[Kapitalmarkt-News vom 19. Juli 2021]
Fazit: Das Kurzarbeitergeld ist nicht nur ein wirkungsvolles Instrument zur Beschäftigungssicherung. Es ist auch ein entscheidendes, um eine starke Zunahme der Unternehmensinsolvenzen in Krisenzeiten zu verhindern. Denn dank der staatlichen Subventionierung der Lohnkosten entlastet die Fiskalpolitik den Druck auf die Unternehmensgewinne und verhindert somit einen Kapazitätsabbau. Dies erklärt zumindest teilweise auch die anhaltende Stimmungsverbesserung in der Automobilindustrie trotz des gleichzeitigen, deutlichen Produktionsrückgangs.
Die IKB erwartet in Deutschland einen Anstieg der Insolvenzquote für Unternehmen von knapp 0,5 % im Jahr 2020 auf rund 0,7 % im Jahr 2022. Eine eskalierende Insolvenzwelle sollte also ausbleiben.
Kurzarbeiterregelung vermindert Margendruck und schont Kapazitäten
Die Produktion im Verarbeitenden Gewerbe ist weiter rückläufig. Der Grund ist bekannt und vor allem in der Automobilindustrie zu finden: Diese musste seit Dezember 2020 bis Mai 2021 ihre Produktion um fast 23 % drosseln, während das Verarbeitende Gewerbe insgesamt nur einen Rückgang von rd. 2 % verzeichnete. Hierbei spielen die geringe Halbleiterproduktion und grundsätzliche Lieferengpässe eine große Rolle. Trotz dieser Probleme und Produktionsverluste ist die Stimmung der Unternehmen allgemein und insbesondere in der Industrie weiterhin positiv; und sie hellt sich fast stetig auf. Ein Grund mag sicherlich sein, dass die Auftragslage nach wie vor gut ausfällt; und die Unternehmen gehen davon aus, dass sie ihre gut gefüllten Auftragsbücher später abarbeiten können. Doch dies mag nicht der einzige Grund sein, warum die Stimmung besser ist, als es das Produktionsniveau signalisiert.
Denn die Nutzung der Kurzarbeit entlastet die Unternehmen auch auf der Kostenseite. Ohne die Subventionierung durch den Staat und bzw. oder Personalentlassungen wäre in der Corona-Pandemie ansonsten mit deutlich steigenden Lohnstückkosten und damit einem Einbruch der Profitabilität zu rechnen. Große Entlassungswellen sind allerdings unerwünscht, weil die Nachfrage robust ist und der Ausblick für eine baldige deutliche Produktionssteigerung offensichtlich. Deshalb ist eine Überbrückung sinnvoller – nicht zuletzt aus sozialen und volkswirtschaftlichen Gründen – als eine Anpassung der Belegschaftsgröße. Und dies gelingt dank des Staates durch die Teil-Auslagerung der Lohnkosten.
Sind die Lieferengpässe das Ergebnis der Coronakrise oder sind sie eher auf unternehmerische Fehlentscheidungen zurückzuführen? Es ist sicherlich eine Kombination von beiden. Zum einen hat sich die Nachfrage deutlich stärker und zügiger erholt als erwartet. Die Auftragseingänge der Industrie zeigen eine klare V-Erholung und sind spürbar schneller angezogen als in der Finanzkrise. Sorgen über den Verlauf der Pandemie in Kombination mit den Erfahrungen aus der Finanzkrise haben jedoch auf der anderen Seite zu Vorsicht bei Bestellungen bzw. beim Lageraufbau gesorgt. Zurückhaltung bei Lieferverträgen, die dynamische Nachfrage und fehlende Kapazitäten in der Halbleiterproduktion haben zusammen maßgeblich zum aktuellen Produktionsrückgang beigetragen. Darauf reagieren können Unternehmen nur begrenzt. Höhere Halbleiterleiterpreise helfen in einem Umfeld von fehlenden Kapazitäten nur wenig – zumindest kurzfristig. Preisanhebungen bei Endprodukten können den Margendruck jedoch reduzieren. Gleiches gilt für die Verschiebung der Lohnkosten zum Staat.
Die Kurzarbeiterregelung stellt sicher, dass die Produktionskapazitäten vor allem in der Automobilindustrie bestehen bleiben, ohne die Gewinnmarge zu sehr zu belasten. So ist die Inanspruchnahme des Kurzarbeitergeldes aus fiskalischer Sicht richtig, da sie nicht nur den Arbeitsmarlt stabilisiert, sondern wichtige Kapazitäten im Verarbeitenden Gewerbe sichert. Auch reduziert sie das Insolvenzrisiko der Unternehmen; eine Einschätzung, die für die gesamte Wirtschaft gilt.
