[Healthcare, Pharma, Chemicals-Information vom 29. Juni 2023]
Medizinische Versorgungszentren (MVZ) sind aus der ambulanten Versorgung in Deutschland nicht mehr wegzudenken. Die Motive für die Gründung sind vielfältig: Ärzte und Ärztinnen müssen nicht mehr das Risiko der Selbstständigkeit eingehen, sondern haben die Möglichkeit der Anstellung durch ein MVZ. Ein breiteres Leistungsangebot für Patienten und bessere fachliche Kooperationschancen sind ebenfalls Treiber. Darüber hinaus spielt auch die Nutzung von Synergie- und Skaleneffekten zur Verbesserung der Wettbewerbsfähigkeit und Stärkung der eigenen Marktposition eine Rolle.
Unaufhaltsames Wachstum
Während sich die Anzahl der MVZ in Deutschland im Jahr 2004 noch auf 70 belief, gewann das Thema in den darauffolgenden zehn Jahren erheblich an Bedeutung. 2021 existierten mehr als 4.100 Medizinische Versorgungszentren. Trotz dieses deutlichen Wachstums ist der Anteil der MVZ an der Gesamtsumme von über 100.000 ambulanten Praxen noch eher gering. Von mehr als 176.000 Ärzten und Psychotherapeuten lassen sich im Jahr 2021 nur 15 % MVZ zuordnen. 93 % der dort tätigen Ärzte sind angestellt.
Entwicklung der Träger Anzahl von Medizinischen Versorgungszentren 2012 bis 2021
Krankenhäuser als Träger mit dem höchsten Anstieg
Die Anzahl der Vertragsärzte, die Inhaber von MVZ sind, ist in den Jahren 2012 bis 2021 von 826 auf 1.974 um 139 % angestiegen. Während sonstige Träger wie Kommunen, Praxisnetze oder Erbringer nichtärztlicher Dialyseleistungen nur einen Zuwachs von rund 34 % zu verzeichnen hatten, erhöhte sich die Anzahl von Krankenhäusern als Träger sogar von 763 auf 1.881 um knapp 147 %. Dies liegt nicht nur an der Expansion durch große Krankenhausbetreiber, die sich dadurch einen Einstieg in die ambulante Versorgungsform gesichert haben. Auch eine Gesetzesänderung unterstützte diese Entwicklung. Seit 2012 waren nur noch Vertragsärzte, Krankenhäuser, Erbringer nichtärztlicher Dialyseleistungen, Kommunen sowie bestimmte gemeinnützige Trägerorganisationen zur Gründung eines MVZ berechtigt. Zudem wurde die Rechtsform einer Aktiengesellschaft ausgeschlossen. Dies führte dazu, dass insbesondere Finanzinvestoren meist kleinere Krankenhäuser aufkauften, um somit eine juristische Plattform zur Gründung eines MVZ zu haben. Inzwischen werden in Deutschland deutlich über 100 Praxen pro Jahr von Private Equity Gesellschaften gekauft. Doch es blieb nicht bei diesen Beschlüssen aus 2012. Weitere gesetzliche Einschränkungen erfolgten 2019 speziell für Zahnarztpraxen.
Auffällig ist, dass zwischen 25 und 41 % der Augenärzte, Anästhesisten, Orthopäden, Chirurgen, Internisten und Radiologen in MVZ arbeiten. Den geringsten Anteil mit nur 3 % bilden ärztliche und psychologische Psychotherapeuten. Es sind also tendenziell eher die capexlastigen Fachgebiete in der Organisationsstruktur eines MVZ zu finden. Denn in Praxisketten lassen sich Investitionserfordernisse besser umsetzen und Fixkostendegressionspotenziale nutzen. Allein der Anteil der Augenärzte, die in MVZ arbeiten, ist zwischen 2015 und 2021 von 10 auf 27 % gewachsen.
Bei der regionalen Verteilung im Jahr 2021 liegen – passend zur Bevölkerungsverteilung – Bayern und Nordrhein-Westfalen mit 878 bzw. rund 800 MVZ an der Spitze. Bremen und Saarland bilden mit 44 und 41 MVZ das Schlusslicht.
Aktuelle Diskussion um MVZ erneut entfacht
Parallel zum starken Wachstum der MVZ hört die Diskussion um das Profitinteresse der Akteure nicht auf. Zuletzt hat Gesundheitsminister Lauterbach wieder hinterfragt, ob Private Equity-Investoren, die aufgrund der Marktgröße und Resilienz des Sektors nach wie vor großes Potenzial in MVZ sehen, geeignete Investoren im Gesundheitssektor darstellen. Doch um deren Einfluss zu beschränken, waren sie – wie oben beschrieben – bereits häufig Adressaten gesetzlicher Änderungen. So auch in diesem Jahr: Derzeit wird im Bundesgesundheitsministerium (BMG) an einem Entwurf für ein neues MVZ-Regulierungsgesetz gearbeitet. Ziel ist es, eine mögliche Monopolstellung von Anbietern zu verhindern und eine am Patientenwohl orientierte ambulante Versorgung zu stärken. Obwohl die Gesetzgebungskompetenz beim Bund liegt, hat der Bundesrat als Vertreter der Länder aktuell Vorschläge unterbreitet. Dazu gehören: MVZ dürfen nicht weiter als 50 km vom Trägerkrankenhaus entfernt sein. Zudem sollen Inhaberstrukturen transparenter werden und MVZ-Träger dürfen sich nur auf eine ausgeschriebene Arztstelle bewerben, wenn ein Nachfolger-Arzt explizit genannt werden kann. Auch soll es versorgungsspezifische Einschränkungen geben, wenn MVZ in bereits überversorgten Gebieten gegründet werden sollen. Abzuwarten bleibt, wie sich das BMG und sodann die Gremien wie Gesundheitsausschuss und Bundestag hierzu positionieren werden.
Ein umfassendes Verbot für Finanzinvestoren, sich an Arztpraxen zu beteiligen, wäre allerdings wohl verfassungswidrig.
Johanna Eckert-Kömen betreut als Direktorin im Sektorteam Consumer, Retail, Logistics & Health der IKB insbesondere Unternehmen aus den Branchen Healthcare Services, Medizintechnik, Pharma sowie Kosmetik und ist involviert in Finanzierungs- und Corporate Finance-Transaktionen der Bank. Nach dem Studium der Volkswirtschaft an der Universität des Saarlandes stieß sie bereits 1991 zur IKB.
Hinterlasse einen Kommentar