[Consumer & Retail-Information vom 24. September 2020] Die deutsche Wirtschaft erlebt durch die COVID-19-Pandemie 2020 einen herben Rückschlag; die IKB-Prognose für die reale Veränderung des BIP im laufenden Jahr liegt bei -6,2 %. Bereits im Vorjahr fehlte angesichts eines realen BIP-Wachstums von lediglich 0,6 % die Dynamik. Bei einzelnen Kernbranchen des Verarbeitenden Gewerbes sind für den Zeitraum Januar bis Juli 2020 Produktionsrückgänge im zweistelligen Prozentbereich zu verzeichnen. Dazu gehören Automotive mit -15,8 % und der Maschinenbau mit -13,5 %. Selbst die im Grunde wenig konjunkturabhängige Ernährungsindustrie bilanziert für die ersten sieben Monate ein Produktionsminus von annähernd 5 %.
Kommt der Wohnungsbau unbeschadet durch die Corona-Krise?
Vor diesem Hintergrund überraschen die weiterhin robusten Zahlen aus der inländischen Bauwirtschaft und insbesondere die Entwicklung im Wohnungsbau. Zwar lagen die Baugenehmigungen für Wohnungen im Juli 2020 um 1,8 % unter denen des Vorjahresmonats, aber seit Jahresbeginn ergibt sich dennoch ein Anstieg bei neuen Gebäuden und Baumaßnahmen an bestehenden Gebäuden von 5,6 % gegenüber dem Vorjahreszeitraum.
Die Zahl genehmigter neuer Wohngebäude liegt seit 2015 im Durchschnitt bei 120.000 Einheiten pro Jahr. Auch im Jahr 2020 werden sich die Baugenehmigungen nach Einschätzung der IKB in dieser Größenordnung bewegen. Bemerkenswert ist, dass der Anteil sowohl des Fertigteilbaus als auch der Gebäude in Holzbauweise seit sechs Jahren kontinuierlich steigt. Für das laufende Jahr rechnen wir wiederum mit einem Anstieg, der in den Jahren 2020 und 2021 im Ergebnis auch bei den Fertigstellungen zu steigenden Anteilen von Gebäuden im Holzmassivbau und im Holzrahmenbau führen wird.
Klimawandel: Baustoff Holz mit Rückenwind
Holz gilt als das älteste Baumaterial der Menschheit und begleitet diese seit jeher als universeller Werkstoff. In den vergangenen Jahrzehnten hat sich die Holztechnologie rasant entwickelt und bietet heute eine große Bandbreite ausgereifter, standardisierter Produkte und Halbfertigteile. Damit einhergehend hat sich die Tektonik von klassischen Stabkonstruktionen (Holzfachwerk- oder Holzskelettkonstruktionen) hin zu flächigen Elementen verschoben, welche die Einsatz- und Gestaltungsmöglichkeiten deutlich erweitern. Die Vorfertigung von Bauelementen bis zu gesamten Gebäudeteilen, die serielle Produktion sowie die Trennung von Herstellungs- und Montageprozess ermöglichen eine nennenswerte Zeit- und Kostenersparnis. Hinzu treten vermehrt Aspekte der Nachhaltigkeit. Insbesondere die Kombination von Holzbauelementen mit mineralischen und metallischen Baustoffen ermöglicht die Optimierung konstruktiver, ökonomischer und ökologischer Anforderungen. Der Einsatz von Holzelementen hilft in besonderem Maße bei der Realisierung von energetischen Einsparpotenzialen, etwa als mehrschalige Außenbauteile oder Wärmedämmverbundsysteme. Deshalb spielen Holzwerkstoffe bei Renovierung, Ausbau und energetischer Gebäudesanierung eine tragende Rolle.
Zusätzlich zu den bereits erwähnten Vorteilen eines hohen Vorfertigungsgrades hat Holz eine höhere Druckfestigkeit als Beton und ein geringeres Eigengewicht als Stahl, bei gleicher Tragfähigkeit. Dies führt dazu, dass Holzwerkstoffe und -systeme nicht nur beim Neubau von Ein- und Zweifamilienhäusern zum Einsatz kommen, sondern zunehmend auch im Mehrgeschoss- und Wirtschaftsbau (Verwaltungs-, Produktionsgebäude, Hotels, Sport- und Freizeitanlagen etc.). Auch hier spielen Überlegungen zu Klimaschutz und Ressourcenschonung eine immer größere Rolle.
