[Kapitalmarkt-News vom 8. Juni 2020]

Fazit:

Das Ausmaß des Produktionseinbruchs im Verarbeitenden Gewerbe nach dem Beginn der Coronakrise ist nicht völlig überraschend. Inzwischen ist das Produktionsniveau in Deutschland rund 30 % niedriger als zu Jahresanfang 2020.

Dabei zeigen die Branchen durchaus unterschiedliche Entwicklungen. Der schwache aktuelle europäische Absatzmarkt setzt vor allem der Automobilindustrie zu, während der Maschinenbau auch perspektivisch belastet sein könnte.

Stimmungsindikatoren deuten jedoch daraufhin, dass der Tiefpunkt bei der Produktion erreicht sein könnte. Eine schnelle Erholung ist allerdings nicht zu erwarten.

Aktuelle Zahlen

„Vor dem Morgen ist die Nacht am dunkelsten“. Dies trifft die aktuelle Datenlage recht gut. Industrieproduktion und Auftragseingänge für den April bestätigen, was bereits bekannt war: Die Produktion des Verarbeitenden Gewerbes ist im April beispiellose 22 % im Vergleich zum Vormonat eingebrochen. Dank einer weiterhin robusten Bauindustrie lag der Rückgang für die gesamte Industrie in Deutschland bei „nur“ 17,9 %. Im Vergleich zum Januar 2020 beträgt das Minus der Produktion im Verarbeitenden Gewerbe sogar 30 %, in der deutschen Industrie 25 %.

Frühindikatoren wie das ifo Geschäftsklima, aber auch globale Daten wie US-Arbeitsmarkzahlen, chinesische Pkw-Neuzulassungen oder PMI-Stimmungsindikatoren deuten jedoch auf eine perspektivische Aufhellung hin. Die Betonung liegt allerdings auf „perspektivisch“. Denn auch nach der Finanzkrise hat das Verarbeitende Gewerbe fast drei Jahre gebraucht, um bei der Produktion das Vorkrisenniveau zu erreichen – und dies, obwohl Länder wie China die Weltwirtschaft durch spürbare Konjunkturprogramme vorangetrieben hatten. Der damalige Tiefpunkt war in Deutschland erst sechs Monate nach dem Höhepunkt der Finanzkrise im September 2008 erreicht. Aktuell hat sich die Produktion seit ihrem Höhepunkt Ende 2017 um über 33 % reduziert. Zum Vergleich: In der Finanzkrise lag der Rückgang bei rund 20 %.

Auch wenn der Absturz der Industrie im April zu erwarten war, so ist die Entwicklung der einzelnen Branchen des Verarbeitenden Gewerbes doch sehr heterogen. Im Vergleich zu Ende 2019 konnte die Chemieindustrie ihr Produktionsniveau zum Beispiel mehr oder weniger halten. Auch die Papier- und Holzindustrie waren weniger betroffen. Letztere wird sicherlich von der weiterhin wachsenden Bauindustrie gestützt. Die stärksten Einbrüche in Deutschland mussten mit -82 % und fast -30 % Automobilproduktion und Maschinenbau hinnehmen. Auch in den kommenden Monaten dürfte der Maschinenbau besonders unter den Folgen der Coronakrise leiden. Nicht nur kurzfristig, sondern auch langfristig ist mit weniger dynamischen Investitionsaktivitäten zu rechnen – zumindest in Europa (siehe IKB-Kapitalmarkt-News 2. Juni 2020).

Trotz der Coronakrise und hoher Konjunkturabhängigkeit ist der Produktionsrückgang der Automobilindustrie in Deutschland doch überraschend. Dies gilt vor allem im Vergleich zu anderen konjunktursensitiven Branchen wie Maschinenbau und Metallindustrie. Hierbei ist sicherlich die Entwicklung der europäischen PKW-Absatzmärkte entscheidend. Die Pkw-Neuzulassungen in der EU sind im Vergleich zu April 2019 um ca. 80 % eingebrochen. In den USA liegt der vergleichbare Wert bei rund 50 %, in China bei nur 2 %. 

Ausblick

Der weitere Produktionsverlauf am Industriestandort Deutschland wird von der Stärke der globalen sowie regionalen Entwicklung bestimmt werden, aber auch von der Abhängigkeit einzelner Branchen vom Konjunkturzyklus. Doch nur auf Nachfrageimpulse aus dem In- oder Ausland zu warten, ist fehl am Platz. Denn angesichts von rund 7 Mio. Menschen in Kurzarbeit ist es wichtig, dass die Produktion wieder zügig hochfährt. Eine sich hinziehende wirtschaftliche Erholung würde zu Kapazitätsanpassungen und zunehmenden Insolvenzen führen und viele Kurzarbeiter in die klassische Arbeitslosigkeit treiben (siehe auch IKB-Kapitalmarkt-News 13. Mai 2020). Auch sind viele  Industrieunternehmen bereits geschwächt in die Coranakrise gegangen. Denn schon im letzten Jahr musste die Produktion des Verarbeitenden Gewerbes aufgrund schwacher Nachfrage im Jahresverlauf saisonbereinigt um rund 5 % zurückgefahren werden. Somit ist ein entschiedenes Handeln der Bundesregierung notwendig – auch weil die globale Konjunktur und damit der Export weiterhin hohen Unsicherheiten ausgesetzt ist. Darunter fallen unter anderem die Handelsbeziehungen mit Großbritannien und den USA, aber auch die konjunkturelle Entwicklung wichtiger Schwellenländer wie Brasilen, Russland und Indien. Grundsätzlich sorgt die Coronakrise weiterhin für risikoaverses Verhalten von Unternehmern wie Konsumenten, was Konjunkturimpulse durch die Fiskalpolitik notwendig macht. Ob das kürzlich angekündigte Konjunkturprogramm ausreichend ist, die Stimmung auf der Angebots- und Nachfrageseite der deutschen Wirtschaft genügend zu verbessern, bleibt abzuwarten. Im Zweifel muss nachgelegt werden.

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