Koalitionen verhindern extreme Richtungswechsel. Doch gerade dieser ist in Deutschland bei den wirtschaftlichen Herausforderungen nötig. So bräuchte es eine Priorisierung der Ausgabenseite des Staates, um nachhaltige Steuererleichterungen und Raum für Investition und Wachstum zu schaffen. Hingegen ist nun von einer Reform der Schuldenbremse auszugehen. Zwar wird diese Reform bei einem anhaltend schwachen Potenzialwachstum notwendige Investitionen ermöglichen. Allerdings besteht auch die Gefahr, dass eine Priorisierung der Ausgaben im Bundeshaushalt als weniger dringlich eingeschätzt wird. Die Notwendigkeit eine Koalition zu finden, stärkt diese Befürchtung.

Stimmung bleibt schlecht…
Jeden Monat wird auf den Ifo geschaut in der Erwartung, der Index signalisiert etwas über den zukünftigen Konjunkturverlauf. Insbesondere in den letzten Jahren lag die Hoffnung auf einem Anstieg und eine sich damit abzeichnende Stimmungswende. Konjunkturelle wie wirtschaftspolitische Entwicklungen haben dies jedoch bis dato verhindert. Noch immer ist die Stimmung unter deutschen Unternehmen zurückhaltend bzw. schlecht. Der jüngste Wert des Ifo Geschäftsklimas macht da keine Ausnahme.
… doch entscheidend ist die Wahrnehmung der Wahl unter den Unternehmen …
Selten hatte der ifo jedoch eine solch begrenzte Aussagekraft wie aktuell. Schließlich wurde die Umfrage vor der Bundestagswahl durchgeführt. Wichtig ist nicht, wie die Stimmung im Februar war, sondern in welchem Maße die Bundestagswahl eine Veränderung bzw. einen Stimmungsaufbruch in den kommenden Monaten bewirken wird.
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Quelle: Bloomberg
Alle sprechen von Wachstum – mit und ohne Staat
Bei all den unterschiedlichen Wahlprogrammen gibt es dennoch ein gemeinsames Ziel: Die Wirtschaft soll wieder wachsen und somit die Ziele der Regierung maßgeblich finanzieren. Vorschläge zu einem Wachstum gibt es deshalb viele. Einerseits soll es mehr Anreize für Arbeit und Investitionen durch einen reduzierten Sozialstaat sowie niedrigere Steuern geben, andererseits höhere Staatsausgaben, um Investition zu finanzieren – entweder durch eine Reform der Schuldenbremse oder höhere Steuern. Mehr Staat, der etwas tut, versus weniger Staat, der Unternehmen Raum zum Handeln ermöglicht.
Koalitionsgespräche werden Wachstum priorisieren
Nach drei Jahren Stagnation und einer anhaltend schlechten Stimmung sind eine ganze Reihe von Maßnahmen notwendig. Am Ende geht es darum, das langfristige Wachstum zu steigern. Hierfür braucht es klare Anreize für höhere Wertschöpfung und damit mehr Privatwirtschaft, aber kurzfristig auch mehr Staat, um der Wirtschaft in Kombination mit Reformen eine ausreichende Starthilfe zu ermöglichen. So mag es auch aus volkswirtschaftlicher Sicht sogar sinnvoll sein, Koalitionen zu formen, wenn dadurch eine breite Palette an Maßnahmen sichergestellt wird.
Fakt ist, die Sozialausgaben sind zu hoch
Damit der Staat eine aktive Rolle sowohl bei der Transformation als auch beim Wachstum spielen kann, geht es nicht nur um Steueranreize, sondern in erster Linie um eine Priorisierung der Staatsausgaben. Der Haushaltsetat muss klar das Ziel eines höheren Potenzialwachstums spiegeln. Ausgaben müssen Wohlstand schaffen und nicht nur verteilen. Doch was muss konkret getan werden? Abb. 2 zeigt, dass nichts am Rentensystem vorbeiführt. Verteidigungsausgaben werden steigen, ebenso die Zinszahlungen. Zusammen mit dem Rentensystem führt keiner dieser Posten zu einem höheren Wachstum, sie machen aber über 50 % der Ausgaben aus. Eine wachstumsfördernde Ausgabenpolitik, entweder über deutlich höhere Investitionen oder niedrigere Steuern, kann deshalb nur mit einer Reform des Rentensystems einhergehen. Es sind die Rentenzahlungen, die jeden vierten Euro der Steuereinnahmen verschlingen. Und über die kommenden Jahre wird diese Position im Schatten einer wirtschaftlichen Stagnation und ansteigender Rentenempfänger weiter zulegen.
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Quelle: Bundeshaushalt – Bundeshaushalt digital
Deutschlandfonds notwendig …
Aktuell herrscht der Glaube, dass Wachstum über mehr Schulden und oder niedrigere Steuern und bessere Anreize am Arbeitsmarkt sowie Migration sichergestellt werden kann. Und in der Tat ist der Deutschlandfonds ein Beispiel, wie durch höhere Schulden und trotz Schuldenbremse Raum für Investitionsausgaben geschaffen werden kann. Es ist deshalb wünschenswert, dass die neue Regierung solch einen Fonds aufsetzt, um kurzfristig (5 Jahre) die Rendite von investiertem privatem Kapital durch Steuersenkungen anhebt.
