[Kapitalmarkt-News vom 15. Februar 2019]

Notenbankpolitik: Nachhaltigkeit anfechtbar?

Seit Jahren versuchen Notenbanken, durch niedrige Zinsen und Bilanzausweitung die Kreditvergabe in der Realwirtschaft anzukurbeln und das Risiko einer Depression zu reduzieren. Gleichzeitig werden steigende Schuldenquoten als Risiko für Konjunktur und Finanzstabilität betrachtet. Kritiker argumentieren, die Geldpolitik verschiebe nur notwendige realwirtschaftliche Anpassungen und verschärfe durch höhere Schuldenquoten die Konjunkturrisiken. Viele Notenbanken scheinen in einem Dilemma zu stecken: Auf der einen Seite setzen sie alles daran, die Kreditvergabe mit anhaltend niedrigen Zinsen in Gang zu bringen. Auf der anderen steigt die Sorge vor Überschuldung und Handlungsunfähigkeit etwa der EZB.

Wie lange kann eine Notenbank eine Politik aufrecht halten, welche die Kreditvergabe anhaltend unterstützt? Die EZB mag hier schon deutlich näher an ihre Grenze gelangt sein als die Fed, die aufgrund ihres aktuell höheren Zinsniveaus zumindest etwas Spielraum zu haben scheint. Allerdings hat sich das Instrumentarium der Notenbanken in den letzten Jahren klar ausgeweitet, insbesondere durch Aufkaufprogramme und direkte Liquiditätsbereitstellung für Banken. Doch all diese Maßnahmen sind nur erfolgreich, wenn die Kreditnachfrage auf niedrige Zinsen und das ausgeweitete Kreditangebot reagiert. Allerdings gibt es einen weiteren Aspekt, der in der Diskussion um Schulden und Kreditvergabe oftmals vernachlässigt wird: Niedrige Zinsen schaffen nicht nur einen Anreiz, Schulden zu machen, sie sorgen auch dafür, dass die Gegenposition der Schulden – nämlich Einlagen bzw. Finanzvermögen – den Weg zurück in die Realwirtschaft finden. Es geht der Geldpolitik weniger darum, private Schuldenquoten durch niedrigere Zinsen nach oben zu treiben. Vielmehr soll durch die Ausweitung der Kreditvergabe die reale Vermögensbildung gefördert werden. Am Ende des Prozesses sollen dann Schuldenquoten durch Wirtschaftswachstum sinken.

Schulden sind nur eine Seite der Medaille  

Für jeden Kredit, den das Bankensystem generiert, gibt es eine Einlage und damit eine finanzielle Vermögensbildung. Es ist nicht nur die Höhe der Verschuldung und die daraus resultierende Belastung für den Schuldner, die aus gesamtwirtschaftlicher Sicht entscheidend ist, sondern auch was mit der Vermögensbildung im realwirtschaftlichen Kreislauf passiert. Der überschuldete Teil der Wirtschaft kann weniger stark konsumieren oder investieren – aufgrund der Schuldenlast oder des Bonitätsrisikos aus Sicht der Gläubiger. Der vermögende Teil mag hingegen nicht bereit sein, die hohen Vermögensbestände in die Realwirtschaft durch Konsum oder Investitionen zurückzuführen. Unterm Strich ergibt sich eine nicht ausreichende gesamtwirtschaftliche Nachfrage – dies ist in der Euro-Zone schon länger der Fall und erfordert selbst mittelfristig eine klassische keynesianische Stützungspolitik. Da kreditfinanzierten hohen Schuldenquoten dementsprechende hohe Vermögenswerte gegenüber stehen, bedarf es anhaltend niedrige Zinsen, nicht nur um die Schuldentragfähigkeit sicherzustellen, sondern auch um Anreize für eine Rückführung des Finanzvermögens in die Realwirtschaft zu setzen.

