[Kapitalmarkt-News vom 20. Oktober 2020]

Fazit: Das deutsche Potenzialwachstum sollte in den kommenden Jahren deutlich sinken. Der Fokus der Wirtschaftspolitik liegt jedoch aktuell wie in den letzten Jahren vor allem auf einer kurzfristigen Krisenbekämpfung. Notwendige und langfristig angelegte Strukturreformen werden dagegen vernachlässigt. Diese sind aber für eine stärkere private Investitionsbereitschaft und eine anpassungsfähige Wirtschaft notwendig. Eine schon länger anhaltend schwache Entwicklung der Unternehmensgewinne in Kombination mit einem erneuten konjunkturellen Einbruch infolge einer zweiten Infektionswelle dürften zudem das systematische Ausfallrisiko in der deutschen Wirtschaft deutlich erhöhen.

Krisen verstärken ein „Fahren auf Sicht“, …

Die vielen Krisen der letzten Jahre führten zu einem immer kürzeren Entscheidungshorizont. Dies gilt sowohl für die Wirtschafts- und Fiskalpolitik als auch für die Investitionsentscheidungen des Privatsektors. Die hohe wirtschaftliche Volatilität erforderte von den Unternehmen einen zunehmenden Fokus auf ihre kurzfristige Stabilisierung und hatte dabei die strategische Ausrichtung in den Hintergrund gedrängt, die angesichts der hohen Unsicherheit ohnehin schwierig zu bestimmen ist. Liquiditätssorgen dominieren die kurzfristigen Entscheidungen; für die mittlere Frist wird von Bedeutung sein, wie nachhaltig die Erholung bzw. Normalisierung eingeschätzt wird.

Die relativ schnell aufeinanderfolgenden Krisen – wie die Finanz-, Euro- oder Coronakrise – hatten bzw. haben einen nachhaltigen Einfluss auf die Investitionsentscheidungen der Unternehmen. Die Folge ist eine Investitionsdynamik, die nicht mehr Treiber des Wachstums ist, sondern die der wirtschaftlichen Entwicklung angepasst wird. Investiert wird nur, wenn es notwendig ist, und nicht um mögliche Opportunitäten zu nutzen und langfristig Zukunftstrends für das Unternehmen zu sichern. Vor diesem Hintergrund wird in der aktuellen Gemeinschaftsdiagnose der führenden Wirtschaftsforschungsinstitute erwartet, dass in den kommenden Jahren die Ausrüstungsinvestitionen in Deutschland ihr Vorkrisenniveau so schnell nicht wieder erreichen werden.

Aus dieser Sicht ist die von der Bundesregierung angetriebene Investitionsoffensive – vor allem in die Digitalisierung und Nachhaltigkeit – durchaus lobenswert. Hier mag sich die Coronakrise sogar als Katalysator für öffentliche Investitionsschübe vor allem in Zukunftstechnologien erweisen. In welchem Maße diese Impulse nachhaltiges Wachstum liefern, bleibt jedoch abzuwarten, da die Motivation für diese Investitionen nicht immer von Rentabilitäts- und Wachstumsperspektiven getrieben ist.

… was nachhaltige Wachstumspolitik behindert …

Generell hatte die öffentliche Hand in den letzten Jahren mehr die Krisenbekämpfung im Fokus, als die Anpassungsfähigkeit der Wirtschaft auf volatile Entwicklungen nachhaltig zu erhöhen. Kurzfristig sind in einer Krise die soziale Grundsicherung und Stabilisierungsmaßnahmen absolut notwendig, damit die Handlungsfähigkeit der Wirtschaft und der Gesellschaft erhalten bleibt. Langfristig wirken solche Maßnahmen jedoch oftmals kontraproduktiv, vor allem wenn es darum geht, die Wirtschaft in die Lage zu versetzen, die neuen Herausforderungen anzugehen. Zwar ist eine kurzfristige Einkommensabsicherung absolut notwendig, langfristig muss aber eine Senkung der Steuerlast für die Privatwirtschaft im Vordergrund stehen.

Seit den Hartz-Reformen (2002 bis 2005) gab es in Deutschland keine bedeutenden Wirtschaftsstrukturreformen mehr. Es standen vor allem Konjunkturprogramme und soziale Maßnahmen im Vordergrund, die die Anpassungsfähigkeit der Wirtschaft, auf Krisen erfolgreich zu reagieren, eher erschwerten. Überleben mit Hilfe von Staatshilfen scheint zunehmend die Devise zu sein. Anstatt Flexibilität durch Marktanpassungen zu fördern und Marktkräfte zuzulassen, wurde in den letzten Jahren vor allem auf Staatsinterventionen vertraut. Dies zeigt die aktuelle Politik zur Kurzarbeiterregelung: Kurzfristig ist das ohne Frage ein erfolgreicher Ansatz, um die Einkommen der privaten Haushalte zu sichern und die Produktion während und nach der Krise anpassungsfähig zu halten. Die Verlängerung bis Ende 2021, unabhängig vom tatsächlichen Konjunkturverlauf, kann dagegen zu einem reinem Subventionsmodell für Lohnzahlungen verkommen (siehe IKB-Kapitalmarkt-News 14. September 2020).

