[Healthcare, Pharma, Chemicals-Information vom 2. Dezember 2021]
Störungen der Lieferketten haben sich nach der schnellen wirtschaftlichen Erholung von der Covid-19-Pandemie auf viele Branchen ausgewirkt. Während diese beispielweise bei Konsumgütern für den Verbraucher eher ärgerlich sind, können Störungen der Lieferkette bei Arzneimitteln gravierendere Auswirkungen auf hilfebedürftige Patienten haben.
Arzneimittelversorgung während der Covid-19-Pandemie sichergestellt
Die Covid-19-Pandemie war ein erheblicher Stresstest für globale Lieferketten. Ein spürbarer Versorgungsengpass bei Arzneimitteln blieb erfreulicherweise aus. Erheblicher Aufwand der Pharmaindustrie, beispielsweise durch Sondertransporte und enge Lieferbeziehungen zu anderen Herstellern, ermöglichten dies. Die europäische Kommission billigte darüber hinaus die Kooperation von Arzneimittelherstellern, um die Versorgung von Krankenhäusern mit wichtigen Arzneimitteln sicherzustellen.
Starke Abhängigkeit von chinesischen Roh- und Wirkstoffen
Pharma-Lieferketten unterscheiden sich je nach Produkt. Gemeinsam haben die meisten, dass Rohstoffe und Wirkstoffkomponenten in China produziert werden. Insbesondere Generika-Hersteller haben aufgrund ihres Geschäftsmodells wenig Alternativen. Der Kostendruck ist hoch: Der Preis für eine Tagestherapiedosis eines Generikums beträgt in Deutschland 6 Cent.
China hat in der Vergangenheit wirtschaftspolitische Maßnahmen ergriffen, um einen langfristigen Standortvorteil zu generieren. So wird einerseits die nötige Infrastruktur beispielsweise durch subventionierte Grundstückpreise, gute Anbindung an Häfen und Flughäfen sowie die Entwicklung der Zulieferindustrie bereitgestellt. Andererseits werden attraktive Energie- und Rohstoffpreise sowie der Zugang zu günstiger Finanzierung ermöglicht. Der Standortvorteil und die hohen Nachfragemengen genieren erhebliche Skalenvorteile, sodass chinesische Wirkstoffe günstiger als z.B. indische sind. Die Situation hat dazu geführt, dass nur ein Drittel der Wirkstoffzertifikate für in Europa benötige Wirkstoffe bei europäischen Produzenten liegen, während asiatische Hersteller zwei Drittel halten. Die kostengetriebenen Rabattvertragsausschreibungen begünstigen Anbieter, die die preiswerte Wirkstoffquelle nutzen, da die Wirkstoffkosten oft einen signifikanten Anteil der gesamten Produktionskosten ausmachen.
Diverse Maßnahmen zur Stärkung der Lieferketten ergriffen
Das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) startete 2021 ein Projekt, um Lieferengpässe künftig besser vermeiden zu können. Das Projekt ist bis 2025 angelegt und folgt dem Ziel, Herstellungswege, Bedarfsprognosen, Produktionskapazitäten und Risikopotenziale weltweilt abzubilden. Auf Grundlage umfangreicher gesammelter und ausgewerteter Daten werden Lösungen für eine stabilere Arzneimittelverfügbarkeit entwickelt. Die Reaktionsgeschwindigkeit auf Veränderungen im Herstellungsgeschehen soll beschleunigt und die Produktion wichtiger Wirkstoffe gestärkt werden.
Um auf Störungen der Lieferkette reagieren zu können, halten Arzneimittelhersteller i.d.R. einen Bedarf von vier Monaten vor. Eine Lagerhaltung für einen längeren Zeitraum ist aufgrund der Haltbarkeit schwer realisierbar. Abgelaufene Arzneimittel müssen auf Kosten der Hersteller vernichtet werden. Daneben können Pharmaunternehmen Beziehungen zu mehreren Wirkstoffherstellern aufbauen, um Klumpenrisiken abzubauen. Die beispielhaft genannten Maßnahmen sind mit hohen Kosten verbunden und mit den aktuellen Ausschreibungskriterien der Krankenkassen nicht vereinbar.
Stärkung europäischer Produktion seitens Ampel-Koalition gefordert
Im aktuellen Koalitionsvertrag der Ampelregierung beschlossen die Parteien, Maßnahmen zu ergreifen, um die Herstellung von Arzneimittel inklusive der Wirkstoff- und Hilfsstoffproduktion nach Deutschland oder in die EU zurück zu verlagern. Genannt wird der Abbau von Bürokratie, Prüfung von Investitionszuschüssen für Produktionsstätten und Zuschüsse zur Gewährung von Versorgungssicherheit. Die AOK fordert basierend darauf, robuste Lieferketten als Ausschreibungskriterium zu verankern.
Obwohl ein Versorgungsengpass mit Arzneimitteln während der Covid-19-Pandemie ausblieb, wurden Herausforderungen auf der Lieferkette erneut sichtbar. Die Verankerung der Problematik im Koalitionsvertrag ist ein Schritt in die richtige Richtung. Spannend bleibt, welche konkreten Maßnahmen ergriffen werden und wie deutsche und europäische Pharmaunternehmen in Zukunft davon profitieren können

Claudia Klein ist Prokuristin in der Industriegruppe Healthcare, Pharma & Chemicals der IKB. Sie ist involviert in Finanzierungs- und Corporate Finance-Transaktionen der Bank. Neben dem Master of Science an der FOM Hochschule für Oekonomie & Management hat sie ihre ersten fünf Berufsjahre bei einer Sparkasse und in einer Unternehmensberatung absolviert, bevor sie 2019 zur IKB stieß.
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