[Kapitalmarkt-News vom 24. November 2022]
Fazit: Die Einschätzung der aktuellen Lage trübt sich laut ifo Geschäftsklima weiter ein. Die Geschäftserwartungen der Unternehmen hingegen hellen sich auf. Ursache ist allerdings nicht ein positiver Konjunkturausblick; vielmehr haben sich überzogen pessimistische Erwartungen nicht bestätigt: Der Krieg in der Ukraine hat sich nicht ausgeweitet und die Versorgung mit Gas ist erst einmal sichergestellt.
Auch in den kommenden Monaten kann von einer weiteren Erholung der Erwartungen ausgegangen werden, gleichzeitig ist aber von einer anhaltenden Eintrübung der Lageeinschätzung auszugehen. Die realwirtschaftliche Realität einer schwächelnden Konjunktur wird in den kommenden Monaten zunehmend die Stimmung dominieren.
Die IKB erwartet im Jahr 2023 einen Rückgang des BIP von rund 1 %.
ifo Geschäftsklima hellt sich auf, sendet aber weiterhin Rezessionssignale
Das ifo Geschäftsklima hat sich im November erstmals seit dem Frühjahr recht deutlich aufgehellt. Verantwortlich hierfür war vor allem der weniger pessimistische Blick in die Zukunft. Dieser Teil-Index hat sich deutlich um 4,1 Punkte auf 80 Zähler verbessert. Die aktuelle Lage haben die Unternehmen dagegen aber erneut schlechter beurteilt; der Index fiel um 1 Punkt auf 93 Zähler. Insgesamt legte das ifo Geschäftsklima damit um 1,8 Punkte zu. Wie ist diese Entwicklung zu werten? Ist es ein erstes Indiz für eine sich aufhellende konjunkturelle Entwicklung?
Extrem pessimistische Erwartungen waren überzogen, …
Die enorme Unsicherheit der letzten Monate hat zu einer großen Skepsis über das zu erwartende wirtschaftliche Umfeld geführt. Der drastische Einbruch der Geschäftsaussichten des ifo Geschäftsklimas dokumentiert – gerade im Vergleich zur weniger negativen Einschätzung der aktuellen Lage – tiefen Zukunftspessimismus. Zwar ist es durchaus üblich, dass sich zuerst die Geschäftserwartungen im Schatten einer Konjunktureintrübung verschlechtern und sich erst später dann die Lageeinschätzung der Realität anpasst. Aktuell erscheint jedoch der Pessimismus bei den Erwartungen zunehmend überzogen, gerade im Vergleich zu den BIP-Wachstumsprognosen für 2023. Denn diese deuten zwar auf eine Rezession hin, aber ein drastischer Einbruch oder gar Absturz wird von den Volkswirten nicht erwartet.
Verantwortlich für die überzogene Negativität ist der Krieg in der Ukraine und die damit verbundene Furcht vor Gasmangel bzw. explodierenden Gaspreisen. Allerdings hat sich die Gasversorgung erst einmal stabilisiert, und die Gaspreise an den Börsen fallen. Auch senkt die Politik mit Hilfe der Gaspreisbremse die Kosten und hat die Gasversorgung durch ambitionierte Einkäufe erst einmal gesichert. Auch die Folgen des Krieges in der Ukraine haben für viele Unternehmen an Schrecken verloren, da eine Eskalation und Ausbreitung des Konfliktes in Europa ausgeblieben ist. Aber es bleibt eine große Unsicherheit über den Ausgang des Krieges, denn noch ist von keiner Seite Verhandlungsbereitschaft zu erkennen. Auch werden die Gaspreise in Deutschland sicherlich langfristig höher ausfallen als vor dem Krieg, was die Stimmung in energieintensiven Branchen wie Chemie oder Glas besonders belastet. Insgesamt scheinen sich jedoch die Einschätzungen zur geopolitischen Unsicherheit zu relativieren.
Quelle: Economic Policy Uncertainty Index
… doch die reale konjunkturelle Eintrübung holt auf
Ein weiterer Unsicherheitsfaktor, der zunehmend an Relevanz verliert, sind die Lieferkettenprobleme. Explodierende Rohstoffpreise und Materialmangel hatten nicht nur die Stimmung im Jahr 2021 belastet, sondern vor allem auch die Produktion. Deshalb beurteilten die Unternehmen die aktuelle Lage oftmals schlechter als die Erwartungen, die eine Entspannung infolge von Angebotsausweitungen spiegelten. In diesem Jahr haben die Lieferengpässe nachgelassen. Die Frachtraten korrigierten im Schatten von Angebotsausweitungen deutlich, auch aufgrund der schwächeren Nachfrage. Doch wie bei den Erwartungen, gibt es auch bei der Einschätzung der aktuellen Lage gegenläufige Effekte: Während die Nachfrageschwäche infolge der Konjunktureintrübung die aktuelle Lage belasten sollte, deuten Angebotshemmnisse wie Lieferengpässe und hohe Materialkosten auf eine Entspannung hin. Im Umfeld einer deutlichen Nachfrageschwäche ist jedoch in den kommenden Monaten insgesamt von einer Eintrübung der aktuellen Lagebeurteilung auszugehen – nicht zuletzt, weil der Kostendruck aufgrund der deutlichen Lohnerhöhungen hoch bleiben sollte. Die Konjunktur trübt sich spürbar ein und wird die aktuelle Lage weiter belasten.
Quelle: Global Supply Chain Pressure Index (GSCPI) – FEDERAL RESERVE BANK of NEW YORK (newyorkfed.org)
In den folgenden Monaten werden unterschiedliche Effekte die Stimmung der deutschen Unternehmer beeinflussen:
- Die aktuelle Lage wird sich weiter verschlechtern. Die konjunkturellen Entwicklungen und der Einfluss steigender Zinsen werden sich im Jahr 2023 zunehmend bemerkbar machen und die Konjunktur belasten. Zwar ist der Auftragsbestand in manchen Branchen weiterhin gut, dieses Polster wird aber zunehmend bearbeitet und deshalb an Bedeutung verlieren. Zudem ist nicht von einer V-Erholung auszugehen, die einen vorübergehenden Einbruch von Auftragsbestand und Nachfrageausfall kompensieren könnte.
- Die Erwartungen könnten sich kurzfristig weiter aufhellen, da verschiedene Worst-Case-Szenarien an Relevanz verloren haben. Allerdings wird die realwirtschaftliche Realität – also die einsetzende Rezession – mehr und mehr in den Vordergrund treten. Der verbesserte Ausblick sollte also nicht als Indiz einer sich aufhellenden Konjunktur verstanden werden, sondern als Relativierung des überzogenen Pessimismus.
Dr. Klaus Bauknecht ist als Chefvolkswirt der IKB Deutsche Industriebank AG verantwortlich für die volkswirtschaftlichen Analysen, Prognosen und Einschätzungen der Bank. Er schreibt zu aktuellen und übergeordneten Konjunktur-, Volkswirtschafts- und Marktthemen. Zudem kommentiert er regelmäßig konjunkturelle Entwicklungen in renommierten Wirtschaftsmedien und ist mit seinen pointierten Präsentationen häufiger Gast bei Verbänden und Unternehmen. Zuvor arbeitete Klaus Bauknecht in verschiedenen leitenden Positionen anderer Banken und im südafrikanischen Finanzministerium.
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