[Kapitalmarkt-News vom 14. August 2020]

Fazit: Die BIP-Wachstumsprognosen für die europäischen Länder gehen aktuell von keiner schnellen konjunkturellen Erholung aus. Zu lange scheinen sich die Konsequenzen und Unsicherheiten aus der Coronakrise hinzuziehen – vor allem im Dienstleistungssektor.

Jüngste Produktionszahlen für das deutsche Verarbeitende Gewerbe sprechen hingegen für eine V-förmige Erholung – anders, als nach der Finanzkrise. So könnte das Vorkrisenproduktionsniveau bereits im Verlauf von 2021 wieder erreicht werden. Dies gilt auch für zuletzt eher schwächelnde Branchen wie Automobilindustrie und Maschinenbau. Nach nennenswerten Produktionsrückgängen bereits im letzten Jahr bedeutet das jedoch nicht, dass alle Branchen des Verarbeitenden Gewerbes aus dem Gröbsten raus sind. Strukturelle Schwächen hat die Coronakrise überdeckt, sie bestehen aber nach wie vor. Nachdem die Produktion im Jahr 2019 um 4,2 % geschrumpft ist, erwartet die IKB einen weiteren Rückgang von ca. 10 % im Jahr 2020, gefolgt von einem Anstieg um etwa 11 % im Jahr 2021. 

Die aktuelle Krise wird oftmals mit den Entwicklungen während und nach der Finanzkrise 2008/09 verglichen. Konsens scheint darüber zu herrschen, dass der aktuelle Einbruch in Folge der Pandemie deutlich stärker ausfällt. Zwar wird allgemein von Aufholeffekten und Wachstum in den kommenden Quartalen ausgegangen, mit einem schnellen Abhaken der Pandemiefolgen rechnen die Analysten allerdings nicht. So erwarten die meisten BIP-Prognosen eine Rückkehr auf das Vorkrisenniveau erst im Verlauf des Jahres 2022. Der erwartete BIP-Verlauf nimmt also vielfach nicht den erhofften V-Verlauf – trotz der Vielzahl von fiskalischen Stimulierungsmaßnahmen. Angesichts der starken Bedeutung des Dienstleitungssektors für das deutsche BIP (sein Anteil inkl. Handel beträgt fast 70 %) und des nach wie vor bestehenden Infektionsrisikos ist dies nicht überraschend. Auch die IKB erwartet für Deutschland ein BIP-Wachstum von -6,9 % im Jahr 2020, von 5,3 % im Jahr 2021 und von 3,2 % im Jahr 2022; damit würde Ende 2021 das BIP-Vorkrisenniveau wieder erreicht werden. In Ländern wie Italien, Spanien und Großbritannien könnte es hingegen bis 2023 oder darüber hinaus dauern, bis das Vorkrisenniveau der Wirtschaftsleistung wieder erreicht wird. Denn länderspezielle Aspekte wie hohe Verschuldung, eine bedeutende Tourismusbranche oder der Brexit dürften die Krise verlängern.

Für das deutsche produzierende Gewerbe könnte die Erholung um einiges dynamischer ausfallen als nach der Finanzkrise und als für das BIP. Dies zumindest deuten jüngste Zahlen an. In der Finanzkrise hatte es acht Monate gedauert, bis die Produktion den Tiefststand erreicht hatte. Aktuell war der Einbruch zwar deutlich stärker, dafür war der Tiefpunkt allerdings bereits nach zwei und nicht nach acht Monaten erreicht. Die Produktionszahlen von Mai und Juni deuten bereits auf eine signifikante Korrektur hin. Diese fällt auch deutlich ausgeprägter aus als nach der Finanzkrise. Da aktuell keine lange Phase des Produktionsrückgangs zu verzeichnen ist, setzen die Aufholeffekte deutlich früher ein. Ein schwerwiegenderer und erheblich schnellerer Einbruch als in der Finanzkrise hat bisher zu einer konjunkturellen V-Dynamik geführt. In der Finanzkrise hatte es hingegen fast zwei Jahre gedauert, bis die Produktion des Verarbeitenden Gewerbes wieder das Niveau erlangte, das sie aktuell vier Monate nach Krisenausbruch bereits erreicht hat.  

Die Erholung im Mai und Juni zeigt sich in allen bedeutenden Branchen, ist aber vor allem in der Automobilindustrie und im Maschinenbau und damit in konjunktursensitiven Branchen zu erkennen. Gerade der Automobilbau, das Sorgenkind der letzten Jahre, zeigt eine besonders starke Aufholdynamik. So ist die ausländische PKW-Produktion deutscher Hersteller im Juni nur noch 4 % unter dem vergleichbaren Wert des Vorjahresmonats. Im April lag die Produktion noch 55 % unter der von April 2019. Die PKW-Produktion in Deutschland, die im April fast vollständig zum Erliegen kam (Rückgang um 97 % im Vergleich zum April 2019), konnte im Mai sowie Juni ebenfalls deutlich an Boden gut machen. Aktuell liegt sie noch 20 % unter dem Niveau von Juni 2019. Auch die Erholung auf den Absatzmärkten kann überzeugen. Chinesische Pkw-Neuzulassungen befanden sich im Juli dieses Jahres sogar 8 % über dem vergleichbaren Vorjahreswert. Auch Europa, wo der Absatzmarkt in manchen Ländern ins Bodenlose fiel (Rückgänge von über 90 %), zeigt deutliche Wiederbelebungstendenzen. Hierzu gehören Italien ebenso wie Großbritannien und Spanien. Frankreich hat das Vorjahresniveau schon wieder im Juni erreicht.

Andere konjunktursensitive Branchen können ebenso überzeugen. Es ist vor allem der Maschinenbau, dessen Ausblick aufgrund fehlenden Investitionsvertrauens und anhaltender Unsicherheit belastet ist. Doch selbst diese Branche zeigt seit April ein äußerst dynamisches Wachstum, auch wenn die Nachfrage nach Produktionskapazitäten nachhaltig durch die aktuelle Krise beeinflusst sein könnte (siehe IKB-Kapitalmarkt-News 2. Juni 2020).

Zwar bleibt die Unsicherheit über die weitere Erholungsdynamik hoch und mögliche Rückgänge bei den monatlichen Produktionszahlen sind nicht auszuschließen; dennoch deuten die aktuellen Zahlen und Stimmungsindikatoren auf eine deutlich schnellere konjunkturelle Erholung hin, als das nach der Finanzkrise der Fall war. Nur ein erneuter lokaler oder globaler Lockdown könnte diese Entwicklung ins Wanken bringen. So ist auch eine Rückkehr zum Vorkrisenproduktionsniveau bereits im Jahr 2021 möglich. Allerdings lag dieses Ende 2019/Anfang 2020 aufgrund der Industrierezession im Jahr 2019 bereits deutlich unter dem Niveau der Vorjahre. Das gilt nicht nur für die Automobilindustrie, deren inländische Produktion im Dezember 2019 rund 17 % unter dem Niveau von Dezember 2018 lag, sondern auch für Maschinenbau (Rückgang um fast 7 %) und Elektroindustrie (Rückgang von ca. 6 %). So ist das systematische Ausfallrisiko trotz einer möglichen V-Erholung auch weiterhin nicht zu unterschätzen (siehe auch IKB-Kapitalmarkt-News 13. Mai 2020), denn die strukturellen Probleme der Branchen bestehen nach wie vor, sie werden zur Zeit nur durch die Coronakrise überdeckt. Daher ist es auch nicht überraschend, dass die Risikoprämien für Unternehmensanleihen auf einem hohen Niveau bleiben.

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