[Kapitalmarkt-News vom 9. Januar 2023]
Fazit: Umfangreiche Stützungspakete der Fiskal- und Geldpolitik haben die Unternehmensausfälle in den letzten Krisen niedrig gehalten.
Aktuell hat nur noch die Fiskalpolitik Raum für Hilfen, die Notenbanken müssen sich zur Inflationsbekämpfung restriktiv verhalten. Je länger der Staat jedoch in einem sich hinziehenden herausfordernden Umfeld versucht gegenzusteuern, desto mehr wird die Erholungsdynamik darunter leiden. Denn die notwendige Neuausrichtung aufgrund der anhaltend hohen Energiepreise wird damit verzögert.
Aktuell sollte es weniger darum gehen, die Wirtschaft und ihre Strukturen zu schützen, sondern einen Anpassungsprozess zuzulassen, der so wenig Wertschöpfungsverlust und -verlagerung mit sich bringt wie möglich. Hierbei könnten sich Rettungsmaßnahmen als kontraproduktiv erweisen.
Mit jeder bevorstehenden Rezession kommt die Frage auf: Wie stark werden die Unternehmensinsolvenzen zunehmen. Banken beurteilen dementsprechend ihr Kreditbuch und passen ihre Margenanforderungen an. Dies erschwert wiederum die Rahmenbedingungen für Unternehmen. Doch dieser „normale“ Prozess wurde während der letzten konjunkturellen Abschwünge bzw. Krisen durch den Staat erfolgreich verhindert. Denn er rettete nicht nur systemrelevante Unternehmen und Banken mit Hilfe direkter Staatsbeteiligungen, sondern ging grundsätzlich nach dem Gießkannenprinzip vor. Die Liquiditätsbereitstellung durch den Staat hat dabei ein Ausmaß angenommen, dass viele Programme nicht mal vollständig genutzt wurden.
Wann immer in den letzten Jahren herausfordernde wirtschaftliche Umstände oder einzelne Events als Krise bezeichnet werden konnten, war die Handlungsbereitschaft der Fiskal- und Geldpolitik fast grenzenlos. So entstanden Namen wie Finanz-, Euro-, Corona- oder Energiekrise, die als einmaliger Schock bzw. Sonderentwicklung angesehen wurden, und deren Folgen es galt abzumildern. Nun mögen diese Krisen tatsächlich bedeutender gewesen sein als ein konventioneller konjunktureller Abschwung. Doch diese vier Krisen in lediglich 13 Jahren haben die Selbstverständlichkeit fiskalischer und geldpolitischer Hilfe erhöht. Auch deutet die hohe Zahl der Krisen auf eine neue Normalität hin, die von erhöhter Volatilität als von anhaltender Stabilität geprägt ist. Unternehmen immer wieder zu schützen, scheint in den letzten Jahren allerdings eine irreale Realität gefördert zu haben. Denn wenn Volatilität die neue Norm ist, darf ein Staat den Privatsektor nicht davon isolieren.
Grundsätzlich ist eine fiskalische Nachfrageunterstützung in Rezessionszeiten seit Keynes akzeptierte Politik. Was jedoch seit der Finanzkrise verstärkt hinzugekommen ist, ist die staatliche Einmischung auf der Angebotsseite. Unternehmen sollen in Folge abrupter Änderungen der Rahmenbedingungen nicht mehr Pleite gehen. Zweitrangig scheint hingegen das Argument zu sein, dass der Staat durch sein Rundum-Sorglos-Paket die Risikobereitschaft bei den Unternehmen erhöht. Denn der Staat wird sie ja im Zweifel wieder auffangen. Der kurzfristige Erfolg dieser Politik ist dennoch beeindruckend. Schließich konnte die Wirtschaft z.B. nach der Corona-Pandemie eine V-förmige Erholung aufweisen.
Unternehmen wurden jahrelang durch niedrige Zinsen sowie gezielte staatliche Rettungsmaßnahmen vor schwierigen Rahmenbedingungen geschützt. Deshalb blieben die Insolvenzraten niedrig – auch in Krisenzeiten und zur Überraschung der meisten Prognostiker. Allerdings hat das die Resilienz des deutschen Wirtschaftsstandorts geschwächt. Die diskutierte Zunahme von Zombie-Firmen ist hierfür ebenso ein Indiz wie laute Rufe nach Staatshilfen bereits bei ersten Krisenanzeichen. Eine weiter abnehmende Resilienz würde allerdings bedeuten: Bei schwierigen konjunkturellen Rahmenbedingungen dürfte die Insolvenzquoten deutlich ansteigen, wenn Fiskal- und Geldpolitik ihre Beschützerrolle nicht mehr aufrechterhalten können, etwa im Falle einer längeren Rezession. Denn steigende Zinsen und eine anhaltende Konjunkturschwäche sind entscheidende Treiber von Insolvenzen. In Kombination mit einer sinkenden Resilienz birgt dies aktuell die Gefahr eines zunehmenden systematischem Ausfallrisikos bei Unternehmen.