Oftmals werden Kredite für Investitionen als nachhaltig und Konsumkredite als kritisch angesehen. Doch in erster Linie ist es nicht entscheidend, ob der Kredit für Konsum oder Investitionen verwendet wird. In beiden Fällen ergibt sich anfänglich eine Nachfrageausweitung. Entscheidend sind die Zweitrundeneffekte: Dem Kredit steht eine Einlage bei den Banken und damit ein Vermögensbestandteil gegenüber – die Gegenposition zur Verschuldung. Entscheidend ist, dass diese wieder in den realwirtschaftlichen Kreislauf fließt und damit eine nicht kredit-induzierte höhere Nachfrage bewirkt. Führen hingegen Konsumkredite zu mehr Importen, verlagert sich die Gegenposition in das Ausland oder in das globale Finanzsystem. In diesem Fall ist nicht unbedingt von einer direkten Rückführung in die lokale Realwirtschaft auszugehen.

Niedrige Zinsen senken die Schuldenlast und erlauben dadurch einen weiteren Schuldenanstieg. Sie reduzieren natürlich auch die Rendite für Finanzvermögen. Doch wie bereits Keynes erkannte, werden reale Investitionen eher von Ertragsaussichten und Bauchgefühl als von Zinsen getrieben, genauso wie Sparen eher von der Höhe des Einkommens abhängig ist. Zinsen allein können somit das Gleichgewicht von Sparen und Investieren kaum sicherstellen. Ähnliches gilt für Schulden- und Vermögensstände. Niedrige Zinsen fördern zwar die Kreditvergabe und somit finanzielle Vermögensbildung. Ihr Einfluss auf die Umschichtung von Finanz- in Realvermögen scheint hingegen weniger ausgeprägt zu sein. Anders ausgedrückt: Die Geldpolitik ist dann effizient und erfolgreich, wenn Schuldenquoten sinken. Denn eine effektive Geldpolitik beruht nicht nur auf einer zinssensitiven Kreditnachfrage, sondern auch und vor allem auf einer renditesensitiven Vermögensumschichtung in die Realwirtschaft. Aus dieser Sicht ist eine effiziente Geldpolitik immer mit Angebotsreformen und hohem Investitionsvertrauen verbunden, und sie kann nie isoliert betrachtet werden. Nicht überraschend ist deshalb, dass EZB-Präsident Draghi die Notwendigkeit von Reformen in jeder EZB-Sitzung betont. Doch gerade hier ist die Euro-Zone wenig erfolgreich. Steigende Schuldenquoten und anhaltend niedrige Zinsen sind ein Ergebnis der fehlenden Reformbereitschaft in der Euro-Zone und kein Resultat einer falschen Geldpolitik. Deutschland ist zudem ein Beispiel dafür, wie ineffektiv die EZB-Zinspolitik darin ist, Finanzvermögen in die Realwirtschaft zurückzuführen (s. Abb. 2 unten – steigende Sparquote bei negativen Realzinsen). 

Wachstumsmodell der Geldpolitik am Ende?

Kritiker der aktuellen westlichen Wirtschaftsordnung verweisen oftmals darauf, dass in den letzten Jahrzehnten grundsätzlich immer mehr Kreditwachstum notwendig war, um die Wirtschaftsdynamik zu erhalten. Dadurch sind die Schuldenquoten notgedrungen weiter gestiegen. Das kreditgetriebene Wachstumsmodell sei an seine Grenzen gekommen, was das anhaltende Zinsniveau von 0 % dokumentiere. Infolgedessen versucht der Staat, das im Finanzsystem geschaffene Vermögen durch Haushaltsdefizite und steigende Staatsverschuldung in die Realwirtschaft zurückzuführen. Tatsächlich stützen gerade die Staatssektoren von Industrieländern permanent die Nachfrage. Sie wirken als Intermediär zwischen Finanz- und Realwirtschaft und sorgen durch Anleiheemissionen – die kein neues Vermögen darstellen – für einen Rückfluss von Finanzvermögen in die Realwirtschaft, was weiter steigende staatliche Schuldenquoten zur Folge hat. Eine hohe private Verschuldung in Verbindung mit hoher Staatsverschuldung sind ein Indiz für ineffektive Geldpolitik und nicht für nachhaltiges Wachstum. In diesem Zusammenhang wird häufig auf Verdrängungseffekte verwiesen, die zu höheren Renditen führen. In der Realität gehen aber steigende Staatsschuldenquoten eher mit sinkenden (risikofreien) Renditen einher, da die Notenbank angesichts einer grundsätzlich schwachen Nachfrage eine unterstützende Geldpolitik verfolgt. Die Entwicklung der Renditen in den USA oder Japan sind Beispiele dafür.

