[Kapitalmarkt-News vom 8. Juli 2021]
Fazit: Die EZB bekennt sich zu einem symmetrischen Inflationsziel von 2 %. Doch ein Ziel, das in den letzten 10 Jahren weit verfehlt wurde, wird nicht durch eine marginale Anpassung relevant und glaubwürdig. Gleiches gilt für die Betonung der Symmetrie. Sie ist zwar in der geldpolitischen Realität notwendig, damit ein Inflationsziel stabil bleibt; symmetrische Geldpolitik benötigt aber vor allem absolute Handlungsfreiheit.
Ob die Teuerungsrate in den kommenden Jahren näher am offiziellen Inflationsziel liegen wird, hängt deshalb weniger von definierten Zielen ab, sondern vielmehr von deren Realisierung durch die EZB. Deren Bereitschaft zu tun „whatever it takes“ hat zwar mit der jüngsten Bilanzausweitung in Form des PEPP-Programms an Glaubwürdigkeit gewonnen; ob diese anhält, bleibt jedoch abzuwarten. Aktuellen Handlungsdruck in Anbetracht steigender Teuerungsraten gibt es hingegen nicht. Dies war allerdings bereits beim alten Inflationsziel so.
Was wurde angekündigt?
In der strategischen Überprüfung der Geldpolitik hat die europäische Notenbank folgende Beschlüsse veröffentlicht:
- Die EZB ändert ihr Inflationsziel: Von einem Ziel „unter, aber nahe an 2 %“ wird ein symmetrisches mittelfristiges Inflationsziel von 2 %.
- Veränderungen des Verbraucherpreisindex sind weiterhin Grundlage für die Inflationsmessung. Allerdings wird dieser angepasst, um der Kostenentwicklung von selbstgenutztem Eigentum gerecht zu werden.
Analyse, Meinung und Einschätzung
Auf Grundlage des Inflationsverlaufs zwischen 2010 und 2020 würde eher ein Inflationsziel der EZB von knapp unter 1,5 % naheliegen mit einer Bandbreite zwischen 0 und 3 %. Die Inflationsrate hätte dann über mehrere Jahre dieses Ziel nach oben wie unten verfehlen können. Das tatsächliche Ziel einer Inflationsrate nahe, aber unter 2 %, zeigt hingegen wenig Übereinstimmung mit der realen Inflationsrate, denn die EZB hat in den letzten 10 Jahren ihr Inflationsziel bei einer tatsächlichen durchschnittlichen Inflationsrate von nur 1,2 % im Schnitt deutlich verfehlt. Nun mag über Durchschnitte und Symmetrie viel diskutiert werden; eins scheint jedoch klar: Auch wenn sich die EZB nicht auf den Durchschnitt konzentriert, gibt dieser dennoch das effektive, umgesetzte bzw. realisierte Inflationsergebnis über einen längeren Zeitraum wieder. So konnte in den letzten 10 Jahren nicht von der eingetretenen durchschnittlichen Inflationsrate auf das offizielle Ziel geschlossen werden.
Wenn eine Notenbank ihr Inflationsziel über 10 Jahre verfehlt, ist entweder das Ziel gar nicht oder nur schwer erreichbar, oder die Notenbank hat sich nicht ausreichend bemüht. Da die Inflationsrate vor der Finanzkrise relativ stabil war, mag auf Finanz-, Euro- und jüngst Corona-Krise sowie die Tatsache verwiesen werden, dass exogene Schocks die Zielerreichung oft nicht möglich gemacht haben, selbst nicht über einen Zeitraum von 10 Jahren. Eine andere Schlussfolgerung wäre, dass die EZB-Politik nicht ausreichend expansiv ausgestaltet war. Eins scheint zusammenfassend klar: Angesichts der Entwicklung in den letzten Jahren sind eine nur marginale Anpassung des Inflationsziels und der Verweis auf Symmetrie erst einmal verwunderlich – und ohne überzeugende Umsetzungsmaßnahmen von wenig Bedeutung.
Die EZB betont Symmetrie und verspricht damit, auf Über- sowie Untertreibungen gleich stark bzw. symmetrisch zu reagieren. Dies ist für ein erfolgreiches Inflationsziel allerdings selbstverständlich. Falls dies nicht der Fall ist, ist die Inflationsrate keine stabile bzw. stationäre Zeitreihe und das Inflationsziel kein stabiler Anker für Inflationserwartungen. Genau das war aber seit dem Jahr 2010 der Fall und stärkt die Einschätzung, die EZB habe zu lange zu wenig getan. Demnach hat sie also nicht konsequent genug gehandelt, somit eine Asymmetrie verursacht, die zu einer in der Tendenz fallenden Inflationsrate geführt hat. Aus dieser Sicht ist die Betonung auf Symmetrie durchaus wichtig. Diese muss allerdings in der effektiven Umsetzung zu erkennen sein und sollte nicht nur in der Zielstellung erwähnt werden.
