[Kapitalmarkt-News vom 1. August 2019] Für zahlreiche Länder wurden die BIP-Daten des zweiten Quartals veröffentlicht. Neben den neuen Zahlen wurden – wie zu diesem Veröffentlichungstermin üblich – Datenrevisionen für die Vorjahre vorgenommen. Beides zusammen macht eine Überprüfung der bisherigen Wachstumsprognosen notwendig. Die BIP-Zahlen für die deutsche Wirtschaft erscheinen erst Mitte August.
Insgesamt hat die wirtschaftliche Dynamik in den USA und in Europa im zweiten Quartal nachgelassen. Für die Länder, für die Detaildaten vorliegen, ist die anhaltende Schwächephase des Industriesektors klar ersichtlich. Zudem fällt eine zunehmende Verunsicherung auf, die sich nicht nur in sich eintrübenden Stimmungsindikatoren zeigt, sondern auch in einer tendenziellen Investitionszurückhaltung. Der private Konsum bleibt vielfach eine Stütze.
USA: Wirtschaft wächst stärker als erwartet, dennoch sieht die Fed Risiken
Das US-BIP ist im zweiten Quartal annualisiert um 2,1 % gegenüber dem Vorquartal gewachsen. Damit fiel die Abkühlung nach einem Plus von 3,1 % zum Jahresauftakt etwas weniger stark aus als im Vorfeld befürchtet. Das Wachstum des privaten Verbrauchs beschleunigte sich dabei deutlich von 1,1 % auf 4,3 % – der kräftigste Zuwachs seit Ende 2017, während die Bruttoanlageinvestitionen um 0,8 % nachgaben. Der Außenhandel brachte keine Impulse: Die Exporte sanken um 5,2 %, während die Importe nahezu stagnierten. Zusammen mit einer Gegenbewegung bei den Lagerinvestitionen (-0,9 Prozentpunkte nach +0,5 im Vorquartal) war dies der wesentliche Grund für die Wachstumsabkühlung im zweiten Quartal.
Zwar fiel die Dynamik etwas kräftiger als erwartet aus, allerdings haben die statistischen Revisionen für 2018 zu geringeren Quartalswachstumsraten und damit zu einem um 0,3 Prozentpunkte niedrigeren statistischen Überhang für 2019 geführt. Aufgrund des schwächeren Startniveaus 2019 muss die IKB rein rechnerisch somit ihre BIP-Prognose für das laufende Jahr von 2,6 % auf 2,3 % anpassen. Grundsätzlich entwickelt sich die US-Wirtschaft weiterhin im Rahmen der IKB-Erwartungen.
Die Fed hat die Zinsen wie erwartet um 25 Basispunkte gesenkt. Die aktuellen BIP-Daten bestätigen, dass die US-Volkswirtschaft diese Zinssenkung grundsätzlich nicht benötigt. Aber die Fed bleibt vorsichtig und beabsichtigt anscheinend, frühzeitig mögliche Auswirkungen von zuletzt gestiegenen globalen Wachstums-Risiken frühzeitig abzumildern. Damit sind weitere Zinssenkungen nicht ausgeschlossen, sofern sich die globale Konjunktur in den nächsten Monaten nicht überraschend aufhellt.
Euro-Zone: Konjunkturverlangsamung ist breit angelegt, vor allem die deutsche Wirtschaft dürfte gebremst haben
Die Wirtschaftsdynamik der Euro-Zone hat sich im zweiten Quartal ebenfalls verlangsamt. Nachdem die Konjunktur im ersten Quartal mit einem Plus von 0,4 % zum Vorquartal noch positiv überraschen konnte, fiel der Zuwachs im zweiten Quartal mit 0,2 % erwartungsgemäß niedriger aus. Dabei war das BIP-Wachstum in Frankreich, Italien und Spanien etwas geringer als im Vorquartal. Für Deutschland liegen noch keine Zahlen vor, dennoch dürfte es vor allem die deutsche Entwicklung gewesen sein, die die Dynamik in der Euro-Zone gebremst hat. Angesichts der vorliegenden Zahlen bekräftigt sich die Erwartung, dass die deutsche Wirtschaft nach dem überraschend robusten Jahresauftakt (+0,4 % zum Vorquartal) dann im zweiten Quartal deutlich an Tempo eingebüßt hat (s. Kapitalmarkt-News „Deutsche Konjunktur: Talsohle noch nicht erreicht?“). Positiv zu vermerken ist allerdings, dass rein rechnerisch auf Basis der bisher gemeldeten Zahlen (es fehlen noch Länderdaten) eine sehr geringfügige BIP-Schrumpfung bzw. eine Stagnation oder sogar ein Mini-Plus für Deutschland möglich sind. Für die Euro-Zone insgesamt hält die IKB an ihrer BIP-Wachstumsprognose für 2019 von 1,2 % fest.
