[Kapitalmarkt-News vom 25. Oktober 2022]
Fazit: Das Verarbeitende Gewerbe spürt zunehmend Gegenwind – von der Angebots- wie auch von der Nachfrageseite. Die Stimmungsindikatoren lassen keinen Zweifel: Die deutsche Wirtschaft befindet sich in einer Rezession, und viele Branchen des Verarbeitende Gewerbes werden im Jahr 2023 Produktionseinbrüche erleben.
Das hohe Auftragspolster dürfte nur bedingt helfen; schließlich sind die Treiber der aktuellen Rezession – höhere Energiekosten, Kaufkraftverluste und steigende Zinsen – keine einmaligen Schocks, die kurzfristig überbrückt werden können und eine schnelle Konjunkturerholung ermöglichen. Vielmehr sind es strukturelle Herausforderungen, die den Produktionsstandort Deutschland auch mittelfristig belasten.
Die IKB erwartet für das Jahr 2023 einen BIP-Rückgang von 0,8 %. Das Verarbeitende Gewerbe wird mit einem erwarteten Produktionsrückgang von ca. 5 % noch deutlich stärker belastet.
ifo Geschäftsklima auf Talfahrt
Im September hatte das ifo Geschäftsklima einen klaren Stimmungseinbruch signalisiert, der sich vor allem in den Erwartungen niederschlug. Jüngste Entwicklungen beim Einkaufsmanagerindex und auch der ifo-Index für Oktober bestätigen dieses Bild. Zwar konnte sich das Geschäftsklima nahezu stabilisieren, es bleibt aber auf extrem niedrigem Niveau. Die Gründe für die anhaltend schlechte Stimmung sind bekannt, eine schnelle Wende ist nicht zu erwarten. Und die Stimmung könnte sich in den kommenden Monaten sogar noch weiter verschlechtern. In den USA und Europa schrauben die Notenbanken an der Zinsschraube und nehmen eine Rezession in Kauf bzw. forcieren sie, um die eskalierende Inflationsrate perspektivisch in den Griff zu bekommen. Die reale Kaufkraft geht spürbar zurück, die Zinslast steigt, das Konsumentenvertrauen ist im Keller.
Konjunktureller und struktureller Gegenwind verhindern schnelle Erholung
Für Unternehmen ergibt sich daraus eine sinkende Nachfrage bei weiterhin hohem Kostendruck. Auch wenn die Preissteigerungen für konjunktursensitive Rohstoffe sowie für Nahrungsmittel bereits spürbar nachgelassen haben, ergeben sich vor allem aufgrund der Probleme bei der Gasversorgung nachhaltig höhere Energiekosten. Kurzfristig versucht die Bundesregierung Privathaushalte und Unternehmen mit verschiedenen Entlastungspaketen unter die Arme zu greifen. Dennoch werden die Energie- bzw. Gaskosten am Industriestandort Deutschland nachhaltig höher liegen als vor dem Krieg in der Ukraine. Auch wird es im Jahr 2023 infolge der hohen Inflation zu spürbarem Lohndruck kommen. All dies belastet die aktuelle und zukünftige Margenentwicklung der Unternehmen, was wiederum die Stimmung und damit auch die Bereitschaft dämpft, am Standort Deutschland zu investieren.
Noch wird die aktuelle Lage besser eingeschätzt als die Erwartungen. Dies beruht zum einen darauf, dass gerade im Verarbeitenden Gewerbe viele Unternehmen über ein dickes Auftragspolster verfügen. Ob dieses Polster die Unternehmen durch die Rezession tragen wird, ist jedoch weniger eindeutig. Dies gilt vor allem auch deshalb, weil Überbrückungsmaßnahmen im aktuellen Umfeld nicht ausreichen. Schließlich ist die Rezession nicht auf kurzfristige Faktoren zurückzuführen, deren Ende absehbar ist. Deshalb ist auch nicht von einer V-förmigen Konjunkturerholung auszugehen. Im Gegenteil, die sich hinziehenden Verteilungskämpfe aufgrund der Inflationsdynamik sowie nachhaltig höherer Energiekosten lassen befürchten, dass die Erholungsdynamik am Standort Deutschland womöglich auch mittelfristig belastet sein wird.
