[Healthcare, Pharma, Chemicals-Information vom 14. Juni 2023]
Laut Industrieverband Agrar (IVA) wurden in der Düngemittelsaison 2021/2022 auf dem deutschen Markt 1,1 Mio. t Stickstoffdünger abgesetzt. Dies entspricht im Vergleich zum Vorjahreszeitraum einem Minus von ca. 13,4 %. Getrieben wurde diese Entwicklung von massiv gestiegenen Preisen im Zuge des Ukraine-Kriegs und der damit einhergehenden verteuerten Erdgasversorgung in Europa. Ca. 80 % der Gestehungskosten von Ammoniak, dem Grundstoff der Stickstoffdünger, gehen auf Erdgas zurück. Dementsprechend haben Landwirte ihren Düngereinsatz deutlich reduziert und den Einkauf von Düngemitteln zeitlich geschoben. Gleichzeitig haben europäische Produzenten ihre Kapazitäten aufgrund der hohen Gaspreise heruntergefahren. Unternehmen wie BASF und Yara haben sich gar dazu entschieden, einige ihrer Ammoniakanlagen in Europa komplett stillzulegen. Sie wollen ihre globalen Anlagen nutzen, um den europäischen Kontinent zu günstigeren Preisen zu versorgen. Da die Grenzkosten für amerikanisches LNG inklusive Transportkosten in Europa bei ca. 25 € / MWh liegen und bisher nur wenige langfristige Lieferverträge geschlossen wurden, erwarten wir, dass die Ammoniakproduktion in Kontinentaleuropa auf absehbare Zeit ca. 40 bis 50 % über den Kosten vor dem Lieferstopp von russischem Erdgas liegen werden.
Aus Kostengründen steigt der Anteil russischer Importe
Heimische Landwirte müssen sich auf einen dauerhaften Aufschlag auf ihre Düngemittelpreise einstellen, es sei denn Deutschland würde in größerem Umfang Stickstoffdünger aus dem außereuropäischen Ausland importieren. Dies ist aufgrund fehlender Importinfrastruktur nicht ohne weiteres möglich. Des Weiteren werden sich Düngemittelimporte ab dem Jahr 2026 zusehends verteuern, da in diesem Jahr der Carbon Border Adjustment Mechanism (CBAM) der EU scharf geschaltet wird. Dieser sieht vor, auf bestimmte Produkte, wie zum Beispiel Düngemittel, einen Importzoll in Höhe der Kosten für CO2-Zertifikate zu erheben, die bei Produktion in der Europäischen Union fällig geworden wären. Im Zuge des Getreidedeals mit der Ukraine und um die heimische Landwirtschaft zu schützen, hat die EU im Sommer 2022 kurzfristig die geltenden Importzölle auf Düngemittel ausgesetzt und auch russische Importe erlaubt. Seitdem sind die Importe aus Russland stark gestiegen. Die heimische Düngemittelbranche kritisiert dies, da man nun eine Erdgasabhängigkeit gegen eine Düngemittelabhängigkeit – auf Erdgasbasis – getauscht habe.
Grünes Ammoniak aus dem Ausland kosteneffizienter
Mittel- bis langfristig sollen auf Erdgasbasis produzierte Düngemittel auf Produkte umgestellt werden, die aus grünem Ammoniak hergestellt werden. Dieses wird voraussichtlich zu einem Großteil importiert werden müssen, da die Stromgestehungskosten für die Elektrolyse in Deutschland zu hoch sind. Das Energiewirtschaftliche Institut an der Universität zu Köln (EWI) hat hierzu eine Studie veröffentlicht, die zeigt, dass europäische Nachbarn, Nordafrika und Nordamerika inklusive Logistikkosten einen Vorteil gegenüber deutschen Produktionskosten haben werden. Die Preise für den Import könnten ca. 11 bis 17 % unter den heimischen Kosten liegen. Nichtsdestotrotz können Importe von grünem Ammoniak aus dem europäischen Ausland zu ca. 725 US-$ / t nicht mit Kosten für graues oder blaues Ammoniak von ca. 300 bis 400 US-$ / t konkurrieren. Politische Anreizsysteme und der CO2-Preis werden hier regelnd eingreifen müssen, sollte ein Hochlauf des Marktes mittelfristig gewünscht sein.
Sven Anders ist Abteilungsdirektor und Head des Sektorteams Industrials, Mobility & Construction der IKB. Er betreut insbesondere Unternehmen aus den Branchen Chemie und Pharma und ist hier involviert in Finanzierungs- und Corporate Finance-Transaktionen der Bank. Nach dem Master of Science in Finance an der Norwegian School of Economics (NHH) hat er seine ersten beiden Berufsjahre bei einer Unternehmensberatung absolviert, bevor er 2018 zur IKB stieß.
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