Frankreich: Moderates Wachstum setzt sich fort
Die französische Wirtschaft ist um 0,2 % zum Vorquartal gewachsen und blieb damit geringfügig hinter den Erwartungen. Die Marktmeinung ging von einer Dynamik wie im ersten Vierteljahr (+0,3 % qoq) aus. Verantwortlich für die leicht schwächere Entwicklung war vor allem ein negativer Lagereffekt. Die womöglich im Zuge der Brexit-Unsicherheiten aufgebauten Lagerbestände aus dem ersten Quartal wurden im zweiten wieder abgebaut und dämpften die Dynamik. Grundsätzlich zeigt sich die französische Wirtschaft relativ widerstandsfähig gegenüber der allgemeinen konjunkturellen Schwächephase. Die IKB bleibt bei ihrer BIP-Wachstumsprognose von 1,3 % für das laufende Jahr.
Spanien: Wirtschaft wächst robust trotz politischen Stillstands
In Spanien hat sich, wie von der IKB erwartet, die Wirtschaftsdynamik etwas verlangsamt. Das BIP-Wachstum im zweiten Quartal betrug 0,5 % zum Vorquartal. Im ersten Vierteljahr hatte die Wirtschaft noch positiv überrascht und legte kräftig um 0,7 % zu. Trotz der Wachstumsverlangsamung bleibt die spanische Wirtschaft relativ widerstandsfähig gegenüber dem schwächeren außenwirtschaftlichen Umfeld und dem politischen Stillstand im eigenen Land. Aufgrund der Uneinigkeit und Blockadehaltung des Parlaments drohen im November wieder Neuwahlen, das wären die vierten in nicht einmal vier Jahren. Im Land selbst ist die Bevölkerung zunehmend konsterniert über die Unfähigkeit der Parteien zur Regierungsbildung. Dabei stauen sich Themen wie die Schieflage der Rentenkasse, ein veraltetes Steuersystem, der ungelöste Konflikt in Katalonien u.a., die angegangen werden müssten. Zum Glück hält die robuste Konjunktur, so dass sich der Finanzstatus des Staates aktuell nicht verschlechtert. Die IKB bleibt bei ihrer BIP-Wachstumsprognose von knapp über 2 % für 2019.
Italien: Es bleibt bei der Seitwärtsbewegung
Italiens Wirtschaft stagnierte im zweiten Quartal; im ersten Vierteljahr gab es noch ein geringfügiges Plus von 0,1 %. Das BIP liegt damit auf dem Vorjahresquartalsniveau. Seit Ende 2017 befindet sich die italienische Wirtschaft in einer klaren Seitwärtsbewegung und im Einklang mit den Erwartungen der IKB. Die BIP-Wachstumsprognose bleibt daher unverändert bei 0,2 % für 2019. Die stagnierende Wirtschaft, fehlende Reformen und Steuersenkungen ohne Gegenfinanzierung werden die zweithöchste Staatsverschuldung in der Euro-Zone (nach Griechenland) weiter ansteigen lassen. Das ungelöste Schuldenproblem Italiens wird immer wieder zu einem Konflikt mit der EU führen und gibt zudem der EZB keine Raum, selbst mittelfristig von ihrer Niedrigzinspolitik abzuweichen (s. IKB-Kapitalmarkt-News „Schuldenquoten in der Euro-Zone: keine Entspannung in Sicht“).
Fazit:
Im ersten Quartal des Jahres überraschten die BIP-Daten vieler Länder noch positiv. Im zweiten Vierteljahr zeigte sich aber die erwartete konjunkturelle Abschwächung für die USA und die Euro-Länder, auch wenn einige Länder sich recht widerstandsfähig zeigen. Auffällig sind die allgemeine Anfälligkeit des Industriesektors sowie eine tendenzielle Zurückhaltung bei Investitionen, aber auch Sondereffekte, wie der Abbau von Lagerbeständen, die im Zuge des ursprünglich geplanten Brexit-Termins Ende März aufgebaut wurden. Der private Konsum bleibt dagegen vielfach eine Stütze.
Aktuell verläuft die BIP-Entwicklung der Länder im Rahmen der IKB-Erwartungen, so dass die BIP-Prognosen relativ unverändert blieben. Dennoch, die erwartete allgemeine Belebung der Konjunktur wird zunehmend unsicherer, da eine Stabilisierung vieler Frühindikatoren – wie Stimmungsindizes und Auftragseingänge – noch nicht ersichtlich ist. Zudem scheinen Handelsstreitigkeiten und Konjunktursorgen die Unternehmen zunehmend zu verunsichern. Die weiterhin unklare Ausgestaltung des Brexit bleibt ebenfalls ein Belastungsfaktor, insbesondere für Europa. Damit ist das Prognoserisiko klar abwärtsgerichtet.
Dr. Klaus Bauknecht ist als Chefvolkswirt der IKB Deutsche Industriebank AG verantwortlich für die volkswirtschaftlichen Analysen, Prognosen und Einschätzungen der Bank. Zudem lehrt der promovierte Volkswirtschaftler an der Nelson Mandela University in Südafrika. Zuvor arbeitete er in verschiedenen leitenden Positionen anderer Banken und im südafrikanischen Finanzministerium. Er schreibt zu aktuellen und übergeordneten Konjunktur-, Volkswirtschafts- und Marktthemen.
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