der Kurve, desto mehr Zinsschritte der Notenbank werden erwartet und als nachhaltig angesehen. Die aktuellen Korrekturen, welche die Zinskurven durch den Anstieg am langen Ende steiler gemacht haben, deuten eine entsprechende Erwartungsänderung an.
In diesem Zusammenhang wird die Zinskurve oftmals als Frühindikator für die Konjunktur gesehen. So wie steigende Aktienkurse oftmals als Frühindikator für eine konjunkturelle Aufhellung gesehen werden, deutet eine steilere Zinskurve auf eine sich aufhellende Einschätzung der Zinsmärkte hin. Um als belastbarer Frühindikator gelten zu können, sollten die Erwartungen der Zinsmärkte sich generell erfüllen.
Ist die Zinskurve invers – kurzfristige Zinsen sind höher als langfristige Renditen – wird dies als Zeichen einer überreagieren-den Geldpolitik gesehen. Die Zinsmärkte erwarten dann sinkende Zinsen und damit einen konjunkturellen Abschwung. Solch eine Kurve ist oftmals Ergebnis schnell ansteigender Leitzinsen, die das Inflationsrisiko dämpfen sollen und eine deutliche geldpolitische Straffung darstellen. Doch ist die Neigung der Zinskurve wirklich ein guter Frühindikator? Ist die aktuelle Korrektur am langen Ende der Zinskurve folglich eine Bestätigung der guten konjunkturellen Lage? Sind Sorgen über einen möglichen mittelfristigen Abschwung in den USA somit unbegründet?
Empirische Ergebnisse sprechen für begrenzte Aussagekraft
Die Steigung der US-Zinskurse liefert einen gewissen Erklärungsbeitrag für das US-BIP-Wachstum, auch wenn dieser eher überschaubar ist. Der Erklärungsbeitrag ergibt sich aus dem kurzen Ende der Zinskurve und gilt primär in Phasen extremer wirtschaftlicher Entwicklungen (z. B. Finanzkrise). Das lange Ende hingegen leistet keinen erkennbaren Erklärungsbeitrag. Zwar spiegelt ein Anstieg der Langfristrenditen die zunehmende Erwartung einer konjunkturellen Belebung – diese könnten sich allerdings bewahrheiten oder auch nicht; höhere Langfristrenditen deuten jedoch ebenfalls auf eine geldpolitische Straffung hin, die vor allem das Investitionsverhalten negativ beeinflusst. So sollte die aktuell relativ flache US-Zinskurve keine große Bedeutung haben, wenn es darum geht, die Entwicklung der US-Konjunktur zu antizipieren. Es kann auch nicht argumentiert werden, dass die Korrektur am langen Ende der US-Zinskurve eine anziehende US-Wachstumsdynamik andeutet oder bestätigt. Die Korrektur signalisiert eher, dass die Zinsmärkte ihre Meinung ändern.
Für die Euro-Zone sind die Ergebnisse ähnlich. Auch hier kann die Steigung der Zinskurve keine belastbare Aussage über den zukünftigen BIP-Wachstumsverlauf liefern. Erneut scheint die Erklärungskraft vor allem bei den Kurzfristzinsen zu liegen. Wie zu erwarten ist, haben steigende Zinsen am kurzen Ende einen negativen Einfluss auf das BIP-Wachstum. Der Einfluss langlaufender deutscher Renditen scheint hingegen positiv zu sein. Auch attestieren Kausalitätstests zwischen Zinsen und Konjunktur langlaufenden Renditen eine gewisse Signalwirkung für den zukünftigen Wachstumsverlauf. Doch auch hier sind es vor allem die Krisen, für die diese Beobachtung gilt. Außer bei extremen Ereignissen (wie Finanz- und Eurokrise) hat das lange Ende der deutschen Zinskurve keinen bedeutenden Informationsgehalt bzgl. der zukünftigen wirtschaftlichen Entwicklung in Deutschland und der Euro-Zone.
Einschätzung zu Zinsen
Die begrenzte Aussagekraft der Zinskurve oder des kurzen und langen Endes für die Konjunkturentwicklung ist nicht überraschend. Zinsen werden durch Erwartungen getrieben, die nicht immer eintreffen müssen. Aktuell scheinen die Zinsmärkte ihre Erwartungen hinsichtlich einer geldpolitischen Wende aufgrund jüngster EZB-Kommentare zu ändern. Bleibt die Konjunktur stabil und steigt die Inflationsrate an, sollte die aktuelle Korrektur am langen Ende der deutschen Zinskurve nur ein erster Schritt sein. Allerdings werden die Reinvestitionen der EZB das lange Ende der Zinskurve auch nach Beendigung des Aufkaufprogramms beeinflussen. Schließlich hat die europäische Notenbank ein hohes Interesse daran, keine überzogenen Erwartungen an eine geldpolitische Wende aufkommen zu lassen, denn dies würde weder der europäischen Schuldentragfähigkeit nutzen, noch die Konjunktur unterstützen.
Fazit
Zinskurven werden oftmals als Indikatoren für konjunkturelle Risiken angesehen. Eine flache Kurve lässt demnach an einer nachhaltigen geldpolitischen Wende mit einhergehender Konjunkturerholung zweifeln. Eine steile Zinskurve hingegen spiegelt große Erwartungen der Renditemärkte an Konjunktur und Geldpolitik. Empirische Ergebnisse belegen solche Vermutungen allerdings kaum. Auch eine steiler werdende Zinskurve eignet sich nur begrenzt als Frühindikator einer Konjunkturbelebung.
Deshalb lässt die aktuelle Korrektur am langen Ende der Zinskurve in den USA und in der Euro-Zone wenig Rückschlüsse auf den zukünftigen Konjunkturverlauf zu. Vielmehr scheinen sich die Erwartungen der Zinsmärkte der aktuellen Konjunkturent-wicklung anzupassen. Dafür sollten in diesem Jahr weiterhin auch Notenbankpolitik sowie Konjunktur- und Inflationsdaten sorgen. Durch Reinvestitionen von Fälligkeiten hat die EZB allerdings auch nach Beendigung des Aufkaufprogramms die Möglichkeit, Überreaktionen der Renditemärkte gegenzusteuern.
Dr. Klaus Bauknecht ist als Chefvolkswirt der IKB Deutsche Industriebank AG verantwortlich für die volkswirtschaftlichen Analysen, Prognosen und Einschätzungen der Bank. Zudem lehrt der promovierte Volkswirtschaftler an der Nelson Mandela University in Südafrika. Zuvor arbeitete er in verschiedenen leitenden Positionen anderer Banken und im südafrikanischen Finanzministerium. Er schreibt zu aktuellen und übergeordneten Konjunktur-, Volkswirtschafts- und Marktthemen.
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