[Kapitalmarkt-News vom 24. November 2023]
Fazit: Fehlende Impulse von der Wirtschaftspolitik, aber auch die breite konjunkturelle Abschwächung erhöhen das Risiko einer erneuten Abkühlung des ifo Geschäftsklimas. Dies gilt vor allem angesichts der ambitionierten Transformationsziele, die ohne eine zielgerichtete und effektive Unterstützung durch die Politik nicht erreichbar sind. Nach der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichtes vom 15. November ist es zunehmend zweifelhaft, ob sich die Konjunktureintrübung kurzfristig zu einem Katalysator für Veränderung entwickeln wird.
Zwar sollte sich mit der erwarteten Konjunkturerholung im Jahr 2024 die Stimmung in Deutschland verbessern. Wie nachhaltig diese Aufhellung ausfallen wird, bleibt jedoch abzuwarten. Noch erhält das ifo Geschäftsklima viel Gegenwind – konjunkturell wie strukturell.
Bundesverfassungsgericht und Schuldenbremse: Als ob es nicht schon genug Gegenwind gibt
Der Klima- und Transformationsfonds (KTF) sollte mit einer Summe von 60 Mrd. € aus den Corona-Hilfen finanziert werden. Laut Urteil der Verfassungsrichter dürfen Mittel, die der Bund 2021 ursprünglich zur Bekämpfung der Corona-Krise bereitgestellt hatte, jedoch nicht für den KTF genutzt werden. Denn Notkredite bzw. die Aufhebung der Schuldenbremse seien nur möglich, wenn eine Notsituation bestehe. Das Urteil bestätigt die Schuldenbremse und gibt klare Vorgaben, wann die Ausnahmeklausel der Schuldenbremse genutzt werden darf. Mit dem Urteil stehen dem KTF 60 Mrd. € weniger zur Verfügung.
Die Bundesregierung hat klare Klimaziele für die Wirtschaft und insbesondere für die Industrie definiert. Diese Ziele erfordern eine Transformation des Kapitalstocks und damit weitreichende Abschreibungen sowie Neuinvestitionen. Von Unternehmen wird erwartet, bei Technologie und Geschäftsmodellen ins Risiko zu gehen. Um die Transformationsdynamik in Gang zu bringen bzw. zu beschleunigen, sind deshalb auch Anreize durch den Staat gefragt, etwa durch Subventionen oder durch staatliche Investitionen. Trotz des enormen Erneuerungsbedarfs ist aber sowohl die private als auch die staatliche Investitionsquote zu niedrig. Dennoch bestimmt die Schuldenbremse, die nur auf die Gesamtausgaben abstellt, den staatlichen Finanzierungsspielraum.
Da es bei der Schuldenbremse nur um die Begrenzung der Nettokreditaufnahme geht, also letztlich um die Gesamtausgaben, und da soziale Leistungen nur selten zurückgefahren werden, führt eine konsequente Anwendung der Schuldenbremse zu einer Verdrängung von Investitionen. Außerdem gibt die derzeitige Ausgestaltung der Schuldenbremse dem Staat nur Handlungsspielraum in Notlagen. Wenn es darum geht, in Krisenzeiten die Wirtschaft zu stützen, kann die Schuldenbremse ausgesetzt werden – was aus Stabilitätsgesichtspunkten sicherlich zu befürworten ist. Geht es aber um strukturelle Herausforderungen und damit mehrjährige Vorhaben, greift die Schuldenbremse wieder und engt das Handlungspotenzial des Staates zur Stärkung des Potenzialwachstums ein. Die negativen Folgen sind in den letzten Jahren klar zu Tage getreten. In den Jahren mit negativen Zinsen konnte der Staat nicht die Gelegenheit nutzen, mit „billigem“ Kapital seine Investitionsquote deutlich auszuweiten und strukturelle Herausforderungen voranzutreiben, wie den sozialen Wohnungsbau, Infrastrukturmaßnahmen oder auch die Digitalisierung. Der Fokus auf die Schuldenbremse hat in diesen Jahren die Möglichkeiten des Staates verringert, das Wachstumspotenzial der deutschen Wirtschaft durch eine höhere Investitionsquote und damit ein höheres Defizit zu stärken. Auch konnten nicht mit Hilfe von „billigem Kapital“ Rücklagen für Investitionen in der Zukunft gebildet werden. Und das Bundesverfassungsgericht hat auch jetzt klar geurteilt: Die Ausnahmeklausel der Schuldenbremse darf nicht genutzt werden, künftige öffentlich Haushalte vorzufinanzieren – auch wenn es vor dem Hintergrund des hohen Investitionsbedarfs sowie negativer Zinsen Sinn gemacht hätte. Sinnvoll wäre hingegen eine Schuldenbremse für nicht-wachstumsfördernde Ausgaben wie Sozial- bzw. Transferzahlungen. Dies würde eine Verdrängung von Investitionen verhindern und eine Investitionsplanung erlauben, die der Transformation gerecht wird.