… ebenso wie Priorisierung der Ausgaben
Doch um eine nachhaltige und überzeugende Steuersenkung und damit grundsätzlich höhere Renditeerwartungen für den Standort Deutschland sicherzustellen, muss die Ausgabenseite des Staates priorisiert werden. Niedrige Steuern mögen Wachstum unterstützen, was wiederum zu mehr Steuereinnahmen führt. Doch der Gedanke, dass niedrigere Steuersätze für ausreichend Wachstum und Sicherstellung der aktuellen Sozialsysteme sorgen, ist illusorisch. Die Ausgabenseite des Staates muss ihren Wachstumsbeitrag liefern – durch Priorisierung und Fokus auf Investitionen.
Sozialpolitik durch Wohnungsbau
Insbesondere muss der Fokus auf Investitionen im Wohnbereich fallen – um den Standort für Migration attraktiv zu machen, aber auch um den gesellschaftlichen Zusammenhalt bewahren bzw. stärken. Hier muss die soziale Politik durch eine deutliche Ausweitung des Wohnangebots ansetzen, und nicht in der Mietbremse, die keinen neuen Wohnraum schafft. Weder niedrigere Grunderwerbsteuern noch die Mietbremse werden das Problem von nicht ausreichendem Angebot lösen. Staatliche Investitionen müssen deshalb deutlich ansteigen, und zwar nicht nur für marode Brücken und Straßen.
Priorisierung bleibt fraglich
Parteien sprechen von Steuersenkungen für Arbeitnehmer, die Finanzierung kommt dann über die Schuldenbremse oder Wachstumsillusionen. Doch für Wachstum braucht es nicht nur Steuersenkungen, sondern die Ausgabenseite muss priorisiert werden. Doch mit dem Wahlergebnis von Sonntag bleibt es fraglich, in welchem Maße eine Priorisierung der Ausgaben stattfinden wird. Es scheint einfacher zu sein, die Schuldenbremse zu reformieren als weitreichende Steuersenkungen und vor allem eine Priorisierung bzw. Reduzierung der Sozialausgaben umzusetzen.
Verteidigungsausgaben werden deutlich steigen …
Verteidigungsausgaben sollen von aktuell 1,7 % des BIP auf 2 %, 3 % und womöglich 5 % ansteigen. Bereits aktuell werden die 2 % in den kommenden Jahren nur durch das Sondervermögen von 100 Mrd. € erreicht. Bereits im Jahr 2024 waren neben den 52 Mrd. € zusätzlich 20 Mrd. € aus dem Sondervermögen notwendig. In den Jahren 2027/28 ist dieses Vermögen aufgebraucht, und der Staat muss neue Quellen finden. Da Verteidigungsausgaben keine Investitionen sind, müssten sie mit einem Rückgang in andere Staatsausgaben finanziert werden. In der Realität hat jedoch keine Priorisierung der Ausgaben stattgefunden, sondern nur ein Schuldenanstieg.
… doch Eurobonds werden klare Priorisierung in den Staatsausgaben verhindern
Die Sicherheitskonferenz in München hat Europa jedoch gezeigt, dass der Anstieg in Verteidigungsausgaben weniger das Ziel der NATO ist, sondern eine Notwendigkeit für Europa insgesamt. So ist davon auszugehen, dass sich die EU schnell auf Eurobonds „einschießen“ wird. Formal werden deshalb die Schuldenquoten und Ausgaben einzelner Staaten nicht belastet werden (bis auf die zukünftigen Zinszahlungen bzw.EU-Abgaben). Eurobonds sollten anhand der hohen Schuldenquoten vieler EU-Staaten und dem begrenzten Raum für Kürzungen in Sozialausgaben relativ schnell Konsens finden. Dies gilt auch im Schatten eines hohen Investitionsbedarfs in Europa, wie auch der Draghi-Report angeführt hat.
Einschätzung – Höhere Schulden, marginale Anreizveränderungen und weiterhin eher moderates Wachstum
Parteien sollten bezüglich der Verteidigungsausgaben einen gemeinsamen Nenner finden, ebenso wie in der Notwendigkeit, die Energiepreise zu senken. Eine Priorisierung der Ausgaben und damit nachhaltig niedrigere Steuern scheinen mit Blick auf mögliche Koalitionen hingegen illusorisch zu sein. Eine Reform der Schuldenbremse, verpackt im Kontext einer Investitionsnot, ist hingegen um einiges plausibler. Spürbare Veränderungen im Sozialsystem (Bürgergeld, Rentensystem) bleiben hingegen unwahrscheinlich. Infolge wird die Schuldenquote ansteigen, auch weil strukturelle Impulse für ein höheres Wachstum überschaubar sein sollten. Eine kurzfristige Aufbruchstimmung im privaten Investitionsverhalten bleibt beim aktuellen Stand eher fraglich.
Dr. Klaus Bauknecht ist als Chefvolkswirt der IKB Deutsche Industriebank AG verantwortlich für die volkswirtschaftlichen Analysen, Prognosen und Einschätzungen der Bank. Er schreibt zu aktuellen und übergeordneten Konjunktur-, Volkswirtschafts- und Marktthemen. Zudem kommentiert er regelmäßig konjunkturelle Entwicklungen in renommierten Wirtschaftsmedien und ist mit seinen pointierten Präsentationen häufiger Gast bei Verbänden und Unternehmen. Zuvor arbeitete Klaus Bauknecht in verschiedenen leitenden Positionen anderer Banken und im südafrikanischen Finanzministerium.
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