Für eine Notenbank, die bei sinkender Inflation nicht bereit ist, sich von konventioneller Geldpolitik entschieden zu verabschieden, ist Symmetrie jedoch ein schweres Unterfangen. Argumente, die Geldpolitik stoße an ihre Grenzen, sind hierbei immer wieder zu hören – sind aber dennoch falsch. Der Einfluss von Zinsen bei einer Inflationsrate von 0 % mag an seine Grenzen kommen. Das Instrument der Bilanzausweitung, nicht nur allgemein, sondern mit dem expliziten Ziel, die Geldmenge in der Realwirtschaft durch die Finanzierung einer expansiven Fiskalpolitik sicherzustellen, ist jedoch nach wie vor wirksam. Schließlich hat die Notenbank das Monopol der Geldschöpfung. Ein Bekenntnis zu Symmetrie sollte bedeuten, dass die EZB macht, was immer nötig ist – und nicht, was ihr eine prinzipienbasierte Geldpolitik erlaubt. Schließlich sollte sie mit einem expliziten Inflationsziel volle operationelle Unabhängigkeit genießen.
Im Kontext des historischen Inflationsverlaufs mag die Anpassung des Inflationsziels doch eher als marginal und womöglich bedeutungslos angesehen werden. Die Frage ist vielmehr, wird die EZB ihr Handeln im Vergleich zu den letzten 10 Jahren ändern? Die Corona-Pandemie mag ihr beim Umdenken geholfen haben. Endlich wagt die Notenbank die Schritte in Form einer bedeutenden Bilanzausweitung, die eigentlich schon vorher notwendig waren. Denn nur mit viel fiskalischem Spielraum kann die EZB ausreichend effektive Nachfrage schaffen und ausreichend Geld im realwirtschaftlichen Kreislauf sicherstellen.
Die Inflationsrate steigt im laufenden Jahr deutlich an; und auch für 2022 sind die Inflationsrisiken nicht zu unterschätzen. Die EZB weist aber immer wieder darauf hin, dass sie nur auf einen nachhaltigen Inflationsanstieg reagieren wird. Mit der heutigen Betonung des symmetrisches Inflationsziel signalisiert sie somit erneut und sehr deutlich, dass sich aufgrund des aktuellen Inflationsanstiegs kein Handlungsbedarf ergibt. Die Teuerungsrate könnte somit über einen längeren Zeitraum über dem Inflationsziel liegen und damit dafür sorgen, dass das Inflationsziel symmetrisch wird. Wie die EZB allerdings nachhaltig zu ihrem symmetrischen Inflationszielniveau von 2 % kommen will, bleibt abzuwarten.
Die Aussage von Präsidentin Lagarde, im Falle von niedrigerer Inflation kraftvolle Maßnahmen zu nutzen, um eine anhaltend niedrige Inflation zu verhindern und die Symmetrie sicher zu stellen, ist sicherlich lobenswert. Doch die Frage bleibt, wie weit die EZB gehen wird, um zu verhindern, was in den letzten Jahren passiert ist: eine expansive Geldpolitik, die nicht ausgereicht hat, die tatsächliche durchschnittliche Teuerungsrate um das Inflationsziel zu stabilisieren. Ermutigend ist hingegen, dass Lagarde das PEPP-Programm als Beispiel für eine kraftvolle Geldpolitik bezeichnet. Das lässt vermuten, Maßnahmen wie das PEPP-Programm und dessen Größenordnung sind zukünftig nicht nur für Krisenzeiten reserviert.
Dr. Klaus Bauknecht ist als Chefvolkswirt der IKB Deutsche Industriebank AG verantwortlich für die volkswirtschaftlichen Analysen, Prognosen und Einschätzungen der Bank. Er schreibt zu aktuellen und übergeordneten Konjunktur-, Volkswirtschafts- und Marktthemen. Zudem kommentiert er regelmäßig konjunkturelle Entwicklungen in renommierten Wirtschaftsmedien und ist mit seinen pointierten Präsentationen häufiger Gast bei Verbänden und Unternehmen. Zuvor arbeitete Klaus Bauknecht in verschiedenen leitenden Positionen anderer Banken und im südafrikanischen Finanzministerium.
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