[Kapitalmarkt-News vom 16. Februar 2022]

Fazit: Was würde eine weitere Eskalation des Ukraine-Konflikts für die Märkte bedeuten? „Cash“ ist King, das gilt sowohl für den US-Dollar, wie für Staatsanleihen; alles was keinen „sicheren Hafen“ darstellt, würde zusätzlich unter Druck geraten. Im weiteren Verlauf würden die Notenbanken für ausreichend Entspannung bzw. Liquidität sorgen müssen, was wiederum die Börsen und risikoreiche Anlagen stützen würde. Das Vertrauen in die Notenbanken als verlässlicher Retter der Märkte mag jedoch angesichts des aktuellen Zinsniveaus und der Inflationsentwicklungen etwas angezweifelt werden.

Der Nahost-Konflikt Anfang der 1970er-Jahre und die damit verbundene Ölkrise haben gezeigt, dass Angebotsschocks bzw. Ölpreisanstiege im Kontext einer relativ lockeren Geldpolitik zu spürbarem und über Jahre anhaltendem Inflationsdruck führen können. Dem musste die Fed damals durch eine drastische geldpolitische Straffung entgegenwirken, was zu sichtbaren Verwerfungen auf den Märkten führte. Deshalb sind die Fed und die EZB gut beraten, an ihrem Normalisierungspfad im Jahr 2022 festzuhalten – trotz oder gerade wegen der Ukraine-Krise.

Der Ukraine-Konflikt verunsichert die Märkte. Und wie zu erwarten war, sind „sichere Häfen“ wie Staatsanleihen und der US-Dollar wieder einmal gefragt, während Aktienkurse unter Druck geraten. Somit wurde auch der Auftrieb der Bundrenditen vorerst gestoppt. Wie geht es nun weiter? Auch wenn die Ukraine angesichts ihrer volkswirtschaftlichen Bedeutung auf globaler oder europäischer Ebene eher eine untergeordnete Rolle spielt, birgt der Konflikt bedeutendes Risikopotenzial. Schließlich droht der Westen mit spürbaren Gegenmaßnahmen, sollte Russland in die Ukraine einmarschieren. Die Maßnahmen gegen Russland dürften sicherlich keine militärischen sein, sondern es dürfte sich eher um politische und wirtschaftliche Sanktionen handeln. Deren Erfolg ist jedoch anzuzweifeln. Dies lehrt zumindest die Geschichte.

Mit einer Ölförderung von über 10 Mio. Barrel pro Tag ist Russland nach den USA und Saudi-Arabien drittgrößter Ölproduzent; zudem ist Russland nach den USA auch der zweitgrößte Gasproduzent. So wie Konflikte im Nahen Osten und im Iran die erste und zweite Ölkrise verursacht haben, wäre bei einer Eskalation des Konfliktes auch aktuell mit einem starken Ölpreisanstieg zu rechnen – vor allem wenn Russland seine fossilen Brennstoffe im Gegenzug zu den Sanktionen als wirtschaftliche Waffe einsetzen würde. Denn kurzfristig könnten andere ölexportierende Länder kaum einen bedeutenden Rückgang der russischen Öllieferungen kompensieren. Profiteur dieses Konflikts wäre wieder einmal China, das Netto-Importeur von Öl ist. Wie bereits nach den Sanktionen infolge der Krim-Besetzung würde der Ukraine-Konflikt China und Russland wirtschaftlich enger zusammenrücken lassen – und die Schlagkraft jeglicher westlicher Sanktionen gegen Russland schwächen.

Eine Eskalation des Ukraine-Konflikts würde auch die Inflationsrate weiter ansteigen lassen. Zum einen, weil der Ölpreis infolge der Konjunkturrisken spürbar nach oben tendieren würde; zum anderen, weil die Konjunktursorgen Aktienmärkte und Vertrauen belasten würden, was die Konjunktur dämpfen würde. Die Fiskalpolitik bliebe dann im Krisenmodus. Davon ist auch aufgrund der Erfahrung früherer Krisen und dank des durch die Notenbank geschaffenen Handlungsspielraums auszugehen. Zudem würden Disruptionen bei den Gaslieferungen die Angebotsseite der europäischen Wirtschaft empfindlich treffen und so dem Inflationsdruck weiter Auftrieb geben – und dies gerade, weil die Geldpolitik allgemein und die der EZB insbesondere schon im Vorfeld der Krise außerordentlich expansiv ausgerichtet waren. 

Annahmen, ein eskalierender Ukraine-Konflikt würde die Notenbanken zu einer Wende ihres aktuellen Versuchs einer geldpolitischen Normalisierung zwingen, und sie würden wieder in den Krisenmodus zurückfallen bzw. dort verweilen, sind in Europa kaum nachvollziehbar. In den USA, wo die Fed ambitionierte Zinsanhebungen für 2022 in Aussicht gestellt hat und wo Aktienkurse einen höheren Einfluss auf die persönliche Vermögensentwicklung haben, mag dies vielleicht zutreffen. Aktuell lassen Zinspolitik und Inflationsentwicklung der EZB jedoch wenig Raum für Lockerungen bzw. ein „weiter so“. Gerade wenn die Angebotsseite infolge hoher Unsicherheit Investitionen zurückhält, besteht die Gefahr eines zunehmenden Ungleichgewichts von Angebot und Nachfrage, das zu Inflation oder sogar Stagflation führen kann. Auch die Fed wird deshalb die Zinsen im Jahr 2022 anheben; eine Eskalation des Ukraine-Konflikts wird daran nichts ändern. Denn für die USA wird aktuell und trotz der Erwartung mehrerer Zinsanhebungen der Fed bis Ende 2022 von einem Leitzinsniveau ausgegangen, das immer noch unter der Inflation liegen sollte. Noch besteht also für die Aktienbörsen keine Gefahr, dass steigende Zinsen und eine schwächere Konjunktur zu Margendruck und damit Gewinnrückgängen führt. Die aktuelle Volatilität ist eher auf die erhöhte Unsicherheit zurückzuführen als auf eine sich grundsätzlich eintrübende Konjunkturentwicklung. Dennoch birgt der Ukraine-Konflikt ein Risiko für die Börsen – vor allem, wenn die Notenbanken zu spät auf den Inflationsdruck reagieren. 

