[Consumer & Retail-Information vom 1. März 2024]

Im vergangenen Jahr lag die Hoffnung des Einzelhandels auf einer langsamen Erholung in der zweiten Jahreshälfte. Spätestens mit dem unter den Erwartungen verlaufenen Weihnachtsgeschäft wurde der Branche ein Strich durch die Rechnung gemacht. Folgt 2024 die Trendwende oder befindet sich der Einzelhandel im Krisenmodus?

Die reale Umsatzentwicklung war 2023 in den meisten Segmenten negativ

Die Verbraucherstimmung hellte sich im Jahresverlauf 2023 zwar auf, bewegte sich aber weiterhin auf einem Niveau, das keinen Rückenwind für den Konsum brachte. Ausgehend von einem Indexwert von -37,6 zum Jahresbeginn lag das GfK-Konsumklima als Indikator im Dezember mit -27,6 immer noch deutlich im negativen Bereich.

In Summe schloss der Einzelhandel das Jahr 2023 bei einem realen Umsatz-rückgang von -3,3 % ab. Die Differenz zur nominalen Entwicklung von 5 %-Punkten unterstreicht den starken Preisauftrieb. Bei Lebensmitteln lagen zwischen nominaler und realer Entwicklung sogar annähernd 10 %-Punkte – wie bereits im Vorjahr.
Negative Einkommenserwartungen bei steigender Sparquote und sinkender Anschaffungsneigung schlugen sich insbesondere bei Einrichtungsgegen-ständen und Haushaltsgeräten nieder. Im Einzelhandel mit Bekleidung, Schuhen etc. lagen die Umsätze 2023 erstmals auf 2019er Niveau, real allerdings weiterhin mehr als 4 % darunter. Beim Internet- und Versandhandel zeigt sich ein umgekehrtes Bild: Umsatz real im Vorjahresvergleich im Minus, aber rund 30 % über 2019.

Die Branche befindet sich zum Jahresstart 2024 weiterhin im Rückwärtsgang

Das GfK-Konsumklima hat sich in den ersten beiden Monaten nicht erholt und die Sparneigung lag im Februar bei einem Wert, der von der GfK zuletzt in der Finanz- und Wirtschaftskrise 2008 gemessen wurde. Kein Wunder also, dass der Einzelhandel nicht mit positiven Impulsen in das laufende Jahr gestartet ist. Im Vergleich zum Vormonat Dezember 2023 weist das Statistische Bundesamt für den Januar einen realen und nominalen Rückgang von -0,4 % aus, gegenüber Januar 2023 ein reales Minus von -1,6% (nominal +1,4 %). Bis auf Apotheken, Drogerien und Parfümerien waren alle anderen o.g. Segmente preisbereinigt rückläufig.

Real stagnierende Umsätze und Strukturwandel werden das laufende Jahr prägen

Für 2024 geht die IKB von einem Rückgang der Wirtschaftsleistung in Deutschland um -0,2 % (real) aus, für den Privaten Konsum von einer realen Steigerung um +0,8 %. Merkliche Erhöhungen bei Löhnen, Gehältern und Renten werden die Ausgabenbereitschaft und -möglichkeiten ebenso stützen wie die nachlassende Preis-steigerung. Die Inflationsrate prognostizieren die IKB-Volkswirte im laufenden Jahr bei 2,3 % (IKB-Barometer Februar 2024). Sowohl die Daten des Statistischen Bundesamtes für die Inflationsrate im Februar von 2,5 %
– der niedrigste Wert seit Mitte 2021 – als auch jüngste Aussagen des GfK-Konsumklimas zu steigenden Einkommenserwartungen unterlegen einen vorsichtigen Optimismus für den Konsum in einem insgesamt weiterhin schwierigen und unsicheren gesamtwirtschaftlichen Umfeld.

Wird die Aussicht auf steigende Konsumausgaben damit zu realen Mehrumsätzen im Einzelhandel führen?
Dies wird nicht zwangsläufig so kommen und vor allem nicht in allen Segmenten und bei allen Geschäfts-modellen. Ebenso wie der Einzelhandel setzen Tourismus, Gastronomie, Kultur und Freizeit als konkurrierende Ausgabenbereiche auf Zuwächse infolge der Einkommenssteigerungen und nachlassender Verunsicherung.
Die Tourismusbranche beispielsweise berichtet über anziehende Buchungen für 2024, während die Gastronomie darauf hofft, dass höhere Konsumbudgets die Mehrwertsteuererhöhung kompensieren werden.

Für Nahrungsmittel und Getränke erwarten wir 2024 eine leichte reale Umsatz- und damit Absatzerholung, bei Bekleidung und Schuhen sowie Consumer Electronics eine Seitwärtsbewegung. Bei DIY, Haus- und Heimtextilien und insbesondere Möbeln wird es aus IKB-Sicht frühestens im späten Verlauf des Jahres zu positiven Impulsen kommen, das Gesamtjahr wird mit realen Umsatzrückgängen abschließen.
Freizeitbedarf, u.a. die nach dem Corona-Boom gebeutelte Fahrradbranche, könnte etwas früher anziehen, während sich z.B. für Spielwaren, Uhren/Schmuck auch in diesem Jahr erst nach dem Weihnachtsgeschäft wirklich ein Fazit ziehen lassen wird.

