[Healthcare, Pharma, Chemicals-Information vom 1. März 2019] Nur China, die USA und Japan erzielen laut dem Verband der chemischen Industrie (VCI) weltweit höhere Umsätze mit Chemikalien und Pharmazeutika als Deutschland. Die hierzulande ansässigen Produzenten haben in 2017 einen Umsatz von 209 Mrd. € generiert. China hat in den letzten zehn Jahren das mit Abstand dynamischste Wachstum vorzuweisen und mit aktuell knapp 1,7 Bio. € Umsatz massiv Weltmarktanteile hinzugewonnen. Alle anderen Industrienationen hingegen haben durch deutlich langsamere Steigerungsraten Marktanteile verloren. Die deutsche chemische Industrie sorgt konstant für einen signifikanten Außenhandelsüberschuss und ist eine wichtige Säule der deutschen Wirtschaft. Nichtsdestotrotz steht das Segment in Deutschland vor strukturellen Umbrüchen und hat erkannt, dass es sich im Rahmen von „Chemie 4.0“ neu erfinden muss.
Teure Rohstoff- und Energieversorgung zwingt Unternehmen zu höherer Effizienz
Im weltweiten Vergleich sind die Energie- und Rohstoffkosten in Deutschland sehr hoch. Meistgenutzter Energieträger der chemischen Industrie in Deutschland war im Jahr 2016 Erdgas mit einem Anteil von rund 51 %. Die Kosten für Erdgas waren Ende 2018 in Deutschland ungefähr 2,5 Mal so hoch wie in den USA. Als Rohstoffe der organischen Chemie kommen in Deutschland vor allem Naphtha und andere Erdölderivate zum Einsatz, während nordamerikanische Unternehmen größtenteils auf günstiges Erdgas aus Fracking zurückgreifen. Dies hat zur Folge, dass Vor- und Zwischenprodukte aus deutscher Herstellung im internationalen Preiswettbewerb nur schwer bestehen können. Auch aus diesem Grund hat die heimische chemische Industrie früh in effiziente Produktionstechnologien investiert und Vor- und Zwischenprodukte in ihren Verbundstandorten zu margenstärkeren Spezialitäten weiterverarbeitet. Heute sehen wir, dass auch internationale Konzerne in deutsche Chemieparks investieren, um von der vorhandenen Infrastruktur zu profitieren und sinnvolle Cluster zu bilden. 23 % der chemischen Produkte, die in Deutschland hergestellt werden, gehen als Vorprodukte an andere Chemieunternehmen im Inland. Hier ist räumliche Nähe ein entscheidender Faktor, um Logistikkosten zu minimieren. In Zukunft wird es darauf ankommen, im Rahmen von „Chemie 4.0“, Anlagen weiter zu modernisieren, Energie und Rohstoffe nach Möglichkeit effizient im Kreis zu führen und ökonomische Netzwerke zu stärken.
Digitalisierung und Fokus auf innovative Spezialitäten versprechen Wachstum
Innovationen spielen in diesem Wandlungsprozess eine entscheidende Rolle für die Entwicklung der Chemieindustrie. Deutsche Chemie- und Pharmaunternehmen investierten 2017 10,8 Mrd. € und damit durchschnittlich über 5 % ihres Umsatzes in Forschung und Entwicklung. Dies liegt deutlich über dem Durchschnitt der sonstigen deutschen Industrie. Diese Stärke der inländischen Standorte sollte durch eine moderne, tragfähige Infrastruktur und zeitgemäße politische und regulatorische Prozesse unterstützt werden. Die Möglichkeiten der Digitalisierung sind für Chemieunternehmen vielfältig. Mithilfe interner Produktionsdaten lassen sich Anlagen effizienter planen, fahren und warten. Absatz- und Kundendaten unterstützen die Individualisierung von Produkten und die Entwicklung ökonomischer Netzwerke. Nachhaltigkeit ist für die deutsche chemische Industrie als Chance zu verstehen und sollte durch intelligente Nutzung von Abwärme, den Einsatz von CO2 als Rohstoff und Wiederverwendung von Materialien und Katalysatoren zu erheblichen Effizienzsteigerungen führen. Die hier nötigen Investitionen werden neue Geschäftsmodelle entstehen lassen, in denen die Chemie sich zu einem ganzheitlichen Anbieter von nachhaltigen Kundenlösungen entwickelt.
Die Unternehmen der chemischen Industrie investierten 2018 in Deutschland mit 7,8 Mrd. € so viel Kapital in Sachanlagen wie nie zuvor. Diese Entwicklung unterstreicht die Bereitschaft der hier ansässigen Chemieunternehmen in zukunftsfähige Lösungen zu investieren. CO2-Einsparungen und das Schließen von Stoffkreisläufen sind sowohl umweltfreundlich als auch in Deutschland ökonomisch sinnvoll. Die zunehmende Spezialisierung der Chemieindustrie wird sich fortsetzen und im Zuge digitaler, serviceorientierter Geschäftsmodelle weiter verstärken. Hierzu sind auch in Zukunft Investitionen in die hiesigen Verbundstandorte nötig, die die Bildung von Wertschöpfungsnetzwerken erlauben.
Sven Anders ist Abteilungsdirektor in der Industriegruppe Healthcare, Pharma & Chemicals der IKB. Er betreut Unternehmen aus den Branchen Chemie und Pharma und ist involviert in Finanzierungs- und Corporate Finance-Transaktionen der Bank. Nach dem Master of Science in Finance an der Norwegian School of Economics (NHH) hat er seine ersten beiden Berufsjahre bei einer Unternehmensberatung absolviert, bevor er 2018 zur IKB stieß. Er schreibt zu aktuellen Themen aus dem genannten Branchenspektrum.
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