Kurzarbeiterregelung dämpft durch effektive Kostenreduktion einen möglichen Kapazitätsabbau und damit das Insolvenzrisiko
Die Zahl der Insolvenzen wird aktuell nicht nur vom BIP-Wachstum und den Zinsen beeinflusst, sondern maßgeblich auch von der effektiven Nutzung der Kurzarbeit. Eine Verlangsamung des BIP-Wachstums sowie steigende Zinsen führen zu einer Zunahme der Ausfallquoten bei Unternehmen. Der negative Konjunktureinfluss wird jedoch durch die Kurzarbeit gedämpft. Sicherlich hat sich die Wirtschaft relativ schnell erholt. Und auch die rechtlichen Rahmenbedingungen, wie die Aussetzung der Insolvenzantragspflicht, wurden angepasst, um Unternehmensausfälle zu vermeiden. Die Kurzarbeiterregel hat aber – wie schon in den Krisen zuvor – ebenfalls einen entscheidenden Beitrag geleistet: Steigt die Anzahl der Kurzarbeiter und damit die staatliche Unterstützung für Lohnkosten, sinkt die Ausfallwahrscheinlichkeit der Unternehmen. Die Regel erlaubt eine relativ schnelle Entlastung und verhindert gerade in einer Krise, in der die Nachfrage wegbricht, eskalierende Lohnstückkosten, die die Profitabilität belasten und einen Kapazitäts- und Stellenabbau forcieren, was wiederum eine schnelle BIP-Erholung bremst. Der Erfolg der Kurzarbeiterregelung zeigt sich deshalb in einer geringeren Arbeitslosenquote und vor allem in niedrigeren Ausfallraten von Unternehmen.
Gemäß empirischen Schätzungen reduziert ein Anstieg der Anzahl der Kurzarbeiter um 1 Million die Insolvenzquote für Unternehmen um über 0,1 Prozentpunkte. Die Ausweitung der Kurzarbeit von quasi null im Jahr 2019 auf durchschnittlich fast 3 Mio. Beschäftigte im Jahr 2020 hat also eine Erhöhung der Ausfallrate von Unternehmen um 0,3 bis 0,4 Prozentpunkte verhindert. Ist das viel oder wenig? Der jährliche Durchschnitt der Ausfallraten lag zwischen 2001 und 2020 bei 0,9 % pro Jahr. Im Jahr 2019 lag die Ausfallrate bei 0,6 %. Ein Anstieg von 0,3 bis 0,4 Prozentpunkten entspricht also fast einer Verdopplung der Ausfallrate. Auch bezogen auf den langjährigen Durchschnitt ist es eine bedeutende Größe. Kein Zweifel: Die Kurzarbeiterregelung reduziert grundsätzlich und insbesondere in Krisen wie 2009 und 2020 den Anstieg der Unternehmensausfälle deutlich. Dies gilt vor allem in der Coronapandemie, als die Anzahl der Kurzarbeiter mit rund 3 Millionen etwa dreimal so hoch war wie in der Finanzkrise im Jahr 2009. Die Einschätzung, dass ein Tsunami von Insolvenzen vor allem im Verarbeitenden Gewerbe unwahrscheinlich ist, kann deshalb bestätigt werden, denn:
- Die Konjunktur erholte sich relativ schnell.
- Effektive staatliche Unterstützung in Form von Liquiditätszusicherung hat für deutliche Entspannung gesorgt.
- Rechtliche Rahmenbedingungen haben durch Corona forcierte Ausfälle abgemildert.
- Die Kurzarbeiterregelung hat die Lohnkosten subventioniert und damit die Unternehmen entlastet.
