[Industrials & Automotive vom 29. März 2022]

Der Krieg in der Ukraine hat zu einem sprunghaften Anstieg der Vormaterialpreise von Stahl geführt. Derzeit stammen rund
40 % der Roheisenimporte von Deutschland aus Russland. Bei Steinkohle und Hochofenkoks steht Russland für jeweils über
40 % der deutschen Einfuhren. Bedingt durch temporäre Lieferengpässe in Australien hatten die Spotmarktnotierungen für Kokskohle schon zu Jahresbeginn kräftig angezogen. Durch die russische Invasion in die Ukraine kam es dann zu einem explosionsartigen Anstieg der Preise von Erdgas, Erdöl und Strom. Bereits in der zweiten Jahreshälfte 2021 waren insbesondere die Erdgas- und Strompreise schon enorm angestiegen. Die deutsche Abhängigkeit von russischen Energielieferungen wirkt sich entsprechend stark auf die deutschen Stahlwerke aus. Es ist infolge der hohen Stromkosten zu ersten temporären Abschaltungen von einzelnen Elektrostahlöfen gekommen.

Insgesamt hat sich durch die Erhöhung der meisten Vormaterialpreise ein erheblicher Preisdruck quer durch die gesamte Wertschöpfungskette von Stahl aufgebaut, der nun voraussichtlich auf ein deutlich geringeres Angebot trifft. Denn aus der Ukraine kommen derzeit kaum Lieferungen, da die meisten ukrainischen Stahlwerke nicht oder nur zum Teil produzieren. Neue Stahllieferungen aus Russland sind sanktioniert und somit nicht möglich. Verbunden mit einem niedrigeren Output deutscher Stahlwerke aufgrund der gestiegenen Stromkosten und Engpässe in der Vormaterialbelieferung müssen sich die Verarbeiter von Stahl daher in Deutschland und Europa auf wieder anziehende Stahlpreise einstellen. Die ursprünglichen Erwartungen für 2022 waren von im Verlauf des Jahres weiter fallenden Preisen ausgegangen.

Im Vorfeld des zu erwartenden Ausfalls russischer Lieferungen von Roheisen ist es auch bereits zu entsprechend höheren Schrottpreisen gekommen. Zwar könnten Südafrika, Kanada oder Brasilien die russischen Minderlieferungen von Roheisen mittelfristig ausgleichen, dies geht jedoch auf jeden Fall mit deutlich anziehenden Logistikkosten infolge stark gestiegener Frachtraten für Schiffstransporte einher. Auch die Eisenerznotierungen an den Spotmärkten hatten schon im Verlauf des Februar 2022 wieder angezogen und dürften entsprechend auf die Roheisenkosten durchgereicht werden. Die deutschen Schrottpreise waren ebenfalls schon vor Kriegsausbruch auf hohem Niveau. Ein zunehmender Bedarf auch von Oxygenstahlwerken, die aus Umweltgründen vermehrt Schrott einsetzen möchten, traf auf ein immer noch begrenztes Angebot, insbesondere von Neuschrotten aus der Automobilindustrie und dem Maschinenbau.

Aktuell kommt es im März 2022 zu einer regelrechten Explosion der Schrottpreise (siehe Grafik): Die Neuschrott-Menge aus der Automobilindustrie sank durch erste Produktionsausfälle infolge von Kurzarbeit aufgrund fehlender Teilelieferungen aus der Ukraine. Dies wurde zwar von einem normalen Aufkommen an Altschrotten, etwa aus Abbrucharbeiten, begleitet, langte jedoch nicht für eine Balancierung des Gesamtmarktes. Zudem orderte vor allem die Türkei wieder vermehrt Schrott in der EU, da es auch in der Türkei zu Minderlieferungen aus Russland kam, obwohl das Land nicht an den Sanktionen gegen Russland beteiligt ist. Die Auftragslage in der Türkei ist derzeit sehr gut, denn das Land ersetzt fehlende Lieferungen der Kriegsparteien in wichtigen Abnehmerländern aus der Golfregion.

Damit steigen alle relevanten Kostenbestandteile des klassischen Kohlenstahls. Knapp versorgten Marktes dürfte es den Stahlproduzenten möglich sein weitere Preisanhebungen durchzusetzen. Zudem bringen auch Legierungsmetalle keine nennenswerte Entspannung. Im Gegenteil: Auch dort kommt es zu deutlichen Aufschlägen, da insbesondere Nickel infolge der Sanktionen gegen die Gesellschafter des führenden russischen Nickelkonzerns Nornickel stark angezogen hat.

Vor diesem Hintergrund rücken die Spitzen der Spotmarktnotierungen für Stahl aus Mitte 2021 kurzfristig wieder in den Fokus und dürften jetzt sogar übertroffen werden. Unternehmen, die sich aktuell in Preisverhandlungen für Quartalskontrakte befinden, dürften mit kräftigen Aufschlägen konfrontiert werden. Zusatzlieferungen – falls überhaupt möglich – dürften extrem teuer werden und die Ausnahme bleiben. Eine nachhaltige Entspannung ist erst einige Monate nach Kriegsende wahrscheinlich oder wenn sich eine nachhaltige Rezession abzeichnet.

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Sven Anders, CFA
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