[Healthcare, Pharma, Chemicals-Information vom 21. April 2022]
Die deutsche Medizintechnikindustrie hat ihre globale Wettbewerbsfähigkeit 2021 erneut unter Beweis gestellt. Trotz anhaltender Coronabedingungen ist es der Branche gelungen, beim Umsatz im In- und Ausland zuzulegen. Doch nach wie vor hemmt die europaweit bereits seit Mai letzten Jahres geltende Medical Device Regulation (MDR). Sie regelt die Marktzulassung für Medizinprodukte neu und einheitlich. Immer noch müssen Schätzungen zufolge bis zu 24.000 Medizinprodukte, die bereits am Markt etabliert sind, auf ihre Zulassung warten bzw. aufwändig rezertifiziert werden. Die Zahl der dafür verfügbaren staatlich ernannten Prüfstellen ist bis zum heutigen Tag nicht ausreichend. Die Übergangsfrist für die vorhandenen Produkte läuft jedoch im Mai 2024 ab. Die Sorge auf der Abnehmerseite bei Kliniken und Ärzten ist groß, dass bis zu einem Drittel der Medizintechnikprodukte, vor allem Nischenerzeugnisse, bis dahin vom Markt verschwinden könnte.
2021: Erfolgreiches Jahr
Anfang Juni hat der Branchenverband Spectaris die wirtschaftlichen Kennzahlen für die deutsche Medizintechnik veröffentlicht. Danach hat sich der Umsatz 2021 um 6,3 % auf 36,4 Mrd. € gesteigert, wobei wieder einmal die Exporte mit 7,4 % überproportional auf 24,2 Mrd. € zunahmen. Insbesondere die EU und Nordamerika waren dabei Zielländer, während der Auslandsumsatz mit den asiatischen Ländern aufgrund der dortigen Coronasituation schwächer ausfiel. Insgesamt lag die Exportquote bei beachtlichen 66 %.
2022: Die Erwartungen sind gedämpfter
Zwar erzielte die Branche im ersten Quartal 2022 mit 3,4 % erneut ein Umsatzplus, die Erwartungen für das Gesamtjahr liegen allerdings unter den Ergebnissen von 2021. Die Gründe dafür liegen auf der Hand: der Krieg in der Ukraine, die nach wie vor bestehenden Lieferkettenstörungen und die zum Teil dramatisch gestiegenen Material-, Energie- und Logistikkosten. Auch die hohe Sach- und Personalkostenbelastung der Unternehmen im Zusammenhang mit der neuen EU-Medizinprodukteverordnung trübt die Stimmung. Unternehmen berichten, der zusätzliche Aufwand belaste die vorhandenen Personalkapazitäten sehr stark. Dieser Umstand führt mit dem auch in diesem Industriezweig herrschenden Fachkräftemangel dazu, dass weniger innovative Produkte entwickelt werden können, die das langfristige Überleben von Produzenten sichern. Vor allem kleinere und mittelständische Hersteller, die das Bild der deutschen Medizintechnikindustrie entscheidend prägen, sind betroffen.
Aber auch die Abnehmerseite ist von den neuen Regularien tangiert. So muss zum Beispiel die durch die Corona-Pandemie und langjährigen Investitionsstau ohnehin schon gebeutelte Gesundheitswirtschaft in Deutschland mit erhöhten Beschaffungskosten für medizintechnische Geräte oder sogar Versorgungsengpässen rechnen.
Leider hat auch eine Sitzung des Employment, Social Policy, Health and Consumer Affairs Council (EPSCO) am 14. Juni 2022 keinen entscheidenden Durchbruch für eine schnelle Lösung bei den Umsetzungsproblemen der MDR gebracht. Der Zeitdruck für die Unternehmen wächst jedoch von Tag zu Tag. Laut Angaben des Branchenfachverbands
BVMed erfordert die Übergangsfrist bis Mai 2024, dass allerspätestens im dritten Quartal 2022 die unternehmerischen Entscheidungen getroffen werden müssen, welche Medizintechnikprodukte die Firmen vom Markt nehmen werden.
Zukunftsperspektiven grundsätzlich positiv
Bei allen aktuellen Schwierigkeiten können die Unternehmen der deutschen Medizintechnik dennoch positiv in die nächsten Jahre blicken. Der langfristige Wachstumspfad beim Umsatz bleibt mit 5-6 % in Takt. Die weltweit alternde Bevölkerung, die Zunahme chronischer Krankheiten, das wachsende Gesundheitsbewusstsein, der technologische Fortschritt, die Digitalisierung und Einbindung von Künstlicher Intelligenz sowie die steigende Bedeutung guter Gesundheitssysteme in den Emerging Markets sind nur einige Trends, die diese Prognose stützen.
Johanna Eckert-Kömen betreut als Direktorin im Sektorteam Consumer, Retail, Logistics & Health der IKB insbesondere Unternehmen aus den Branchen Healthcare Services, Medizintechnik, Pharma sowie Kosmetik und ist involviert in Finanzierungs- und Corporate Finance-Transaktionen der Bank. Nach dem Studium der Volkswirtschaft an der Universität des Saarlandes stieß sie bereits 1991 zur IKB.
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