[Healthcare, Pharma, Chemicals-Information vom 29. März 2019] Laut einer Umfrage des Verbandes der Chemischen Industrie unter mittelständischen, deutschen Chemieunternehmen planen 50 % der Entscheider bedeutende Investitionen, um Prozesse und Geschäftsabläufe zu digitalisieren. Im Gegensatz zu internationalen Großunternehmen, die ihre Portfolien überwiegend schon auf eine digitale Zukunft ausrichten, setzen nur ca. 40 % der befragten Mittelständler in den kommenden Jahren auf disruptive, digitale Geschäftsmodelle. Doch eben jene Mittelständler werden im Zuge der Digitalisierung zu den großen Gewinnern gehören, indem sie sich ökonomischen Netzwerken anschließen und den Wert ihrer Spezialitätenprodukte hervorheben. Sich verändernde Wertschöpfungsketten, höhere Produktivität und mehr Innovationen sowie neue Absatzkanäle gehören zu den positiven Folgen der Digitalisierung. Auch mit Blick auf diese Entwicklung lässt sich der Chemiesektor in grundsätzlich zwei Gruppen unterteilen: Hersteller von Vor- und Zwischenprodukten und Spezialitätenanbieter.
Hersteller von Vor- und Zwischenprodukten profitieren von weiteren Effizienzsteigerungen
Die Hersteller von Vor- und Zwischenprodukten sind dem Endverbraucher sehr fern, ziehen ihre Stärke aus Economies of Scale, effizienten Produktionen und geographischer Nähe zu Rohstoffen und Abnehmern. Sie haben im Zuge der Digitalisierung drei grundlegende Dinge zu beachten: Erstens können sie Produktions- und Absatzdaten nutzen, um ihre unternehmerischen Entscheidungen zu stärken und ihre Produktionen noch effizienter zu gestalten. Vorausschauende Wartung, Szenarioanalysen in digitalen Modellen und effektive Anlagensteuerung gehören zu den entscheidenden Vorteilen. Zweitens müssen sie die Endabnehmermärkte ihrer Kunden im Blick behalten, um mögliche Einflüsse der Digitalisierung auf diese abzuschätzen. Beispielsweise bedeutet die Entwicklung zum e-commerce für Verpackungshersteller, dass optische und haptische Eigenschaften ihrer Produkte weniger wichtig für Kaufentscheidungen werden. Dies hat einen direkten Einfluss auf den Produktmix der Hersteller von Basiskunststoffen. Drittens haben große Anbieter die Möglichkeit, ihre Umsatzmodelle um ein Plattformangebot zu erweitern. Dies unterscheidet sich grundlegend vom produktzentrierten Angebot der Chemieindustrie heute und erfordert eine fortschreitende Nutzenorientierung. Plattformlösungen wie C4Connect von Evonik, Maglis von BASF und CheMondis von LANXESS sind erste Versuche von internationalen Großkonzernen, ihr Serviceangebot zu erweitern und neue Absatzkanäle zu erschließen.
Spezialitätenanbieter können neue Umsatzmodelle generieren
Spezialitätenanbieter bieten deutlich individuellere und komplexere Produkte, die auf Basis ihrer Qualität und Spezifikationen miteinander konkurrieren. Zusätzlich zu Effizienzsteigerungen in der Produktion und Absatzplanung kann die Digitalisierung das Segment mit intelligenten Preissetzungssystemen und Serviceangeboten unterstützen. Weiterhin werden neue Umsatzmodelle interessant, die sich auf einen Wertbeitrag und weniger auf das eigentliche Produkt beziehen. Beispielsweise könnte ein Spezialitätenanbieter nicht nur Katalysatoren verkaufen, sondern die Katalysatorleistung als Gesamtservice anbieten. Viele solcher Beispiele gibt es in der Praxis noch nicht.
70 % der Unternehmen des chemischen Mittelstands geben an, dass sie derzeit über kein digitales Geschäftsmodell verfügen. Die anderen 30 % erzielen laut VCI lediglich 5 % ihres Umsatzes mit digitalen Lösungen. Dies zeigt, dass ein strategisches Umdenken über die gesamte Branche hinweg noch nicht stattgefunden hat.
Die Unternehmensberatung McKinsey hat sechs Meilensteine für das Management von Chemieunternehmen entwickelt, die es erlauben, den digitalen Transformationsprozess erfolgreich zu absolvieren. Die Entscheider sollen ein klares Zielbild ihres Unternehmens in Bezug auf die digitale Entwicklung vor Augen haben. Der Einfluss der digitalen Maßnahmen muss quantifiziert und auf Einzelmaßnahmen runtergebrochen werden. Die benötigten Kenntnisse und Fertigkeiten sind zu definieren. Die Organisation ist so anzupassen und zu strukturieren, dass sich digitale Ansätze entwickeln und effektiv überwachen lassen. Digitale Geschäftsmodelle haben ein grundlegend anderes Risikoprofil als das klassische Chemiegeschäft und bedürfen eines agilen Ansatzes und hoher Flexibilität. Es ist die Aufgabe des Managements, diese Rahmenbedingungen herzustellen. Als letzter Schritt soll die digitale Kultur im Unternehmen verankert werden und es gilt, Kreativität zu fordern und zu fördern. Einige Chemieunternehmen haben erkannt, dass die Digitalisierung langsam aber sicher auch in ihrem Sektor ankommt. Nun gilt es, wegweisende Entscheidungen zu treffen und vorbereitende Investitionen zu tätigen.
Sven Anders ist Abteilungsdirektor und Head des Sektorteams Industrials, Mobility & Construction der IKB. Er betreut insbesondere Unternehmen aus den Branchen Chemie und Pharma und ist hier involviert in Finanzierungs- und Corporate Finance-Transaktionen der Bank. Nach dem Master of Science in Finance an der Norwegian School of Economics (NHH) hat er seine ersten beiden Berufsjahre bei einer Unternehmensberatung absolviert, bevor er 2018 zur IKB stieß.
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