Ein Schuldenschnitt als Antwort auf hohe Schuldenquoten ist nur bedingt hilfreich. Zwar wird der überschuldete Teil einer Volkswirtschaft dadurch wieder in die Lage versetzt, neue Kredite zu nutzen, um die effektive Nachfrage auszuweiten. Jedoch würde der Vermögensverlust auf der anderen Seite negative Konsequenzen in Form von Investitionsrückgängen mit sich bringen. Auch sind weniger Kreditwachstum und geringerer Vermögensaufbau nicht die Lösung, da beides die Nachfrage belastet. Für eine Volkswirtschaft bergen Schuldenschnitte das Risiko eines Nachfrageeinbruchs, hoher Arbeitslosigkeit und fallender Vermögenswerte. Hinzu kommt zunehmende Deflationsgefahr infolge einer schrumpfenden Geldmenge. Die „große Depression“ war maßgeblich auf einen Geldmengenrückgang und damit auf schrumpfende Vermögenszuflüsse in die Realwirtschaft zurückzuführen.

Eine erfolgreiche Senkung der Schuldenquoten erfordert Wirtschaftswachstum, Sparen hingegen ist kontraproduktiv (siehe IKB-Kapitalmarkt-News 30. November 2017). Für eine einzelne Person mag Sparen eine Sanierungsoption darstellen, für eine Volkswirtschaft ohne externe Impulse durch Exportwachstum oder Auslandsinvestitionen ist es hingegen eine Katastrophe. Doch wie kann eine Wirtschaft Wachstum generieren ohne eine steigende Schuldenquote, die Nachfrage schafft? Indem ein hohes Maß an Finanzvermögen in die Realwirtschaft zurückfließt. Dabei geht es nicht nur darum, die Sparquote durch höheren Konsum zu senken. Vielmehr ist entscheidend, dass durch Kredite aufgebautes Vermögen nicht in der Finanzwirtschaft geparkt wird, sondern als Investitionen in die Realwirtschaft fließt. Durch Zweitrundeneffekte legt dann der Nenner der Schuldenquote stärker zu als der Zähler, und Kredit- bzw. Schuldenquoten sinken. Wirtschaftswachstum und sinkende Schuldenquoten sind demnach weniger auf eine zurückhaltende Geldpolitik und bestimmt nicht auf Sparen zurückzuführen, sondern sie basieren auf der Bereitschaft, durch Kredite aufgebaute Vermögen in die Realwirtschaft zu investieren. Wie Abb. 3 zeigt, sinkt die Schuldenquote in der Euro-Zone seit 2015, dem ersten Jahr mit höherem Wirtschaftswachstum. Der Rückgang ist allerdings vor allem auf abnehmende Staatsschuldenquoten und nicht auf einem stärkeren Wirtschaftswachstum in Relation zur Kreditvergabe zurückzuführen. Die Kreditquote in der Euro-Zone verläuft in den letzten Jahren eher seitwärts.

Fazit:

Notenbanken versuchen schon seit Jahren, die Kreditvergabe anzukurbeln. Kritiker betrachten die steigenden Schuldenquoten des Privatsektors zunehmend als Risiko und stellen deshalb die Sinnhaftigkeit bzw. Nachhaltigkeit der aktuellen geldpolitischen Ausrichtung infrage. Doch grundsätzlich sollte eine effiziente Geldpolitik eher zu sinkenden und nicht steigenden Schuldenquoten führen, da sie sowohl die Kreditvergabe als auch die Verwendung des dadurch geschaffenen Finanzvermögens positiv beeinflusst: Sie lenkt zusätzliche Finanzströme in die Realwirtschaft, die weiteres Wirtschaftswachstum generieren.

Allerdings haben es viele Staaten – insbesondere in der Euro-Zone – bisher versäumt, die dafür notwendigen Rahmenbedingungen zu schaffen und entsprechende Reformen anzustoßen, sodass sich der geldpolitische Einfluss primär auf die Kreditvergabe beschränkt; mit steigenden Schuldenquoten als logischer Konsequenz.

Die EZB wird in ihrer Sitzung im März 2019 Zinsanstiege in die ferne Zukunft verschieben. Die Vermutung liegt nahe, dass dies angesichts der Reformträgheit eher zu steigenden als sinkenden Schuldenquoten führt.

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