[Consumer & Retail-Information vom 15. Juli 2021]

Endlich kann ein Beitrag über den stationären Textilhandel mit einer erfreulichen Nachricht eröffnen: In den vergangenen Wochen hat sich die Umsatzsituation deutlich verbessert. Die Verbesserung setzte nach Zahlen des TW-Testclubs der TextilWirtschaft ab der zweiten Maihälfte ein und zeigte in den Juniwochen zweistellige Umsatzzuwächse – 29 % und 28 % in KW 23 bzw. KW 24 – im Vergleich zu 2020. Diese Entwicklung war zu erwarten, denn sinkende Inzidenzen, steigende Impfquoten und die Öffnung der Gastronomie führten zu steigenden Frequenzen in den Innenstädten. Die Lust, wieder vergleichsweise ungestört shoppen und dann noch etwas trinken und essen zu können, ist nach 16 Monaten Pandemie groß. Dennoch sollten die Erwartungen für die kommenden Wochen nicht zu hoch ausfallen, denn die Umsatzzahlen des TW-Testclubs zeigten zuletzt deutlich niedrigere Umsatzzuwächse von 7 % Ende Juni bzw. 11 % in der ersten Juliwoche an.

Düsterer Rückblick, …

Die aktuell guten Zahlen insb. für den stationären Handel sind mit Blick auf das Jahr 2020 und das 1. Halbjahr 2021 dringend nötig. Der Bekleidungseinzelhandel musste im vergangenen Jahr einen Umsatzrückgang von knapp
25 % verkraften. Auch die Bekleidungshersteller mussten mit -19 % herbe Verluste hinnehmen, die aufgrund der hohen Onlinezuwächse etwas weniger stark ausgeprägt waren.
Auch das erste Halbjahr 2021 wird mit einem massiven Verlust abschließen. Nach den beiden Lockdown-Monaten Januar und Februar keimte mit sinkenden Inzidenzen im März Hoffnung auf, den Handel auf breiter Front öffnen zu können. Aufgrund der Verbreitung der Alpha-Variante und der deswegen im April erfolgten bundeseinheitlichen Notbremse hat sich diese Hoffnung nicht erfüllt. Nach dem ausgefallenen Wintergeschäft blieb auch die Frühjahrsmode in den Geschäften liegen. Der Verlust im ersten Halbjahr 2021 könnte sich demnach im Vergleich zu 2019 auf 50 % aufsummieren. Die Bekleidungshersteller sollten glimpflicher davongekommen sein, da der Absatzkanal E-Commerce weiterhin boomt.

… aber die aktuelle Lage ist deutlich besser

Trotz fehlender Nachholeffekte ist in den kommenden Monaten mit Umsatzzuwächsen zu rechnen. Die Ferienzeit beginnt, die Lust einzukaufen ist da und auch die Sommerware ist in den Läden vorhanden. Die aktuell gute Phase ist wichtig, um die angespannte Liquiditätssituation vieler Händler etwas zu mildern. Daher ist es ratsam, trotz geringer Umsatzzuwächse keine Rabattaktionen zu starten, um Kunden zu locken. Auch wenn die Unsicherheit wegen der Delta-Variante steigt, werden die kommenden Wochen wahrscheinlich unbeschwert bleiben. Dieses Zeitfenster sollte genutzt werden, um zumindest die Sommerware möglichst lange ohne Abschläge zu verkaufen. 

2. Halbjahr wird nochmal herausfordernd

Dennoch bleibt die Lage insbesondere für den stationären Textilhandel anspruchsvoll. Die Händler müssen sich aktuell mit vielen Fragen auseinandersetzen. Wie sehen die Bestellungen für Frühjahr/Sommer 2022 aus? Ein Großteil der Übergangsware aus dem Frühjahr konnte nicht verkauft werden, sodass diese im Lager liegt und zum Teil dort bis 2022 liegen bleiben wird. Die Sommerware dagegen kann vergleichsweise gut abverkauft werden. Wie nachhaltig ist der Online-Shift? Sollte grundsätzlich weniger geordert werden, weil ein Teil des Online-Umsatzes nicht in die Läden zurückkommt? Wie verläuft der anstehende Saisonwechsel? Die Herbst- und Winterware sollten in den kommenden Wochen eintreffen und das Thema Liquidität rückt in den Fokus. Zwar wurde durch die Überbrückungshilfe III Liquidität bereitgestellt, dennoch wird es für viele Marktteilnehmer schwierig werden, die neue Ware zu finanzieren. Wie entwickeln sich die globalen Logistikprobleme? Kommt die Ware rechtzeitig und in der georderten Menge in den Läden an? China, als wichtigstes Herkunftsland für Bekleidungsimporte, hat massive Probleme, seine Waren zu exportieren. Der lokale Ausbruch des Coronavirus im Hafen von Yantian, dem größten Containerterminal Chinas, hat die ohnehin angespannte Situation weiter verschärft (siehe IKB-Blogbeitrag zur Logistikbranche). Wegen der Delta-Variante kommen Corona bedingte Einschränkungen in weiteren wichtigen Produktionsländern wie Bangladesch, Kambodscha und Indien hinzu.

Insgesamt bleibt eine gewisse Unsicherheit über die kommenden Monate bestehen. Doch die aktuellen Zahlen zeigen, dass die Konsumenten Lust haben, neue Kleidung in den Geschäften zu kaufen. Mut macht zudem die Impfkampagne, die dazu führen kann, dass trotz steigender Inzidenzen auch im Herbst nicht nur der stationäre Handel geöffnet bleibt, sondern auch wieder größere Veranstaltungen stattfinden dürfen. Sollten keine weiteren Lockdown-Maßnahmen im Herbst und Winter kommen, kann die Branche endlich wieder aufatmen. Zu wünschen ist es ihr.

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Dr. Klaus Bauknecht                  Volkswirtschaft

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