Der Ukraine-Konflikt wird in den USA kaum aufgrund einer Ausweitung der Rüstungsausgaben zu einem Nachfrageschub führen, wie zu Zeiten des Vietnam- oder Kuwait-Krieges. Dies gilt sicherlich ebenfalls für die meisten westlichen Länder, auch wenn diese vereinzelnd die Ukraine durch Waffenlieferungen unterstützen. Die aktuelle Situation ist eher mit dem Nahost-Konflikt Anfang der 1970er-Jahre zu vergleichen. Zwar hatte die USA damals Israel massive Unterstützung zugesichert. Der Schaden für die US-Wirtschaft ergab sich aber weniger durch die enorme Ausweitung der Staatsausgaben, sondern durch einen starken Anstieg des Ölpreises bzw. eine Stagflation: Der eskalierende Ölpreis sorgte für eine hohe Inflation, während die Arbeitslosenquote ebenfalls deutlich anstieg. Gleiches geschah Anfang der 1980er-Jahre infolge der iranischen Revolution. Auch damals zog die Inflationsrate an, bis Paul Volcker (von August 1979 bis August 1987 Chairman der Fed) die Teuerung, die eigentlich bereits Mitte der 1960er-Jahre begonnen hatte, durch drastische Zinsanhebungen stoppte. Es ist wichtig zu erkennen, dass die Krisen zwar die Inflationsrate weiter nach oben trieben; der unterliegende Inflationsdruck hatte allerdings schon früher bestanden. Es war die Kombination aus einer seit dem Vietnam-Krieg zu lockeren Geldpolitik und zwei Ölpreisschocks, die damals für anhaltend hohe und ansteigende Inflationsraten sorgte.

Auch aktuell ist die Geldpolitik außerordentlich expansiv, und die Inflation befindet sich auf einem Mehr-Jahreshoch. Eine zunehmende Zuspitzung der Ukraine-Krise aufgrund von Ölpreisschocks und Angebotsproblemen durch Sanktionen, fehlenden Investitionen und womöglich abnehmender Globalisierung könnte zu einer weiteren Beschleunigung der Inflationsdynamik führen. Dies würde auch das Risiko von Zweitrundeneffekten und damit einer deutlich restriktiveren Geldpolitik in der Zukunft erhöhen. In den USA ist die Inflation zwar infolge der Volcker-Politik schließlich spürbar gesunken. Die extrem hohen Zinsen hatten aber noch einen anderen Effekt: die lateinamerikanische Schuldenkrise. Wenn Notenbanken ihre Zinsen nicht drastisch anheben wollen, um so die Schuldentragfähigkeit ihrer oder anderer Staaten nicht zu belasten, müssen sie ihren Normalisierungsprozess gerade aufgrund der Entwicklungen in der Ukraine im Jahr 2022 fortsetzen. Alles andere würde auf deutlich stärkere Zinsanhebungen mit den daraus folgenden zukünftigen Disruptionen für die Finanzmärkte hinauslaufen.

Doch ist es realistisch zu erwarten, dass die Fed bei einer Eskalation des Ukraine-Konflikts, volatilen Börsen und einem relativ starken US-Dollar-Devisenkurs an der Zinsschraube im Jahr 2022 drehen wird? Angesichts des aktuellen Zinsniveaus und der steigenden Inflationsrisiken – ja. Noch kann die erwartete Zinsanhebung eher als Normalisierung als ein konkreter Versuch einer geldpolitischen Straffung angesehen werden. Dies gilt vor allem auch für die EZB. Nach Beendigung des Ankaufprogramms voraussichtlich im dritten Quartal von 2022 sind ein bis zwei Zinsschritte bis Ende 2022/Anfang 2023 zu erwarten. Dann wäre der Einlagenzinssatz voraussichtlich bei 0 % – und damit alles andere als auf einem Niveau, das einer restriktiven Geldpolitik entsprechen würde. Die Wirtschaft bewusst abzukühlen, um die Inflation zu bekämpfen, wäre demnach weiterhin nicht das Ziel der Geldpolitik. Dies gilt vor allem auch dann, wenn das lange Ende der deutschen Zinskurve nicht auf die Inflationsrisiken aus der Ukraine-Krise überreagiert, sondern ihr Anstieg durch den „safe haven“-Status der deutschen Staatsanleihen gemildert wird. Somit sollten die erwarteten Zinsanhebungen der Fed sowie der EZB die inflationären Risiken aus dem Ukraine-Konflikt nicht nennenswert dämpfen. Aber immerhin bewegen sich die Notenbanken graduell in ein neutrales geldpolitisches Umfeld und reduzieren somit das Risiko von nennenswerten zukünftigen Zinsanhebungen.

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