[Healthcare, Pharma, Chemicals-Information vom 22. Oktober 2020] Die europäische Chemieindustrie möchte ihren Beitrag zum Erreichen der europäischen Klimaziele leisten. Laut Branchenverband VCI sind die Chemie- und Pharmaindustrie mit ca. 54 TWh für rund 10,4 % des deutschen Stromverbrauchs verantwortlich. Zwei Branchengrößen haben nun erste Power Purchase Agreements (PPA) für Offshore-Windenergie abgeschlossen, um den CO2-Fußabdruck deutlich zu verringern.
Verschiedene Möglichkeiten der Umstellung auf erneuerbare Energien
Unternehmen haben verschiedene Möglichkeiten, ihre Energie- und Wärmeversorgung auf erneuerbare Energien umzustellen. Eine Möglichkeit ist die direkte Erzeugung vor Ort, z. B. mithilfe einer Solaranlage oder Geothermie. Während dieser Ansatz dem Unternehmen eigene Kontrolle und Flexibilität ermöglicht, ist es in der Chemieindustrie aber häufig unmöglich, die benötigten Kapazitäten für eine Großproduktionsanlage zu erzeugen. Allenfalls als zusätzliche Option zur Versorgung von weniger energieintensiven Anlagen oder Bürogebäuden ist dies eine geeignete Alternative. Eine weitere Möglichkeit ist die Direktinvestition in eine zentralisierte Energieerzeugungseinheit wie beispielsweise einen Windpark. Dies erfordert einen erheblichen Kapitalaufwand und zieht operative Verantwortung nach sich, die Chemieunternehmen in der Regel nicht eingehen wollen, da man sich auf das Kerngeschäft konzentrieren möchte. Alternativ ist der Abschluss eines langfristigen PPAs mit einem Erzeuger von erneuerbaren Energien möglich. Dies garantiert die Herkunft des Stroms und gibt Preissicherheit für eine kontrahierte Strommenge über einen bestimmten Zeitraum. Der Strom wird dann über das Netz bezogen.
Covestro und INEOS als Vorreiter in der Chemieindustrie
Das erste große Wind-PPA in Europa wurde im Dezember 2019 zwischen dem deutschen Kunststoffproduzenten Covestro und dem dänischen Energieerzeuger Oersted geschlossen. Covestro sichert sich ab 2025 eine Leistung von 100 MW für eine Laufzeit von zehn Jahren. Oersted will den Strom im Offshore-Windpark Borkum Riffgrund 3 erzeugen, für den noch eine finale Investitionsentscheidung aussteht. Hierfür werden aktuell Verträge mit möglichen Großabnehmern des Stroms geschlossen. Covestro möchte so sämtliche deutsche Standorte mit erneuerbarer Energie versorgen können. Den höheren Preis für erneuerbare Energie rechtfertigt das Unternehmen mit einer konsequenten Nachhaltigkeitsstrategie und steigenden Energie- und CO2-Kosten auf Basis von zu erwartenden Regulierungen.
Im September 2020 hat nun auch der britische Petrochemie-Produzent INEOS angekündigt, seine Werke in Belgien zukünftig mit grüner Energie versorgen zu wollen. Partner ist hier der französische Energieversorger ENGIE. Das Abkommen soll schon ab Januar 2021 gelten und beläuft sich auf ein Volumen von 84 MW. Auch haben sich die Unternehmen auf einen Zeitraum von zehn Jahren geeinigt. Der Windstrom kommt ebenfalls aus der Nordsee und erlaubt es INEOS insgesamt ca. 1.150.000 t CO2 einzusparen. Neben den aktuellen belgischen Werken soll auch das im Bau befindliche Project ONE in Antwerpen künftig mit dem Nordseestrom versorgt werden.
Energiemix wird zunehmend wichtigeres Thema in der Chemieindustrie
Derzeit beschäftigen sich viele Unternehmen der chemischen Industrie mit ihrem Energieinput. Nachdem Produktionsanlagen in den vergangenen Jahrzehnten auf maximale Effizienz getrimmt wurden, rücken nun geschlossene Stoffströme, nachwachsende Rohstoffe und grüne Energie in den Fokus. Auf Basis einer Studie des VCI in Zusammenarbeit mit DECHEMA benötigt die deutsche Chemieindustrie unter der Annahme, dass die gesamte Produktion elektrifiziert wird, künftig Strom aus erneuerbaren Energien in Höhe von 224 TWh. Dies würde es ermöglichen, komplett von fossilen Energieträgern unabhängig zu werden und sich mit elektrischem Strom und grünem Wasserstoff versorgen zu können. Diese Mengen werden voraussichtlich in Deutschland allein nicht zu erzeugen sein, weshalb ein internationales Sourcing-Netzwerk notwendig ist. Es ist nun an der Zeit für die Chemische Industrie, sich die Energieversorgung für die kommenden Jahrzehnte zu sichern. Vor dem Hintergrund der erneuerten KWKG-Novelle, Wind-PPAs, öffentlichen Fördermitteln für die Produktion von erneuerbaren Energien und einer möglichen Überarbeitung des EEG sind die Aufgaben und Möglichkeiten vielfältig.
Sven Anders ist Abteilungsdirektor und Head des Sektorteams Industrials, Mobility & Construction der IKB. Er betreut insbesondere Unternehmen aus den Branchen Chemie und Pharma und ist hier involviert in Finanzierungs- und Corporate Finance-Transaktionen der Bank. Nach dem Master of Science in Finance an der Norwegian School of Economics (NHH) hat er seine ersten beiden Berufsjahre bei einer Unternehmensberatung absolviert, bevor er 2018 zur IKB stieß.
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