[Consumer & Retail-Information vom 9. Februar 2021]
Rückblickend begleitet die Coronakrise Handel und Konsumgüterindustrie seit einem Jahr. Durch den zweiten Lockdown wird die Lage für den stationären Einzelhandel zunehmend prekär. Glücklicherweise sinken die Infektionszahlen und die Impfkampagne ist angelaufen. Es ist trotzdem fraglich, ob kurzfristig eine allgemeine Öffnung des Einzelhandels erwartet werden kann.
Beim Blick nach vorne stellt sich neben der Frage zu einem möglichen Ende des Lockdowns und der Auflagen für den Geschäftsbetrieb insbesondere die nach den Reaktionen der Verbraucher und strukturellen Veränderungen in der Branche. Oder ist es doch so, dass die Kunden nach Corona wieder in den stationären Handel kommen wie vor der Krise?
Die Daten unterlegen, dass Corona strukturelle Trends verstärkt
Wichtig für die Bewertung der zum Teil deutlichen Umsatzveränderungen im Verlauf des vergangenen Jahres ist, diese im Kontext der längerfristigen Entwicklung zu sehen.
Mit Ausnahme des Online-Handels sind die Wachstumsraten für den Einzelhandel bei allen großen Segmenten seit Jahren in Summe gering. Wirkliche Ausreißer spielen sich in der Regel auf der Ebene einzelner Sortimente innerhalb einer Handelsbranche ab. Entsprechend sind die sowohl überdurchschnittlich positiven wie negativen Branchenentwicklungen nach dem ersten Lockdown eine klare Überzeichnung des Normalpfads.
Nochmals höhere Dynamik zum Jahresende
Der Einzelhandel ist trotz des zweiten Lockdowns seit dem 16. Dezember im wichtigen Weihnachtsgeschäft auch 2020 noch um 2,6 % gegenüber dem Vorjahr gewachsen. Mit einem Plus von annähernd 9 % waren der Lebensmitteleinzelhandel sowie der Online-Handel (+31,9 %) wesentlich für die Entwicklung. Zum Jahresende hat sich die Spreizung zwischen stationärem Nonfood-Einzelhandel und E-Commerce damit über alle Sortimente nochmals verstärkt. Auch die unterjährigen Krisengewinner Möbel/Do-it-Yourself verzeichneten Umsatzrückgänge. Der Einzelhandel ist in das laufende Jahr gestartet, wie er aus dem Jahr 2020 gegangen ist: Der stationäre Nonfood-Einzelhandel blieb geschlossen und eine schnelle allgemeine Öffnung ist fraglich. In den ersten zwei Monaten 2021 werden wiederum Umsatz in signifikanter Höhe ausfallen und Verluste auflaufen trotz eingeleiteter Maßnahmen zur Kostenreduzierung bei Miete, Personal, Warenbestand etc. Die damit verbundenen Folgen für die betroffenen Händler, die bis zur Existenzgefährdung reichen, sind hinreichend thematisiert.
Schlägt das Pendel im weiteren Jahresverlauf wieder zurück?
Mit dem verlängerten zweiten Lockdown aufgrund der Pandemie, die auch im europäischen Ausland weiterhin nicht unter Kontrolle ist, sind die Unsicherheiten für den Konsum, die Konsumgüterhersteller und den Handel wieder gestiegen. In Abhängigkeit vom weiteren Pandemieverlauf wird ein Anziehen der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung in Deutschland überwiegend im dritten Quartal erwartet. Wesentlich wird u. a. sein, wie schnell und effizient die Impfstrategie umgesetzt werden kann. Ohne entsprechende Erfolge scheint eine nachhaltige und dauerhafte Öffnung des Einzelhandels nur schwer realisierbar. Folgende drei Szenarien erachten wir im Nonfood-Einzelhandel als realistisch:
- Szenario A – Verlauf wie in der ersten Pandemiewelle im Frühjahr 2020: Erholung ab März, aber weiterhin eingeschränkte Reisetätigkeit, Beschäftigung und Konsum stabil: In Summe sind Nonfood-Umsätze maximal auf Vorjahresniveau zu erwarten
- Szenario B – Deutliche Erholung ab März/April im Zuge erfolgreicher Impfungen: Reisemöglichkeiten nehmen zu und der Konsum konzentriert sich wieder auf Segmente, die 2020 und derzeit eingeschränkt waren bzw. sind, z. B. Gastronomie, Kultur/Unterhaltung und (Auslands)Reisen: Nonfood-Einzelhandel insgesamt leicht rückläufig; Fashion, Schuhe, Accessoires und weitere innenstadtrelevante Sortimente mit Erholung; Lebensmitteleinzelhandel mit Umsatzkorrektur
- Szenario C – Infektionsgeschehen über März hinaus auf hohem Niveau: steigende Arbeitslosigkeit und abnehmende Konsumneigung: Verlängerter Lockdown; Umsatzrückgang im Nonfood-Einzelhandel in der Breite und aufgrund des Basiseffektes deutlicher in den Gewinnerbranchen 2020; Lebensmitteleinzelhandel weiter stabil, Gastronomie und anderes Außer-Haus-Geschäft hingegen rückläufig
Mit einer wahrscheinlichen Normalisierung des Konsumverhaltens im Verlauf des Jahres 2021 werden die unterschiedlichen Branchen im Wesentlichen zu ihren Entwicklungspfaden vor der Corona-Pandemie zurückkehren. Eingeleitete Trends wie die Orientierung der Verbraucher und der Wirtschaft hin zu mehr Nachhaltigkeit treten wieder in den Vordergrund. Und so, wie das Pendel in der Krise in beide Richtungen ausgeschlagen ist, wird es beim Ausklingen der akuten Krise sein: in jeweils umgekehrter Richtung.
