[Kapitalmarkt-News vom 9. Mai 2019]

Geldpolitik der EZB – Devisenkurs entscheidend

In der Literatur werden ein flexibler Devisenkurs und Kapitalkontrollen als wichtig für eine unabhängige Geldpolitik angesehen. Ein fester Wechselkurs hingegen reduziert die Autonomie der eigenen Geldpolitik, da sie sich der Geldpolitik eines anderen Landes anpassen muss, um den Devisenkurs zu sichern. Freie Kapitalbewegungen begrenzen die geldpolitische Unabhängigkeit, da Zinsanstiege im Ausland zu Kapitalabflüssen führen und somit eine geldpolitische Gegenreaktion im Inland erfordern – vor allem, wenn der Devisenkurs ein bestimmtes Niveau halten soll. Schwellenländer, die eine hohe US-Dollar-Verschuldung aufweisen, befinden sich oft in dem Dilemma, dass sie auf eine Abwertung ihrer Währung als Folge von Kapitalabflüssen mit Zinserhöhungen reagieren müssen, um Banken oder Unternehmen mit hoher Fremdwährungsverschuldung zu stützen. Während der südamerikanischen Staatsschuldenkrise hat die Aufwertung des US-Dollar aufgrund hoher zweistelliger US-Zinsen genau dies verursacht, in der Türkei hingegen haben aktuell eher innenpolitische Probleme zu einem Währungsverfall geführt. In beiden Fällen war die Autonomie der Notenbank deutlich eingeengt. Die Globalisierung von Bilanzen und Staatsverschuldung kann die Autonomie der Geldpolitik reduzieren bzw. das systematische Risiko von Ländern erhöhen.

Angesichts des flexiblen Devisenkurses, der guten Bonität und relativ niedriger Fremdwährungsverschuldung sollte die Geldpolitik der Euro-Zone relativ autonom sein. Eine deutliche Euro-Abwertung sollte die EZB folglich nicht dazu nötigen, Zinsen anzuheben, da Bilanzprobleme aufgrund der geringen Fremdwährungsverschuldung zu vernachlässigen sind. Der hohe und steigende Offenheitsgrad der Euro-Zone mag hingegen die Bedeutung des Euro-Devisenkurses im Hinblick auf den lokalen Inflationsprozess sowie die preisliche Wettbewerbsfähigkeit der Realwirtschaft stärken. Zudem scheint die Finanzkrise die Bedeutung des Devisenkurses für die Geldpolitik erhöht zu haben. Denn auch wenn die Geldpolitik vieler Notenbanken in den letzten Jahren bewiesen hat, dass bei einem 0 %-Zinsniveau noch nicht Schluss ist, spricht vieles dafür, dass sich die Einflussmöglichkeit bzw. der Handlungsspielraum der Notenbanken in einem Umfeld negativer Zinsen deutlich reduziert – auch weil anhaltend negative Zinsen unerwünschte Nebeneffekte mit sich bringen können. Zwar sichern niedrige Zinsen die Schuldentragfähigkeit eines Landes bzw. Staates. Eine realwirtschaftliche Stimulierung ergibt sich hieraus jedoch nicht unbedingt. Denn auch nach Jahren der Negativzinspolitik und der EZB-Bilanzausweitung bleibt die Kreditvergabe in der Euro-Zone eher verhalten und zeigt keine bedeutende Stimulierung durch niedrige Zinsen. Eine weitere Zinssenkung oder Bilanzausweitung wird demnach nur einen überschaubaren Einfluss auf den Zufluss von Liquidität in die Realwirtschaft haben und damit auch auf den klassischen Inflationsprozess – auch wenn sie für die Schuldentragfähigkeit, die langfristige Umverteilung zwischen Schuldnern und Vermögenden sowie eine effektive Steigerung der Nachfrage absolut notwendig bleibt. In diesem Umfeld und vor allem aufgrund des hohen Offenheitsgrads der Volkswirtschaften ist der Euro-Devisenkurs eine bedeutende Einflussgröße, um Impulse für die Realwirtschaft und den Inflationsprozess zu generieren. Allerdings wird eine Abwertung nur in Kombination mit einer ausreichenden Ausweitung der Geldmenge zu einem nachhaltigen Inflationsanstieg führen. Anders ausgedrückt: Eine Euro-Aufwertung kann die Inflationsdynamik bei der aktuell eher unzureichenden Geldmengenausweitung und des mangelnden geldpolitischen Einflusses mittelfristig negativ beeinflussen und somit den Handlungsdruck auf die EZB erhöhen.