Reale Löhne und damit Lohnstückkosten steigen in Deutschland bereits seit Längerem und verschlechtern damit die preisliche Wettbewerbsfähigkeit des Produktionsstandorts Deutschland. Hier ist aus struktureller Sicht eine wachstumsfördernde Zuwanderungspolitik und damit weitere Liberalisierung des Arbeitsmarktes für qualifizierte Fachkräfte erforderlich, um das Humankapital in Deutschland effektiv und ausreichend anwachsen zu lassen – mit dem Ziel, das Potenzialwachstum perspektivisch zu erhöhen.

… und das Potenzialwachstum belastet

Eine zurückhaltende Investitionstätigkeit führt zu einer weniger dynamischen Akkumulation von Kapital am Produktionsstandort Deutschland. Dies wiederum belastet das Wachstumspotenzial. Um diese Dynamik zu durchbrechen, wären positive Schocks bzw. eine anhaltende Phase von überraschend starkem und vor allem stabilem Wirtschaftswachstum notwendig. Dann würde sich der wirtschaftliche Ausblick und damit das Investitionsklima wieder verbessern. Allerdings hat selbst die stabile und recht kräftige Wirtschaftsdynamik nach der Euro-Krise nicht dazu geführt, die private Investitionsdynamik in der Euro-Zone sowie in Deutschland nachhaltig zu stärken. Ein Grund dafür waren auch die anhaltend unsicheren Rahmenbedingungen. Gerade die private Investitionsdynamik und damit das Potenzialwachstum können nicht durch kurzfristige Konjunkturprogramme oder staatliche Investitionsimpulse nachhaltig gestärkt werden. Hierfür sind vor allem mehr Planungssicherheit und damit attraktive Rahmenbedingungen erforderlich.

Die aktuelle Gemeinschaftsdiagnose attestiert der deutschen Wirtschaft in den kommenden Jahren ein Potenzialwachstum von nur um oder sogar unter 1 % pro Jahr. Für die Phase 2013 bis 2018 lag die Schätzung immerhin bei fast 1,5 %. Der Grund für die Abschwächung liegt vor allem in der demografischen Entwicklung verbunden mit einer geringeren Erwerbstätigenanzahl. Ein Potenzialwachstum von um die 1 % ist deutlich niedriger als das durchschnittliche Wachstum der Weltwirtschaft, das mehr als dreimal so hoch ausfällt. Deutsche Unternehmen müssen also weiterhin globale Produktionskapazitäten aufbauen, wenn sie ihre globalen Marktanteile halten wollen.

Hohes strukturelles sowie konjunkturelles Risiko für Unternehmensausfallraten

Gemäß der Gemeinschaftsdiagnose ist die Gewinnquote des privaten Sektors (Betriebsüberschüsse und Selbstständigeneinkommen in Relation zur Bruttowertschöpfung – Gemeinschaftsdiagnose S. 44) in den Jahren vor der Finanzkrise deutlich angestiegen. Dies hatte sicherlich auch mit den Hartz-Reformen zu tun, die zu einem Rückgang der realen Löhne geführt hatten. Auch ist der Gewinnanteil bereits in den Jahren 2010 und 2011 wieder deutlich angestiegen, was entscheidend zu dem niedrigen Anstieg der Unternehmensinsolvenzen beigetragen haben dürfte. Das ist in der aktuellen Situation grundsätzlich anders. Die Gewinnquote ist nun schon seit Jahren rückläufig, was zuletzt verstärkt mit dem schwierigen konjunkturellen Umfeld in den Jahren 2018 und 2019 grundsätzlich auch mit den anhaltend hohen Lohnsteigerungen ohne bedeutendes Produktivitätswachstum verbunden ist. Dies hat wiederum den Arbeitnehmerentgeltanteil am Volkseinkommen deutlich steigen lassen. Lag die Gewinnquote laut Gemeinschaftsdiagnose um die 31 % vor der Finanzkrise, so hat sich diese auf ca. 22 % im Jahr 2019 reduziert.

Infolge der Finanzkrise sind die Unternehmensinsolvenzen in Deutschland zwar angestiegen. Sie blieben jedoch weit unter dem Niveau, das anfänglich befürchtet wurde. Auch infolge der Corona-Pandemie wird von einer Zunahme der Unternehmensausfälle ausgegangen. Zwar haben staatliche Maßnahmen und Regeln den Unternehmen Zeit und Möglichkeiten geschaffen, die Zahlungsfähigkeit kurz- bis mittelfristig zu vermeiden. Mit der Erwartung, dass die Erholung nun doch langsamer verlaufen könnte, nimmt die Sorge zu, dass die konjunkturelle Welle nicht ausreichend stark sein könnte, um alle Boote ausreichend zu tragen. Dies gilt nicht nur für Dienstleistungsbranchen wie Tourismus und Gastronomie, sondern zunehmend auch für das Verarbeitende Gewerbe, das sich in den letzten Monaten zwar deutlich erholen konnte und so das systematische Ausfallrisiko reduziert hat, nun aber womöglich vor erneuten lokalen wie globalen Herausforderungen steht.

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