[Healthcare, Pharma, Chemicals-Information vom 8. September 2022]

Unter Orphan Drugs werden Medikamente für Menschen mit seltenen Erkrankungen verstanden. Die EU definiert eine Erkrankung als selten, wenn davon nicht mehr als fünf von 10.000 Menschen betroffen sind. In Deutschland sind schätzungsweise 4 Mio. Personen betroffen. In der EU sind 200 Arzneimittel zur Bekämpfung dieser Erkrankungen zugelassen. Im Vergleich zu ca. 8.000 identifizierten seltenen Erkrankungen sind also bislang wenige behandelbar.

Aufgrund der geringen Anzahl Betroffener ist die Forschung an seltenen Erkrankungen für Pharmaunternehmen unter den üblichen Marktbedingungen häufig unrentabel. Um Anreize zu schaffen, trat in der EU Anfang 2000 die Verordnung über Arzneimittel für seltene Leiden in Kraft. Der Orphan Drug Status der EU hat drei Voraussetzungen: 1. Es handelt sich um eine seltene Erkrankung. 2. Diese Erkrankung ist schwer, also lebensbedrohlich oder kann zu chronischer Invalidität führen. 3. Es handelt sich um die erstmalige Behandlungsoption oder es ist ein Zusatznutzen gegenüber verfügbaren Therapieoptionen vorhanden. Ca. 2.400 Wirkstoffe haben den Orphan Drug Status in der EU. Diese Position ermöglicht unterschiedliche Förderungen, z. B.  eine zehnjährige Marktexklusivität und die Befreiung von European Medicines Agency (EMA)-Gebühren.

Jährlich zweistellige Neuzulassungen seit 2014

Die Zahl der Neuzulassungen in der EU befindet sich – mit Ausnahme des Jahres 2019 – seit 2014 auf zweistelligem Niveau. Der Anstieg im Vergleich zum Jahr des Inkrafttretens der EU-Verordnung ist immens, die Anreize werden also positiv bewertet.

Von den inzwischen über 200 zugelassenen Arzneimitteln entfallen 40 % auf die Onkologie und 22 % auf die Behandlung von Stoffwechselerkrankungen. 30 % der zugelassenen Orphan Drugs sind biologische Arzneimittel.

Eine Zulassung in der EU bedeutet nicht, dass die Arzneimittel allen Patienten in der EU zur Verfügung stehen. In Deutschland sind beispielsweise 95 % der Orphan Drugs verfügbar, während es in Frankreich lediglich 72 % sind. Auch die Zeitspanne zwischen EU-Zulassung und Verfügbarkeit unterscheidet sich stark: In Deutschland liegt diese gerade mal bei 102 Tagen, während die Spanne im europäischen Mittel 636 Tage beträgt.

Orphan Drug Regelung wegen hoher Kosten in der Kritik

Die Kritik an den Orphan Drugs betrifft vor allem die hohen Behandlungskosten für den Einzelfall. Trotz geringer Verordnungsvolumina führen Orphan Drugs zu einer beachtlichen Kostenbelastung bei den gesetzlichen Krankenversicherungen: 2020 haben Orphan Drugs in Deutschland laut Arzneimittel-Kompass des Wissenschaftlichen Instituts der AOK einen Versorgungsanteil nach verordneten Tagesdosen in Höhe von 0,06 %, während der Kostenanteil 11,8% der gesamten Arzneimittelausgaben beträgt.

Ende 2022 wird ein neuer Vorschlag für die Nachfolgeregelung der EU-Verordnung erwartet. Auch in den USA wird die aktuelle Regelung für Orphan Drugs geprüft und eine Reform des beschleunigten Zulassungsverfahrens in Erwägung gezogen. Das Thema bleibt also weltweit virulent.

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