Außerdem stellen die Transformation unserer Wirtschaft bzw. das Erreichen der gestellten Klimaziele ebenfalls eine potenzielle Notlage bzw. Krise für den Wirtschaftsstandort dar. Auch wenn die zeitlichen Auswirkungen nicht konkret definiert werden können, besteht Handlungsbedarf. Schließlich geht es darum, das Potenzialwachstum zu steigern und damit auch die langfristige Schuldentragfähigkeit zu sichern. Zur Erinnerung: Der Sachverständigenrat prognostiziert in seinem jüngsten Gutachten für die nächsten zehn Jahre ein Potenzialwachstum für die deutsche Wirtschaft von 0,4 % pro Jahr. Finden also keine tiefgreifenden Veränderungen statt, wird die deutsche Wirtschaft auf Sicht stagnieren, was wiederum keine erfolgreiche Transformation erlaubt. Die einzige Stellschraube, die neben Steueranreizen dem direkten Einfluss des Staates unterliegt, sind Investitionen.
Am Ende ist es Wachstum, das die Schuldenquoten eines Landes stabilisiert bzw. reduziert. Eine Fiskalpolitik, die Wachstum durch höhere private wie staatliche Investitionen fördert, ermöglicht deshalb im Kontext des niedrigen Potenzialwachstums ein solideres Haushalten als die Anwendung der Schuldenbremse. Aufgrund des notwendigen privaten sowie öffentlichen Investitionsbedarfs sollte sich die Fiskalpolitik deshalb dem Ziel einer erfolgreichen Transformation unserer Industrie und Wirtschaft unterordnen, sonst wird die Transformation nicht gelingen, und in Folge wird die Schuldenquote aufgrund hoher Sozialausgaben und schwachen Wachstums sogar ansteigen.
ifo Geschäftsklima: Aufhellung nur von kurzer Dauer
Was hat das mit der Stimmung in der deutschen Wirtschaft zu tun? Insgesamt scheint sich seit der Energiekrise eine erhöhte Unsicherheit bezüglich der Wirtschaftspolitik auszubreiten – absolut und relativ zu anderen Ländern in Europa. Umfragen betonen zudem immer wieder, dass fehlende Planungssicherheit die Stimmung am Standort Deutschland belastet und Investitionen verhindert. Aus dieser Sicht war das Urteil aus Karlsruhe klar kontraproduktiv, auch wenn hoffentlich bald Finanzierungslösungen für den KTF gefunden werden.
Die jüngsten wirtschaftspolitischen Entwicklungen werden eine baldige Erholung des ifo Geschäftsklimas sicherlich nicht fördern. Gleiches gilt für die Folgen der europäischen geldpolitischen Straffung bzw. die absehbare Abkühlung der US-Wirtschaft. Kurzfristig bleibt nur die chinesische Konjunktur ein möglicher Stimmungsaufheller. Doch das ifo Geschäftsklima zeigt schon länger einen strukturellen Rückgang. So ist ein negativer Trend bereits seit 2018 zu erkennen, der mit dem Beginn des tendenziellen Produktionsrückgangs des Verarbeitenden Gewerbes einhergeht. Mit der erhöhten Unsicherheit infolge der Transformation, fehlender fiskalischer Planungssicherheit, aber auch aufgrund der Konjunkturentwicklung ist weiterhin von einem Verharren der Stimmung auf niedrigem Niveau auszugehen.
So ist das ifo Geschäftsklima zwar im November erneut leicht um 0,4 Punkte angestiegen, eine grundlegende Stimmungswende ist daraus aber nicht abzuleiten. Auch dürfte sich das Urteil aus Karlsruhe vom 15. November bisher erst wenig auf das Geschäftsklima ausgewirkt haben. Das könnte sich aber bereits in der Dezember-Umfrage ändern – je nachdem, wie schnell die Politik das Haushaltsproblem löst. Zudem gilt grundsätzlich: Die seit 2018 anhaltende strukturelle Eintrübung hat weiter Bestand. Mit einer nennenswerten Aufhellung ist erst im Verlauf von 2024 zu rechnen. Neben der Konjunkturerwartung bleiben hierfür vor allem die Signale aus Berlin entscheidend.
Dr. Klaus Bauknecht ist als Chefvolkswirt der IKB Deutsche Industriebank AG verantwortlich für die volkswirtschaftlichen Analysen, Prognosen und Einschätzungen der Bank. Er schreibt zu aktuellen und übergeordneten Konjunktur-, Volkswirtschafts- und Marktthemen. Zudem kommentiert er regelmäßig konjunkturelle Entwicklungen in renommierten Wirtschaftsmedien und ist mit seinen pointierten Präsentationen häufiger Gast bei Verbänden und Unternehmen. Zuvor arbeitete Klaus Bauknecht in verschiedenen leitenden Positionen anderer Banken und im südafrikanischen Finanzministerium.
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