[Healthcare, Pharma, Chemicals-Information vom 17. Juni 2021]
Arzneimittel für neuartige Therapien (ATMP = Advanced Therapy Medicinal Products) bieten die Chance Krankheiten mit einmaliger Anwendung zu heilen, indem beispielsweise defekte Gene ersetzt oder repariert werden. Derzeit laufen weltweit mehr als 1.200 klinische Studien zu entsprechenden Therapieoptionen. Bei Zulassung entsteht erhebliches Umsatzpotential für Pharmaunternehmen.
ATMP bieten die Möglichkeit bisher nicht therapierbare Krankheiten zu behandeln
ATMP werden in drei Arten unterteilt: Gentherapeutika, Zelltherapeutika und biotechnologisch bearbeitete Gewebeprodukte. Während die Wirkstoffe klassischer Arzneimittel aus einem chemischen Molekül oder einem Protein bestehen, sind ATMP-Wirkstoffe Nukleinsäuren wie Gene, ganze Zellen oder Gewebe.
In der EU wurde 2012 das erste Gentherapeutikum Glybera von uniQure zugelassen. Gentherapeutika sind biologische Arzneimittel, deren Wirkstoff eine rekombinante Nukleinsäure beinhaltet oder daraus besteht. Diese regulieren, reparieren, ersetzen, entfernen oder fügen eine Nukleinsäuresequenz hinzu. Dagegen enthalten Zelltherapeutika und biotechnologisch bearbeitete Gewebeprodukte Zellen, die modifiziert wurden und spezielle Aufgaben im Körper erfüllen. Diese Zellen oder das Gewebe werden aus dem Körper des Patienten entnommen und bearbeitet.
Mit ATMP werden bisher nicht therapierbare Krankheiten und Funktionsstörungen behandelt. Besonders relevant ist dies bei Erbkrankheiten, die auf defekten Genen beruhen, da diese ersetzt und somit die Ursache der Krankheit und nicht nur die Symptome behandelt werden können.
1.200 ATMP befinden sich in klinischen Studien
2021 sind in der EU zwölf ATMP zugelassen: neun Gentherapeutika, ein Zelltherapeutikum und zwei biotechnologisch bearbeitete Gewebeprodukte. Fünf weitere ATMP wurden nach Zulassung aus wirtschaftlichen Gründen vom Markt genommen. Zehn der zugelassenen Therapieoptionen haben den Orphan Drug Status.
Weltweit laufen derzeit mehr als 1.200 klinische Studien zu ATMP. Bei den 152 in Phase III-befindlichen Studien werden 2021 mindestens acht Zulassungen erwartet. Ab 2025 sollen jährlich 10-20 von der EMA und der FDA zugelassene ATMP hinzukommen.
Gentherapien, wie die CAR-T-Zelltherapie, bieten umfangreiche Ansätze in der Onkologie
Zwei Drittel der Studien entfallen auf die Onkologie. In diesem Indikationsgebiet wurde bereits die CAR-T-Zelltherapie als neuer Behandlungsansatz identifiziert. Das Immunsystem von Krebs-Patienten zeigt Schwächen, da eigene Immunzellen Tumorzellen nicht erkennen und daher nicht zerstören. Bei der CAR-T-Zelltherapie werden dem Patienten Immunzellen entnommen und im Labor gentechnisch verändert. Nach der Rückgabe der Zellen an den Patienten können die veränderten Immunzellen Tumorzellen erkennen und zerstören.
Bei einer CAR-T-Zelltherapie können allerdings schwere Nebenwirkungen auftreten, deren Ursachen weiter erforscht werden. Die Therapie wird bisher ausschließlich gegen eine kleine Gruppe von Tumoren des blutbildenden Systems eingesetzt, wenn andere Therapien versagt haben. Weitere Therapien gegen Krebserkrankungen befinden sich in der klinischen Entwicklung.
In den nächsten Jahren werden hohe Wachstumsraten mit ATMP prognostiziert
Aufgrund der umfangreichen neuen Therapiemöglichkeiten und künftigen Neuzulassungen werden hohe Umsätze mit ATMP prognostiziert. 2021 werden voraussichtlich 1,8 Mrd. € erreicht. Davon entfallen 0,9 Mrd. € auf Gentherapien und 0,3 Mrd. € auf Zelltherapien. Aufgrund der Vielzahl der Neuzulassungen wird 2026 ein Umsatz i.H.v. 27,9 Mrd. € erwartet, wovon 60 % auf Gentherapien entfallen. Einige der Therapeutika werden Blockbuster-Medikamente für die Hersteller sein und mindestens 1 Mrd. € Umsatz pro Jahr erzielen. Die weitere Entwicklung der ATMP bleibt damit ein spannendes und herausforderndes Thema für die gesamte Pharmaindustrie, die betroffenen Patienten und die Kostenträger. Big-Pharma-Unternehmen haben die Bedeutung des Themas erkannt und kaufen ATMP oder kooperieren mit Biotechunternehmen.
Claudia Klein ist Prokuristin in der Industriegruppe Healthcare, Pharma & Chemicals der IKB. Sie ist involviert in Finanzierungs- und Corporate Finance-Transaktionen der Bank. Neben dem Master of Science an der FOM Hochschule für Oekonomie & Management hat sie ihre ersten fünf Berufsjahre bei einer Sparkasse und in einer Unternehmensberatung absolviert, bevor sie 2019 zur IKB stieß.
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