In Summe prognostiziert die IKB für 2024 eine reale Umsatzentwicklung um die Nulllinie, nominal ein Plus von +2,5 % und bleibt damit etwas pessimistischer als der Handelsverband Deutschland (HDE). Einen deutlichen Unterschied zwischen stationärer Entwicklung und E-Commerce sehen wir in diesem Jahr nicht, da die Konsumdynamik insbesondere in den Online-affinen Warengruppen zu schwach ist. Der E-Commerce kann damit 2024 nicht an den Boom der Jahre vor 2022 anknüpfen, es zeigen sich allerdings seit dem vierten Quartal 2023 wieder leicht steigende Bestellfrequenzen.

Die Preisorientierung der Verbraucherinnen und Verbraucher, die z.B. im Lebensmitteleinzelhandel 2021 bis 2023 zu Marktanteilsgewinnen von LEH-Discountern und im Sortiment bei Handelsmarken führte, wird sich im weiteren Jahresverlauf nur zögerlich auflösen. Aktionen und Rabattierungen werden in weiten Teilen der Nonfood-Segmente deshalb auch weiter bevorzugte Mittel zur Steigerung von Frequenz und Absatz sein.
Die schwierige Ertragssituation wird sich vor dem skizzierten Hintergrund 2024 nicht auflösen, der Kostendruck wird sehr enge Grenzen setzen, u.a. über steigende Personalkosten. Bereits im vergangenen Jahr hat sich die Lage sowohl im stationären Handel wie auch im E-Commerce so verschärft, dass die Zahl der Insolvenzen und Geschäftsaufgaben deutlich gestiegen ist. Der HDE erwartet allein für 2024 weitere rund 5.000 Schließungen, in Summe mehr als 45.000 seit 2020, was mit Blick auf die Bedeutung des stationären Einzelhandels für die Attraktivität und Vitalität von Innenstädten und Stadt(teil)zentren fatal ist.

Für die wachstumsbasierten Geschäftsmodelle der Online-Händler sind die ausbleibenden Umsätze bei gestiegenen Logistik- und Finanzierungskosten eine anhaltende Herausforderung. Marktaustritte auf hohem Niveau und eine beschleunigte Bereinigung der Anbieterlandschaft um Player, die bei Skalierung und Prozesseffizienz Defizite aufweisen, werden die Branche durch das Jahr begleiten.      

Digitalisierung und Nachhaltigkeit als Zukunftsaufgaben

Über alle Kanäle wird die weitere Technisierung und Digitalisierung des Einzelhandels als struktureller Trend anhalten. Bei teilweise deutlich reduzierten Investitionsbudgets sind klar jene Marktteilnehmer im Vorteil, die die Weichen bereits gestellt haben. Im stationären Handel reichen die Ansätze zur Effizienzsteigerung von elektronischen Regalpreisetiketten, Checkout-Optionen oder Optimierungen in der Warenwirtschaft bis hin zu Cybersecurity und dem Einsatz Generativer KI, z.B. ChatBots in der Kundenberatung. 

Auch das Thema Nachhaltigkeit, im Kundenbewusstsein in den vergangenen beiden Jahren etwas in den Hintergrund gerückt, beschäftigt die Branche und wird präsent bleiben – nicht nur wegen der regulativen Vorgaben zum ESG-Reporting. Die Anforderungen der Verbraucherinnen und Verbraucher an Waren, Sortiment, und Prozesse werden mittel- und langfristig steigen, wenn auch der Blick auf das aktuelle Verhalten diesbezüglich Fragen aufwirft:
Auf der einen Seite wächst beispielsweise online das re-Commerce-Geschäft mit gebrauchten Waren, während andererseits – zumindest ökologisch fragwürdige – „on- demand-commerce“-Konzepte wie Temu und Shein mit Billigangeboten seit Monaten dynamisch wachsende Sendungszahlen insbesondere nach Deutschland melden. Abgesehen davon, dass sich erst über eine Erfahrungsphase der Käuferinnen und Käufer von wahrscheinlich mindestens 24 Monaten zeigen wird, ob sich hier keine Geschäftsmodellblase aufbaut, vergleichsweise zu den „10-Minuten-Versprechungen“ im Food Home Delivery, steht eine Klärung rechtlicher Fragen von grundlegender Bedeutung auf europäischer Ebene aus.
Eine mangelnde Priorisierung der Nachhaltigkeitsthematik im Einzelhandel wäre strategisch eindeutig falsch. Im Gegenteil, ein aktiver Umgang sowohl aus ökologischer wie auch betriebswirtschaftlicher Sicht ist ein zentraler Punkt in der unternehmerischen Ausrichtung. Dies gilt sowohl für stationäre wie auch Online-Konzepte über die gesamte Wertschöpfungskette. Neben Investitionen in energieeffiziente Gebäude (POS und Logistik), Geschäftsausstattung und E-Mobilität spielen auch Investitionen in die Digitalisierung eine wichtige Rolle.  

Der Einzelhandel blickt ohne Frage wieder einmal auf ein herausforderndes Jahr und eine durchgreifende Erholung sehen wir 2024 nicht. Einzelne Unternehmen befinden sich mit Sicherheit im Krisenmodus, aber der Großteil der Branche wird die schwierige Situation meistern und sich startklar zeigen für den Restart.

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Sven Anders, CFA
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