Es sind insbesondere folgende Holzwerkstoffe zu nennen, die von den skizzierten Trends profitieren:
- Konstruktionsvollholz (KVH) – hinsichtlich Holzfeuchte, Maßhaltigkeit und Optik hochwertig veredeltes Bauschnittholz aus Nadelbäumen; in der Länge keilgezinkt und in beliebiger Länge herstellbar
- Brettschichtholz (BSH) – Kantholz aus mindestens drei Lagen in gleicher Faserrichtung verleimter und zuvor technisch getrockneter, gehobelter Bretter, überwiegend aus Nadelholz; höhere statische Tragfähigkeit als Vollholz
- Brettsperrholz (BSP) – Massivholzplatten aus drei bis sieben über Kreuz flach verleimten Brettlagen, überwiegend aus Nadelholz; Einsatz als flächige Dach-, Decken- und Wandbauteile
Dürre, Sturmschäden und Borkenkäfer setzen dem Rohstoff Holz zu
Was könnte die positive Entwicklung für konstruktive Holzwerkstoffe zukünftig bremsen? Neben den konjunkturellen Rahmenbedingungen ist es perspektivisch vor allem die Frage der Rohstoffverfügbarkeit und -qualität, die im Raum steht.
Die Forstwirtschaft ist in hohem Maße von den Auswirkungen des Klimawandels betroffen. Dürre, Sturmschäden und Schädlingsbefall setzen dem Wald zu. Im Juni hat das Bundeministerium für Ernährung und Landwirtschaft (BMEL) eine Bestandsaufnahme der Waldschäden in Deutschland seit dem Jahr 2018 veröffentlicht. Drei aufeinander folgende Jahre mit extremer Trockenheit führen zu einem Schadholzaufkommen von 178 Mio. m³ und einer Fläche von 285.000 Hektar, die wieder aufzuforsten ist. Die regionalen Schwerpunkte der Schäden liegen vor allem in Nordrhein-Westfalen, Sachsen-Anhalt, Hessen und Thüringen. Hauptsächlich betroffen sind die für die Holzwirtschaft wichtigen Fichtenbestände, aber zunehmend weisen neben Nadelhölzern auch Laubbäume gravierende Schäden auf.
Mit Blick auf die Bedeutung des Waldes für den Klimaschutz und für die Rohstoffversorgung der inländischen Holzwirtschaft ist ein groß und langfristig angelegtes Programm zum Schutz der Wälder und zur Wiederaufforstung notwendig. Neben kurzfristigen finanziellen Hilfen kommt es insbesondere darauf an, das Ökosystem Wald an die Herausforderungen des Klimawandels anzupassen. Zu den Maßnahmen zählen die Anpflanzung trockenheitstoleranter Baumarten, Schädlings-bekämpfung und Waldhygiene sowie die Verbesserung der Wasserspeicherfähigkeit des Waldbodens).
Im September 2019 hat der Bundestag im Rahmen des Klimaschutzprogramms 2030 für die kommenden vier Jahre insgesamt 547 Mio. € als zusätzliche Bundesmittel für den Wald bereitgestellt. Mit dem im Juni 2020 geschnürten Konjunkturprogramm stellt die Bundesregierung weitere 700 Mio. € zur Verfügung. Diese Summen unterstreichen die erkannte Bedeutung einer nachhaltigen Forstwirtschaft.
Baustoff mit Zukunft
Eine perspektivisch funktionierende Versorgung mit adäquaten Holzqualitäten und -mengen ist unabdingbar für langfristig angelegte Geschäftsmodelle in der investitionsintensiven Sägewerks- und Holzwerkstoffindustrie. Nachhaltige und langfristige Investitions- und Standortentscheidungen müssen der Rohstoffversorgung zukünftig zwangsläufig eine noch höhere Bedeutung zumessen.
Dies vorausgesetzt, sind die Aussichten für Konstruktionsvollholz, Brettschicht- und Brettsperrholz positiv zu bewerten. Dies gilt sowohl für den Absatz im Inland als auch für den Export. Die IKB geht davon aus, dass der Anteil von Wohn- und Wirtschaftsgebäuden in Holz- oder Mischbauweise weiter wachsen wird.
Die Branche hat in den vergangenen Jahren sowohl bei Konstruktionsvollholz als auch bei Brettschicht- und Brettsperrholz in den Kapazitätsaufbau investiert. Weitere Investitionen sind in Umsetzung bzw. projektiert und kommen sukzessive an den Markt. Zum jetzigen Zeitpunkt sind vor dem Hintergrund der positiven strukturellen Trends keine Überkapazitäten erkennbar und die Nachfrageentwicklung deckt die Mengenzuwächse ab; unterstellt, die Baukonjunktur bleibt stabil.
Johannes Sausen ist Direktor und Leiter des Sektorvertriebs der IKB sowie Head of Consumer, Retail, Logistics & TMT. Sein persönlicher Branchenschwerpunkt liegt in den Bereichen Consumer Food, ausgewählten Consumer Nonfood-Segmenten sowie im Einzelhandel. Er ist involviert in Finanzierungs- und Corporate Finance-Transaktionen der Bank in den genannten Branchen. Nach dem Studium der Volkswirtschaftslehre an der Universität zu Köln hat er seine ersten fünf Berufsjahre bei einer Unternehmensberatung absolviert, bevor er 1999 zur IKB stieß.
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