[Consumer & Retail-Information vom 14. September 2022]
Die aktuellen wirtschaftlichen Turbulenzen bringen immer mehr Härtefälle hervor. Steigende Energie- und Rohstoffpreise sowie hohe Logistikkosten haben alle Wirtschaftsbereiche erfasst und belasten die Ertragssituation in zunehmendem Maße. Doch nun scheinen wir eine Schwelle zu überschreiten, bei der eine temporäre Produktionsdrosselung nicht mehr ausreicht, sondern ein vorübergehender Stopp immer häufiger sinnvoller erscheint. Eine Branche, aus der zunehmend Meldungen über solche Schritte kommen, ist die Papierbranche. Es sind Kapriolen an den Energiemärkten, die zu bisher nie dagewesenen Energiepreisspitzen führen, sodass immer mehr Unternehmen zu solchen Maßnahmen gezwungen werden und das bei oftmals noch vollen Auftragsbüchern.
Mit Blick auf die vergangenen Wochen wird klar, warum immer mehr Unternehmen in diese Bedrängnis geraten. Vor einem Monat (9.8.) lag der EEX Gaspreis bei ca. 193 Euro je Megawattstunde und war rückblickend der Startpunkt eines erneuten Preisschubs, der seinen (bisherigen) Höhepunkt am 26.8. bei rund 337 Euro erreichte. In nur wenigen Tagen stieg der Gaspreis um rund 75%. Infolgedessen hat sich der EEX Strompreis auf den Rekordwert von 660 Euro je Megawattstunde erhöht. Zwar zeigt sich seit Ende August eine deutliche Erholung – der EEX Gaspreis lag am 9.9. bei ca. 208 Euro je Megawattstunde – dennoch ist das Preisniveau deutlich zu hoch, als dass Unternehmen nachhaltig wirtschaften könnten – wie der Vergleich zur Preisentwicklung 2021 verdeutlicht. Trotz des aktuell sinkenden Gaspreises muss davon ausgegangen werden, dass die Volatilität in den kommenden Monaten hoch bleiben wird. Signifikante Preissprünge sind im aktuellen Umfeld aus unserer Sicht jederzeit möglich. Zudem kommt – Stand jetzt – mit der ab Oktober geltenden Gasumlage ein weiterer Belastungsfaktor auf die Unternehmen zu. Ob es eine Entlastung für energieintensive Unternehmen geben wird, ist aktuell Gegenstand politischer Verhandlungen.
Verschiedene Papierhersteller aus ganz Europa melden für September und Oktober Produktionskürzungen oder -stopps von wenigen Tagen bis zu Wochen. Unternehmen haben zwar noch einen guten Auftragsbestand, der Auftragseingang geht jedoch spürbar zurück. Insbesondere der Online-Handel, Wachstumstreiber vergangener Jahre, fragt deutlich weniger papierbasierte Verpackungsmittel nach. Ein erster Preiseffekt ist auf den Altpapiermärkten zu sehen. Die Altpapierpreise befinden sich in einer Korrektur und mit Blick auf weitere Abstellungen und eine schrumpfende Wirtschaft sollte die Preisumkehr beim Altpapier auch in den kommenden Monaten Bestand haben. Obwohl diese Preisentwicklung positiv für Papierhersteller ist, ist der Effekt bei weitem nicht ausreichend, um beschlossene Produktionskürzungen oder -abstellungen zu revidieren.
In den kommenden Monaten werden bei unveränderter Lage aus Sicht der IKB weitere Produktionskürzungen unvermeidlich sein. Neben den im Fokus stehenden Energiepreisen wird auch die schlechtere konjunkturelle Gesamtsituation weitere Abnehmerbereiche der Papierindustrie erfassen, sodass die Nachfrage – spätestens nach dem Weihnachtsgeschäft – insgesamt sinken wird. Immer mehr Wirtschaftsforschungsinstitute korrigieren nicht nur ihre BIP-Prognosen nach unten, sondern auch die Inflationsprognosen nach oben. Zudem hängt das Damoklesschwert der Gaskontingentierung im Rahmen des EU-Notfallplans über der Branche. Obwohl insbesondere die Verpackungspapierhersteller, die Papiere für die Lebensmittel- und Medizinverpackungen produzieren, systemrelevant sind, kann eine Kontingentierung – auch in den vor- oder nachgelagerten Wertschöpfungsstufen – die Lieferketten empfindlich belasten, sodass es zu Engpässen kommen kann.
In Summe wird die gesamte Papierbranche für den Rest des Jahres und bis in das Jahr 2023 hinein von einem erheblichen Kostendruck begleitet werden. Die Möglichkeiten weiterer Preisüberwälzungen sind mit Blick auf die zunehmend angespannte Ertragssituation entlang der nachgelagerten Wertschöpfungsstufen begrenzt. In diesem Szenario bleiben die Sicherung der Rohstoffverfügbarkeit und Produktionssicherheit sowie ein konsequentes Kosten- und Working-Capital-Management zentrale Themen. Wichtig wird zudem sein, ob und wie es der Politik gelingt, energieintensive Unternehmen gezielt zu entlasten, um perspektivisch eine gesicherte Produktion zu gewährleisten und Lieferketten so zu stabilisieren. Denn wohl erst im späteren Verlauf des Jahres 2023 wird sich die wirtschaftliche Situation aufgrund geringerer Inflationsraten und eines stabileren Konsums wieder verbessern.
Daniel Schönekäs ist Abteilungsdirektor im Sektorteam Consumer, Retail, Logistics & Health der IKB. Er ist involviert in Finanzierungs- und Corporate Finance-Transaktionen der Bank in den Branchen Konsumgüter und Handel und im Speziellen für die Bereiche Holzwirtschaft, Papier & Verpackungen zuständig. Nach dem Studium der Volkswirtschaftslehre an der Universität Leipzig stieß er 2014 zur IKB, wo er seine ersten Berufsjahre in der volkswirtschaftlichen Abteilung absolvierte.
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