Risiko einer US-Dollar-Abwertung ist nicht banal

Zwar haben die G20-Länder sich darauf verständigt, nicht absichtlich Währungsabwertungen zur wirtschaftlichen Stimulierung vorzunehmen. Dennoch besteht das Risiko von Devisenkursbewegungen infolge geldpolitischer Veränderungen vor allem in den USA; denn in den nächsten 12 bis 18 Monaten wird eher von einer Zinssenkung und damit Wende der US-Geldpolitik ausgegangen, als von anhaltenden US-Zinserhöhungen, weil die US-Wirtschaft 2018 nicht zuletzt aufgrund von steuerlichen Stimulierungen ein BIP-Wachstum gezeigt hat, das auf diesem Niveau nicht haltbar ist. Das zeigen auch die US-Stimmungsindikatoren, die ausgehend von den aktuell hohen Niveaus perspektivisch eher sinken werden. Zudem bleibt das Handelsungleichgewicht der USA ein bestimmendes Thema der US-Außen- und -Wirtschaftspolitik. Während Zölle das Leistungsbilanzdefizit wohl kaum entscheidend reduzieren werden, kann hingegen eine deutliche US-Dollar-Abwertung hierbei durchaus erfolgreich sein (s. IKB-Kapitalmarkt-News 13. November 2018). Im US-Wahljahr 2020 könnten Fed und US-Wirtschaftspolitik deshalb verstärkt Druck auf den US-Dollar ausüben, weil der US-Devisenkurs grundsätzlich ein eher erhöhtes und überbewertetes Niveau zeigt. Der preisbereinigte und gewichtete Devisenkurs liegt aktuell rund 14 % über dem durchschnittlichen Niveau der letzten 30 Jahre. Damit deutet viel darauf hin, dass der US-Dollar zunehmend unter Druck kommen könnte. Allerdings bleibt das Langfristzinsdifferenzial zwischen den USA und der Euro-Zone relativ groß, was den Greenback wiederum stützen dürfte. Entscheidend wird deshalb sein, ob sich die Fed genötigt sieht, 2019 oder 2020 die Zinsen zu senken.

Simulationsergebnis: Euro-Aufwertung würde Abkehr von negativen Zinsen verhindern 

Was bedeutet eine Aufwertung des Euro gegenüber dem US-Dollar für die geldpolitischen Ausrichtung der EZB in diesem und im kommenden Jahr? Birgt das Aufwertungsrisiko des Euro konkrete geldpolitische Implikationen? Um diese Fragen zu beantworten, hat die IKB eine Euro-Aufwertung vom aktuellen EUR/USD-Kurs von 1,11 auf 1,35 simuliert. Die Aufwertung wird sich aufgrund sinkender Importpreise negativ auf den Inflationsprozess auswirken. Exporte werden negativ und Importe positiv beeinflusst, was insgesamt das Wirtschaftswachstum belastet. Die niedrige Inflation wird allerdings die reale Kaufkraft erhöhen und zu einem höheren realen Konsum führen, der die Importe weiter ansteigen lässt. Eine Aufwertung des Euro wird den Inflationsprozess ebenso negativ beeinflussen wie die Wachstumsperspektive der Euro-Zone und somit beide Treiber der Geldpolitik beeinflussen. Die Simulation basiert auf den Inflationsmodellen der IKB und der Taylor-Regel. Im Fokus steht die Entwicklung des Leitzinses der EZB bei einem unveränderten EUR/USD-Kurs von 1,11 (Szenario 1) und einer Euro-Aufwertung auf 1,35 (Szenario 2). Im Fokus steht der sich daraus ergebende Unterschied für den durch die Taylor-Regel berechneten Leitzins als Maßstab des geldpolitischen Handlungsspielraums. Es geht nicht darum, ob und wie die EZB auf einen stärkeren Devisenkurs reagiert, sondern welche Implikationen sich aus der Aufwertung in Form einer niedrigeren Inflation für die Geldpolitik ergeben. Konkret: Wieviel Raum ergibt sich für einen Zinsanstieg bzw. für die Abkehr von der Negativzinspolitik in solch einem Umfeld?

Wie erwartet, führt die Euro-Aufwertung zu geringeren Importpreisen und damit auch zu einer niedrigeren Inflationsrate. In den Jahren 2020 und 2021 läge die Teuerung für die Euro-Zone zwischen 0,3 und 0,4 Prozentpunkten niedriger als im Szenario ohne Aufwertung. Diese Simulationsergebnisse ignorieren allerdings den realwirtschaftlichen negativen Einfluss der geringeren Exporte und höheren Importe. Eine Inflationsrate, die rund 0,5 Prozentpunkte niedriger ausfällt, wäre demnach nicht ausgeschlossen. Die Implikationen, die sich aus der Dollar-Abwertung für die Inflationsdynamik im Euro-Raum ergeben, sind demnach nicht belanglos. Gleiches gilt für die Geldpolitik der EZB. Unter der Berücksichtigung der Taylor-Regel müsste der theoretische Leitzins durch die Euro-Aufwertung in den Jahren 2020 und 2021 zwischen 0,5 und 0,6 Prozentpunkte nachgeben. Das Risiko einer US-Dollar-Abwertung auf ein Niveau von ca. 1,30 EUR/USD oder mehr ist demnach durchaus von geldpolitischer Bedeutung für die EZB. Ein Eintreten würde jegliche Zinserhöhungen bzw. die Abkehr von negativen Zinsen verhindern. Dies gilt vor allem dann, wenn realwirtschaftliche Implikationen betrachtet werden; denn eine US-Dollar-Abwertung wäre vermutlich die Folge einer sich abkühlenden US-Wirtschaft.  

Fazit:

Im Fall einer möglichen US-Konjunktureintrübung, einer damit zusammenhängenden Wende der Fed-Zinspolitik sowie des anhaltenden Konfrontationskurses der US-Handelspolitik ist eine US-Dollar-Abwertung in den nächsten zwölf Monaten nicht unwahrscheinlich.

Auch wenn der flexible Devisenkurs des Euro grundsätzlich eine autonome Geldpolitik garantieren sollte, mag dies angesichts der aktuellen geldpolitischen Ausrichtung und Inflationserwartungen der EZB weniger gelten. Simulationen der IKB zeigen, dass eine Euro-Aufwertung gegenüber dem US-Dollar zu einer deutlich niedrigeren Inflation im Euro-Raum führt und damit den Handlungsspielraum der EZB für eine perspektivische Abkehr von negativen Zinsen verhindern würde.

 

 

 

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