[Energy & Utilities-Information vom 25. August 2022]
Für die im internationalen Vergleich zu hohen Industriestrompreise in Deutschland waren jahrelang in erster Linie Abgaben und Umlagen verantwortlich. Angesichts der Entwicklung der Börsenstrompreise seit dem zweiten Quartal 2021 verpufft allerdings die Abschaffung der EEG-Umlage zum 1. Juli 2022 weitestgehend und der Wettbewerbsnachteil ist bereits in den reinen Stromgestehungskosten zu finden. Neben Nachhaltigkeitsbestrebungen sprechen daher verstärkt ökonomische Überlegungen für Investitionen in Erneuerbare Energien-Anlagen.
Terminmärkte signalisieren mittelfristig hohe Börsenstrompreise
Die Unsicherheiten hinsichtlich der Verfügbarkeit des Energieträgers Gas sorgen seit Monaten für erhöhte Volatilität an den Energiemärkten und die Preise erfüllen ihre Funktion als Knappheitssignal. Die sukzessive Umstellung der deutschen und europäischen Marktversorgung von russischem Pipeline-Gas auf Flüssiggas (LNG) zu Weltmarktpreisen verfestigt den Gaspreis mittelfristig auf hohem Niveau. Da Gaskraftwerke in der Regel die Grenzanbieter im Strommarkt sind, stellt der Gaspreis den wesentlichen Treiber für den Strompreis dar. Die aktuell eingeschränkte Verfügbarkeit von Kohle- und französischen Atomkraftwerken aus meteorologischen und technischen Gründen verschärft die Lage zusätzlich.
Marktwerte für Wind- und Solarstrom ziehen mit
Profiteure der hohen Strompreise sind die Betreiber von Erneuerbare Energien-Anlagen. Der Marktwert für Solarstrom stieg im Juli 2022 auf 26,1 ct/kWh und für Windenergie an Land auf 27,8 ct/kWh. Ein Großteil der Anlagenbetreiber verzichtet bereits seit Monaten auf die EEG-Vergütung und erzielt stattdessen deutlich höhere Erlöse im Wege der sonstigen Direktvermarktung des produzierten grünen Stroms. Abnehmer können beim Abschluss von Stromlieferverträgen (PPAs) signifikant niedrigere Strompreise nur dann realisieren, wenn sie entsprechend längere Vertragslaufzeiten in Kauf nehmen und ggf. Zugeständnisse bei den Erzeugungs- bzw. Lieferprofilen machen. Dennoch kann die Investition in PPAs als Baustein des Stromeinkaufs lohnenswert sein, um sich gegen zukünftige Strompreisentwicklungen teilweise abzusichern und auf die eigene Nachhaltigkeitsstrategie einzuzahlen.
Regulatorisches Umfeld für Investitionen verbessert sich
Ökonomisch optimal ist die Option einer direkten Investition in Erneuerbare Energien-Anlagen, typischerweise in Photovoltaik-Anlagen (PVA), auf eigenen Gewerbeflächen oder in räumlicher Nähe zum eigenen Werksgelände, wenn der erzeugte Strom zu einem möglichst hohen Anteil selbst und ohne Inanspruchnahme des öffentlichen Netzes genutzt werden kann. Förderlich wirkt hier die EEG-Novelle 2023, mit der die Ausschreibungspflicht für PVA erst ab einer Anlagengröße von 1 MWp greift. Zudem entfällt die bislang für Gebäudesolaranlagen geltende Restriktion, dass die Förderung auf 50 % der erzeugten Strommenge begrenzt wird. Im Hinblick auf die Wirtschaftlichkeit ist abzuwägen, ob die Optimierung des Eigenverbrauchs durch Kombination mit Speichermedien oder die ausschließliche Einspeisung des Überschussstroms ins öffentliche Netz vorteilhafter ist.
Preise für schlüsselfertige Erneuerbare Energien Anlagen bleiben hoch
Eine hundertprozentige Eigenversorgung wird nur in Ausnahmefällen gelingen. Dies gilt insbesondere für industrielle Großverbraucher. Daher ist der Erwerb von Wind- oder größeren Solarparks eine weitere Option, um überhaupt signifikante Strommengen zu generieren und im Rahmen eines PPAs bilanziell erfassen zu können. Allerdings ist die Projektentwicklung von Wind- und Solarparks von einem ausgeprägten Verkäufermarkt gekennzeichnet, weshalb das eingeschränkte Angebot und hohe Kaufpreise Herausforderungen im M&A-Prozess bzw. hinsichtlich der Renditeerwartungen darstellen können.
Fazit: wer kann, investiert jetzt
Letztlich sind Investitionen in den Strombezug aus Erneuerbare Energien-Anlagen einerseits vor dem Hintergrund der langfristigen Erwartungen in Bezug auf die Strompreisentwicklung zu beurteilen. Andererseits liefert der „grüne“ Strom grundsätzlich einen Beitrag zur Erreichung der eigenen Nachhaltigkeitsziele durch Anrechnung auf die Emissionen. Neben den für Wind- und Solarparks üblichen Projektfinanzierungen sind auch alternative Lösungen im Rahmen der Unternehmens- bzw. Konzernfinanzierung in Betracht zu ziehen. Dies empfiehlt sich insbesondere, wenn als Industrieunternehmen nur wenige Erneuerbare Energien Anlagen betrieben werden und die mit einer Projektfinanzierung verbundene höhere Komplexität inklusive einer zusätzlichen Finanzberichterstattung vermieden werden soll. Im Falle des Erwerbs von schlüsselfertigen Wind- oder Solarparks wird der Kaufpreis ohnehin über die Konzernbilanz finanziert werden müssen.
Dennis Rheinsberg ist Direktor und Head des Sektorteams Energy, Utilities & Resources. Dort ist er verantwortlich für die Bereiche Energie, Rohstoffe und Metalle und involviert in Projekt- und Unternehmensfinanzierungs- sowie Corporate Finance-Transaktionen der Bank. Zu den von ihm betreuten Unternehmen gehören insbesondere Projektentwickler und Investoren in Erneuerbare Energien sowie die metallerzeugende und -verarbeitende Industrie. Nach dem Studium der Volkswirtschaft an der Universität zu Köln hat er seine ersten sechs Berufsjahre als Unternehmensberater absolviert, bevor er 2011 zur IKB stieß.
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