Prognosen unterstellen eine Normalisierung der Inflationsrate
[Kapitalmarkt-News vom 19. Juli 2018] Die EZB erwartet einen Anstieg bzw. eine Stabilisierung der Inflationsrate in der Euro-Zone. Sie geht von Werten nahe ihrer Zielgröße von knapp unter 2 % aus (EZB-Inflationsprognose für 2018, 2019 und 2020: jeweils 1,7 %). Auch andere Prognosen deuten schon länger auf ein moderates Zulegen der Teuerungsrate in den kommenden Jahren hin. Die Bloomberg-Konsensprognose rechnet in diesem und im nächsten Jahr ebenfalls mit 1,7 % sowie mit 1,8 % im Jahr 2020. Worauf beruht diese Überzeugung? Eine grundsätzliche Annahme ist die der Normalisierung. Sie verleiht historischen Durchschnitten in der Prognose ein hohes Gewicht. Waren Inflationserwartungen auf Basis des historischen Durchschnitts zwischen 2000 und 2008 insoweit rational als eine Prognose von 2 % im Schnitt auch die richtige war, so gilt dies seit 2009 nicht mehr, denn die durchschnittliche Inflationsrate liegt seitdem bei 1,2 %. Gleiches trifft für die Kerninflationsrate ohne die volatilen Energie- und Nahrungsmittelpreise zu; sie ist bereits seit 2003 durch einen negativen Trend gekennzeichnet und nicht erst seit der Finanzkrise. Dieser Trend scheint sich seit 2014 zu drehen, dennoch verharrt die durchschnittliche Kerninflation bei nur 0,9 %. Letztendlich wird die Teuerungsrate aber vor allem von Lohnstückkosten, Importpreisen und Margendruck getrieben. Strukturelle Veränderungen in der Inflationsrate haben also in diesen Größen ihren Ursprung.
Die europäische Konjunktur dürfte sich weiter erholen, was zu höheren Löhnen und damit Lohnstückosten sowie perspektivisch zu einer anziehenden Inflationsrate führen sollte. Die EZB erwartet zum Beispiel, dass sich der Lohnstückkostenanstieg normalisiert und im Schnitt um rund 1,5 % pro Jahr zulegt, was nicht zuletzt auf der Annahme einer Zunahme der effektiven Lohnkosten um über 2 % sowie eines durchschnittlichen Produktivitätswachstums unter 1 % beruht. Diese Annahme ist allerdings mit Unsicherheit behaftet, da sich gezeigt hat, dass der Lohndruck doch um einiges geringer ausfallen kann, als es klassische Modelle mit Hilfe einer sinkenden Arbeitslosenquote andeuten würden. Der schwache Lohndruck wird oftmals auf ungenaue Schätzungen der eigentlichen Überkapazitäten auf dem Arbeitsmarkt zurückgeführt, aber auch auf einen intensiveren globalen Wettbewerb und zunehmende Lohnzurückhaltung.
Globalisierung verringert Importpreisdynamik, …
Ein entscheidender Treiber für strukturelle Veränderungen im Preisbildungsprozess von Volkswirtschaften ist die Globalisierung. Ein hoher Offenheitsgrad beeinflusst durch intensiveren internationalen Wettbewerb die Entwicklung der Lohnstückkosten ebenso wie die Preisüberwälzungsmöglichkeiten von Unternehmen. Mit der Globalisierung hat die Bedeutung von Importpreisen im Preisbildungsprozess der Euro-Zone grundsätzlich an Bedeutung gewonnen. Importe und Exporte machen aktuell über 90 % des BIP im Euro-Raum aus. In 2002 lag dieser Wert lediglich bei rund 65 %, während er in den USA aktuell bei nur 27 % liegt. Nicht überraschend bestätigen empirische Analysen, dass der Anstieg dieser Quote (Offenheitsgrad) einen negativen Einfluss auf die Inflationsdynamik in der Euro-Zone ausübt.
Für eine offene Volkswirtschaft kann ein nachhaltiger Anstieg der Inflationsrate nur mit einem grundsätzlich höheren globalen Preisdruck einhergehen, der Unternehmen und Arbeitnehmern Luft für höhere Gewinnmargen bzw. Löhne gibt und durch steigende Importpreise die Inflationsdynamik stärkt. Importpreise, die den Effekt des Wechselkurses beinhalten, zeigen für die Euro-Zone jedoch alles andere als ein großes Inflationspotenzial. Dafür müsste sich die weltweite Konjunktur weiter aufhellen, um Rohstoff- und Güterpreise nach oben zu treiben. Doch aktuell gibt es keine Anzeichen dafür. Denn auch wenn die globale Konjunktur ein solides Wachstum 2018 und 2019 zeigen sollte, scheint es global gesehen keine bedeutenden Ungleichgewichte zwischen Angebot und Nachfrage zu geben, die auf einen generellen und weltweit zunehmenden Anstieg der Preise hindeuten würden. So mag die Inflationsrate in Folge steigender Energiekosten aktuell zugelegt haben – der Juni Wert lag bei 2,0 % für die Euro-Zone und 2,1 % für Deutschland –, ein Zeichen für einen nachhaltigen Anstieg ist dies dennoch nicht. Gleiches gilt für die Kerninflationsrate, die im Juni bei 1,2 % in der Euro-Zone lag.