Für E-Commerce hingegen wirkt die Corona-Pandemie wie ein Wachstumsbeschleuniger. Die IKB geht davon aus, dass in Deutschland spätestens 2025 ein Online-Warenumsatz von 100 Mrd. € erzielt wird.
Bei den Krisengewinnern, insbesondere den Segmenten Einrichten, Wohnen und Do-It-Yourself, sollte sich die Nachfrage beruhigen. Temporär erwarten wir korrigierende Rückgänge des starken Wachstums, das wir insbesondere im zweiten Halbjahr 2020 gesehen haben. Bereits der Basiseffekt wirkt hier im Jahresvergleich nivellierend. Strukturell wird es zu Verschiebungen zwischen den Sortimenten kommen, bei Möbeln insbesondere in Richtung Homeoffice. Gleiches gilt für den Lebensmitteleinzelhandel über alle Betriebstypen hinweg, insbesondere für SB-Warenhäuser, die aufgrund eines vergleichsweise hohen Nonfood-Anteils nicht vom Lockdown betroffen waren. Bei Bekleidung, Schuhen, Accessoires, wo die Unternehmen im stationären Handel die mit Abstand stärksten Umsatzrückgänge in und zwischen den Lockdown-Phasen erlitten haben, wird es Aufholeffekte geben. Allerdings sehen wir aufgrund der Dynamik des Internethandels kein Zurück mehr zu den stationären Umsätzen vor der Krise. Die Verlagerung in Richtung E-Commerce ist zu groß und Multi-Channel-Konzepte richten ihre Onlinestrukturen auf ein anhaltend höheres Absatzniveau von mindestens 10 bis +15 % aus.
Management auf Sicht und Jahresplanung in Szenarien
Es ist noch zu früh im Jahr und die Unsicherheiten über den weiteren Pandemieverlauf sowie den Erfolg der Impfkampagne sind zu groß, um verlässliche quantitative Zahlen für die verschiedenen Branchen zu prognostizieren; aber eine Verlängerung des Lockdowns im Nonfood-Einzelhandel über März hinaus hätte weitere gravierende negative Folgen. Dazu gehören signifikant steigende Insolvenzen, längerfristige Strukturprobleme in den Innenstädten und Ausfälle für die Immobilienwirtschaft. 2021 ist ein ausgesprochen flexibles „Management auf Sicht“ notwendig, im Spannungsfeld von strikter Kostenkontrolle, Liquiditäts- und Working-Capital-Management. Unternehmen sollten entstehende Opportunitäten nutzen, insbesondere mit Blick auf Nachhaltigkeit, Digitalisierung und E-Commerce.
Auch die Konsumgüterindustrie, die Logistikbranche sowie die Immobilienwirtschaft sind gehalten, die Auswirkungen der unterschiedlichen Szenarien auf ihre Belange zu übertragen und in Geschäfts-, Investitions- und Liquiditätsplanungen zu berücksichtigen. „Handel ist Wandel“ ist das bekannte geflügelte Wort der Branche und es gilt auch in der jetzigen Phase. Aus den angestoßenen Veränderungen resultieren neben den viel besprochenen Risiken ebenso Chancen, die es zu nutzen gilt.
Johannes Sausen ist Direktor und Leiter des Sektorvertriebs der IKB sowie Head of Consumer, Retail, Logistics & TMT. Sein persönlicher Branchenschwerpunkt liegt in den Bereichen Consumer Food, ausgewählten Consumer Nonfood-Segmenten sowie im Einzelhandel. Er ist involviert in Finanzierungs- und Corporate Finance-Transaktionen der Bank in den genannten Branchen. Nach dem Studium der Volkswirtschaftslehre an der Universität zu Köln hat er seine ersten fünf Berufsjahre bei einer Unternehmensberatung absolviert, bevor er 1999 zur IKB stieß.
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