In der aktuellen Krise ist eine schnelle V-förmige Erholung nicht zu erwarten, und damit sind reine Überbrückungsmaßnahmen des Staates derzeit wenig sinnvoll. Denn es ist kein einmaliger kurzfristiger Schock, der die aktuelle Rezession verursacht. Es sind die hohe Inflation sowie spürbare Zinsanstiege, die die Nachfrage über mehrere Quartale belasten werden. Zudem ist mit nachhaltig höheren Energiepreisen zu rechnen, was den Investitionsstandort Deutschland auch strukturell belasten wird. Die aktuelle Rezessionsdynamik mag somit eher der langen Abschwungphase kurz nach der Jahrtausendwende ähneln und nicht der zügigen V-förmigen Erholung während der letzten vier Krisen. Damals, 2001 bis 2003, stiegen die Unternehmensinsolvenzen spürbar an. Eine sich deutlich länger hinziehende Rezession deutet auf ein spürbar herausforderndes Umfeld hin als die letzten Krisen, in denen Deflationsdruck und damit sinkender Kostendruck im Vordergrund standen, was der Notenbank viel Handlungsspielraum für eine expansive Geldpolitik gab.
Nur die Fiskalpolitik mag aktuell noch Raum für kurzfristige Stützungsmaßnahmen haben. Doch anders als in den letzten Krisen wird die effektive Unterstützung weniger stark ausfallen können. Denn je mehr der Staat versucht, die Folgen der Rezession zu lindern, desto mehr Druck entsteht für die Notenbanken, die Zinsen anzuheben. Schließlich ist die aktuelle Rezession notwendig, um den Inflationsdruck und vor allem Zweitrundeneffekte abzuschwächen. So mögen zwar aktuelle Prognosen lediglich einen überschaubaren BIP-Rückgang signalisieren – das systematische Ausfallrisiko für Unternehmen liegt allerdings um einiges höher, als der geringfügige BIP-Verlust auf den ersten Blick vermuten lässt. Denn eine reduzierte Resilienz auf der einen Seite und eine sich hinziehende Rezession, erhöhter Margendruck sowie steigende bzw. relativ hohe Zinsen auf der anderen Seite werden dafür sorgen, dass die Rahmenbedingungen für Unternehmen herausfordernd sein werden.
Deshalb verläuft die aktuelle Rezession grundlegend anders in den letzten Krisen, da Druck auf die Profitabilität von Unternehmen für das Erreichen des Inflationsziels notwendig ist. Und je länger der Staat in einem sich hinziehenden herausfordernden Umfeld versucht gegenzusteuern, desto mehr wird die Erholungsdynamik darunter leiden. Denn notwendige Strukturanpassungen im Schatten anhaltend hoher Energiepreise werden behindert und belasten damit die Neuausrichtung und Wachstumsdynamiken. Aktuell geht es weniger darum, die Wirtschaft und ihre Strukturen aufrecht zu halten und zu schützen, sondern einen Anpassungsprozess zuzulassen, der so wenig Wertschöpfungszerstörung und -verlagerung mit sich bringt wie möglich. Hierbei könnten sich Rettungsmaßnahmen als klar kontraproduktiv erweisen. Sie wirken wie Antibiotika in der Medizin und sind überaus effektiv, einmalige Krisenherde zu adressieren. Ihre Wirksamkeit, die Resilienz von Unternehmen durch Anpassungen zu stärken, sind jedoch vor allem bei dauerhafter Anwendung zu bezweifeln. Auch Banken sollten sich darauf einstellen.
Dr. Klaus Bauknecht ist als Chefvolkswirt der IKB Deutsche Industriebank AG verantwortlich für die volkswirtschaftlichen Analysen, Prognosen und Einschätzungen der Bank. Er schreibt zu aktuellen und übergeordneten Konjunktur-, Volkswirtschafts- und Marktthemen. Zudem kommentiert er regelmäßig konjunkturelle Entwicklungen in renommierten Wirtschaftsmedien und ist mit seinen pointierten Präsentationen häufiger Gast bei Verbänden und Unternehmen. Zuvor arbeitete Klaus Bauknecht in verschiedenen leitenden Positionen anderer Banken und im südafrikanischen Finanzministerium.
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