Der Euro-Devisenkurs wird als eher unterbewertet angesehen. Prognosen deuten mehrheitlich darauf hin, dass die Wahrscheinlichkeit einer Euro-Aufwertung höher ist als die einer Abwertung. Dies wiederum würde die Preise für importierte Güter drücken sowie einen preislichen Wettbewerbsverlust für Exporte bedeuten. Mit einem Exportüberschuss der Euro-Zone zum BIP von über 4 % wurde 2017 die Kapazitätsauslastung von der globalen Nachfrage bestimmt, die für den Preisbildungsprozess somit nicht zu unterschätzen ist. Ohne Zweifel würde eine nachhaltige und nennenswerte Aufwertung des Euro eine Reaktion der EZB mit sich bringen, um im Kontext des hohen Offenheitsgrades die Implikationen der Aufwertungsdynamik für Wachstum und Inflation nicht eskalieren zu lassen.
… und die Entwicklung der Lohnstückkosten dürfte flach verlaufen
Die Lohnstückkosten in der Euro-Zone legten seit 2014 im Schnitt um unter 1 % pro Jahr zu. Sie werden durch Arbeitslosenquote bzw. Lohnkosten sowie Produktivität und damit Strukturreformen getrieben. Angesichts der notwendigen und bereits angegangenen Reformen in Euro-Ländern wie Spanien, Frankreich und auch Italien ist davon auszugehen, dass die Lohnstückkostenentwicklung in der Euro-Zone weiterhin eher flach verlaufen wird. Dies gilt vor allem dann, wenn Reformen eine gewisse Produktivitätssteigerung verursachen und nicht nur einen moderateren Lohndruck. Die Erwartung einer nachhaltigen Erhöhung der Lohnstückkosten um im Schnitt 1,5 % pro Jahr von 2018 bis 2020 ist demnach durchaus mit Abwärtsrisiken verbunden. Ohne Deutschland wäre in den letzten Jahren kaum ein Anstieg der durchschnittlichen Lohnstückkosten in der Euro-Zone verzeichnet worden.
Geldmengenwachstum bestätigt ebenfalls kein kurzfristiges Inflationsrisiko
Letztendlich mag die niedrige Kerninflationsrate auch mit dem eher überschaubaren Geldmengenwachstum zu tun haben. Schließlich kann sich keine Inflation behaupten, wenn das Geldmengenwachstum nicht den Nährboden hierfür schafft. Auch wenn die EZB durch ihr Aufkaufprogramm ihre Bilanz und damit das potenzielle Geldmengenwachstum deutlich stimuliert hat, so ist es die Nachfrage aus der Realwirtschaft, die die Geldmengenausweitung in der Wirtschaft treibt. Abb. 3 deutet nicht auf einen Inflationsdruck in Folge einer deutlich überhöhten Kreditnachfrage hin. Die außerordentlich expansive Geldpolitik der EZB spiegelt sich nicht in der aktuellen Geldmengendynamik.
Simulation: Selbst mit ambitionierten Annahmen kein bedeutender Inflationsanstieg
Wie hoch ist das Inflationsrisiko für die Euro-Zone bis 2020? Besteht die Gefahr, dass die Inflationsrate abrupt und vor allem nachhaltig steigt? Hierfür müsste die Geldmengenausweitung kurzfristig deutlich an Dynamik zulegen, wofür es keine Anzeichen gibt. Doch was ist mit den strukturellen Treibern der Inflationsrate? In welchem Maße bergen sie Inflationsrisiken? Um dies zu beantworten, wurde ein Szenario mit folgenden Annahmen definiert:
- Die Lohnstückkosten der Euro-Zone steigen, wie von der EZB erwartet, im Schnitt um 1,5 % pro Jahr. Der durchschnittliche Zuwachs lag zwischen 2014 und 2018 bei 0,6 %.
- Der Offenheitsgrad bleibt stabil bei 94 %, auch wenn er seit der Finanzkrise deutlich und kontinuierlich zugenommen hat. Diese Annahme impliziert, dass der Preisdruck, der sich durch die Globalisierung und den internationalen Wettbewerb ergibt, über den Prognosezeitraum nicht weiter zunehmen wird.
- Aufgrund eines eher unterbewerteten Euro-Kurses ist zwar perspektivisch mit einer Aufwertung zu rechnen, die einen deflationären Druck auf Importpreise ausüben sollte. Dennoch wird in der Simulation von einer verstärkten Importpreisdynamik ausgegangen, die einer anhaltend robusten globalen Konjunktur und tendenziell weiter steigenden Rohstoffpreisen gerecht wird. Die Wachstumsrate stabilisiert sich erst am Simulationshorizont.
- Die Konjunkturentwicklung verläuft stabil.
Mit diesen Annahmen würde sich die Inflationsrate, wie von der EZB erwartet, in 2019 und 2020 auf knapp unter 2 % stabilisieren, auch wenn sie temporär durchaus darüber liegen könnte. Die Kerninflationsrate läge im Schnitt nach wie vor bei nur 1,2 % pro Jahr. Der Unterschied zwischen Kerninflations- und der allgemeinen Teuerungsrate ergibt sich aus der deutlich höheren Sensitivität der allgemeinen Inflationsrate zu volatilen Rohstoff- und Importpreisen.
Dr. Klaus Bauknecht ist als Chefvolkswirt der IKB Deutsche Industriebank AG verantwortlich für die volkswirtschaftlichen Analysen, Prognosen und Einschätzungen der Bank. Er schreibt zu aktuellen und übergeordneten Konjunktur-, Volkswirtschafts- und Marktthemen. Zudem kommentiert er regelmäßig konjunkturelle Entwicklungen in renommierten Wirtschaftsmedien und ist mit seinen pointierten Präsentationen häufiger Gast bei Verbänden und Unternehmen. Zuvor arbeitete Klaus Bauknecht in verschiedenen leitenden Positionen anderer Banken und im südafrikanischen Finanzministerium.
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