Sinkende Zinsen sorgen ebenfalls für weniger Unternehmensausfälle. Allerdings wäre eine Zinssenkung um 1 Prozentpunkt erforderlich, um die Ausfallrate um 0,1 Prozentpunkte zu verringern. Angesichts der niedrigen Zinsen in den letzten Jahren ist der positive Einfluss weiterer Zinssenkungen eher überschaubar, auch wenn Bundrenditen negativ notieren. Doch wie bei den Zinsen, so mag das Argument auch für die Kurzarbeit gelten: Die Regelung verhindert Anpassungen und hält durch die Subventionierung Unternehmen am Leben, die sich eigentlich grundsätzlich neu ausrichten sollten, dies aber aufgrund der Fiskal- oder -Geldpolitik nicht müssen. Dieses Argument gilt insbesondere dann, wenn Kurzarbeit nicht nur in Krisenzeiten genutzt wird, sondern darüber hinaus. Da jedoch die aktuellen Lieferengpässe kaum etwas mit strukturellen Anpassungen zu tun haben, ist entsprechende Kritik aktuell wenig angebracht, insbesondere weil geringere Produktionskapazitäten die Konjunkturerholung 2022 belasten würden.
Die Ausfallquote ist von 0,4 % im vierten Quartal 2020 bereits auf schätzungsweise 0,5 % im ersten Quartal 2021 angestiegen. Auf Grundlage des IKB-Models sowie aktuellen Annahmen ist von einem Anstieg der durchschnittlichen Ausfallquote von 0,5 % im Jahr 2020 auf 0,6 % im Jahr 2021 und rund 0,7 % im Jahr 2022 auszugehen.
Einschätzung: Anders als die Zinshöhe ist die Kurzarbeiterregelung auch weiterhin ein effektives Instrument der konjunkturellen Stütze. Durch sie ist die deutsche Fiskalpolitik erfolgreich darin, einen positiven Einfluss auf die Realwirtschaft auszuüben – und dies nicht nur hinsichtlich Einkommen und Arbeitsplatzsicherung, sondern auch, um die Ausfallraten von Unternehmen möglichst gering zu halten. Zinsen hingegen sind nur effektiv, wenn sie der Fiskalpolitik den Raum für Stützungsmaßnahmen sichern. Dank der EZB kommt die deutsche Fiskalpolitik nicht an ihre Grenzen, selbst wenn die Schuldenquote des Staates sich weiter deutlich ausweiten würde. Empirisch lässt sich die Ausfalldynamik der deutschen Unternehmen mit einem Modell relativ gut abbilden, das die Ausfallquoten das Zusammenspiel von Wachstum, Zinshöhe und Fiskalpolitik/Kurzarbeiterregelung erklärt.
Kurzarbeiterregelung ist Stimmungsaufheller
Kurzarbeitergeld stützt durch Subventionierung der Lohnkosten die Gewinne der Unternehmen und reduziert damit das systematische Ausfallrisiko. Von daher fällt die Stimmung der Unternehmen trotz Produktionseinbußen nach wie vor gut aus. Empirisch lässt sich dies auch daran erkennen, dass eine Veränderung der Kurzarbeitsanträge einer Veränderung des ifo Geschäftsklimas und damit der Stimmungslage der Unternehmen zeitlich voraus geht. Steigt die beantragte Kurzarbeiterzahl, so hat dies in den Folgemonaten einen positiven Einfluss auf den ifo Index und damit auf die Stimmung der Unternehmen. Es ist also nicht die Stimmungseintrübung, die notgedrungen zu mehr Kurzarbeit führt. Es ist viel mehr die Möglichkeit und Nutzung der Kurzarbeiterregelung, die zu einer Stimmungsaufhellung bei den Unternehmen führt. Ohne Frage geht bei einer konjunkturellen Eintrübung eine anfängliche Zunahme der Kurzarbeit mit einem Rückgang des ifo Geschäftsklimas und damit einer Stimmungseintrübung einher. Im weiteren Verlauf verbessert sich jedoch infolge der Entlastung durch die Kurzarbeiterregelung selbst bei gleicher Konjunkturlage die Stimmung. Dies erklärt auch die auf den ersten Blick doch eher verwunderliche Entwicklung, dass sich aktuell die Stimmung in der Automobilindustrie weiter verbessert, obwohl die Produktion sinkt.
Dr. Klaus Bauknecht ist als Chefvolkswirt der IKB Deutsche Industriebank AG verantwortlich für die volkswirtschaftlichen Analysen, Prognosen und Einschätzungen der Bank. Er schreibt zu aktuellen und übergeordneten Konjunktur-, Volkswirtschafts- und Marktthemen. Zudem kommentiert er regelmäßig konjunkturelle Entwicklungen in renommierten Wirtschaftsmedien und ist mit seinen pointierten Präsentationen häufiger Gast bei Verbänden und Unternehmen. Zuvor arbeitete Klaus Bauknecht in verschiedenen leitenden Positionen anderer Banken und im südafrikanischen Finanzministerium.
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