Hierbei gilt es zwischen den Branchen zu differenzieren. In energieintensiven Branchen wie der Chemieindustrie ist sicherlich auch langfristig mit strukturellen Veränderungen zu rechnen, vor allem was die Basischemie angeht, die bereits aufgrund der explodierenden Gaspreise spürbare Produktionsdrosselungen vornehmen musste. Andere Branchen wie die Automobilindustrie werden hingegen noch von einer robusten Nachfrage und hohem Auftragsbestand getragen. So konnten die Pkw-Neuzulassungen im September sogar positiv überraschen – und zwar in allen großen Absatzmärkten wie USA, Europa oder China. Doch steigende Zinsen, vor allem in den USA, hinterlassen bereits ihre Spuren am US-Immobilienmarkt und werden in den kommenden Monaten auch die Autofinanzierung und damit die Pkw-Nachfrage empfindlich treffen. Die aktuelle Lageeinschätzung und der hohe Auftragsbestand sind kein Indiz für eine milde Rezession und sollten deshalb nicht zu einem falschen Gefühl der Sicherheit verleiten.
China wieder einmal Anker für globale Wirtschaftsstabilität?
Die deutsche Konjunktur wird sich also weiter eintrüben. Sicherlich werden international aufgestellte und global produzierende Unternehmen weniger stark betroffen sein, – auch wenn das Konjunkturumfeld infolge eines synchronen Abschwungs wichtiger Märkte zunehmend in Mitleidenschaft gezogen wird und durchaus von einer globalen Rezession ausgegangen werden muss. Dabei folgt die chinesische Wirtschaft einer anderen Dynamik. Hier spielen die Null-Covid-Politik und ein abkühlender Immobilienmarkt eine größere Rolle als Inflation und geldpolitische Straffung. Demnach haben Fiskal- und Geldpolitik dort auch Raum, um expansive Gegenmaßnahmen einzuleiten. Bereits im dritten Quartal des laufenden Jahres ist vor allem aufgrund von Infrastrukturausgaben eine erhöhte Investitions- und Wachstumsdynamik zu erkennen. So dürfte sich China wieder einmal als wichtige Stabilisierungsgröße der weltweiten Konjunktur erweisen. Ob gewünscht oder nicht: Chinas Volkswirtschaft wird erneut eine bedeutende Rolle spielen, die Weltwirtschaft in Schwung zu halten. Dies gilt auch für viele deutsche Industriebranchen, für die China neben den USA der wichtigste Exportmarkt ist. Allerdings scheint der Standort Deutschland zunehmend den Anschluss an globale Wachstumsdynamiken zu verlieren (s. Abb. 2). Global produzierende deutsche Unternehmen mögen zwar von der Bedeutung und Dynamik Chinas profitieren; der Standort Deutschland kann aber immer weniger von den globalen Wachstumsimpulsen profitieren. So haben sich im Zeitverlauf die Unterschiede zwischen dem deutschen und weltweiten Industriewachstum deutlich ausgeweitet. Die deutsche Industrie verliert mehr und mehr den Anschluss an die globale Dynamik. Diese Entwicklung wird durch die aktuell nachhaltig steigenden Energiekosten noch verschärft.
Ausblick für 2023 durch Angebots- und Nachfragethemen belastet
Während Lieferengpässe und Rohstoffmangel noch kurzfristig die Produktion belasten, werden es zunehmend Nachfrage und Margendruck sein, die dem Standort Deutschland zusetzen. Folglich ist der Ausblick für 2023 getrübt – zumindest was die Produktion in Deutschland angeht. So erwartet die IKB für das Jahr 2023 in vielen Branchen einen Produktionsrückgang. Grundsätzlich besteht zudem die Gefahr, dass sich der seit 2017 aufgrund von Wettbewerbsverlusten bestehende negative Trend der Industrieproduktion durch die hohen Energiekosten noch verstärkt. Der deutsche Industriestandort könnte dann weiter von der Wachstumsdynamik der globalen Industrie abgehängt werden.
Dr. Klaus Bauknecht ist als Chefvolkswirt der IKB Deutsche Industriebank AG verantwortlich für die volkswirtschaftlichen Analysen, Prognosen und Einschätzungen der Bank. Er schreibt zu aktuellen und übergeordneten Konjunktur-, Volkswirtschafts- und Marktthemen. Zudem kommentiert er regelmäßig konjunkturelle Entwicklungen in renommierten Wirtschaftsmedien und ist mit seinen pointierten Präsentationen häufiger Gast bei Verbänden und Unternehmen. Zuvor arbeitete Klaus Bauknecht in verschiedenen leitenden Positionen anderer Banken und im südafrikanischen Finanzministerium.
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