Kapitalmarktfähigkeit: auch für Italien und Portugal unrealistisch?

[Kapitalmarkt-News vom 3. September 2018] Es ist zu erwarten, dass der griechische Staat früher oder später einen Schuldenschnitt braucht, da die Annahme eines jahrzehntelang anhaltenden, komfortablen Primärüberschusses realitätsfremd ist (s. IKB-Kapitalmarkt-News 30. August 2018). Doch Griechenland ist kein Einzelfall, es gibt noch andere Länder in der Euro-Zone, deren Kapitalmarktfähigkeit (Schuldenfinanzierung ohne Subventionen z. B. durch ESM) grundsätzlich und insbesondere unter der Annahme einer neutraleren EZB-Zinspolitik fragwürdig ist. Was bedeutet dies für die Geldpolitik in der Euro-Zone?

Es ist nicht nur Griechenlands Kapitalmarktfähigkeit …

Italien, Portugal und Griechenland sind Euro-Länder mit einer Schuldenquote von deutlich über 100 %. Doch dank der EZB-Maßnahmen und einer schon länger anhaltenden Konjunkturerholung scheinen sich die Schuldenquoten in Griechenland und Portugal zu stabilisieren. In beiden Staaten fiel die staatliche Zinslast 2017 aufgrund der Konjunkturerholung niedriger aus als das nominale BIP-Wachstum. Nur für ein Euro-Land galt dies nicht: Italien. Mit einer Zinslast von 2,9 %, die nur von Portugal (3,1%) überboten wurde und einem nominalen BIP-Wachstum von 2,1 %, das 2017 nur in Griechenland geringfügig schwächer ausfiel, benötigt Italien weiterhin einen Primärüberschuss, nicht nur um die Schuldenquote zu reduzieren, sondern um sie überhaupt stabilisieren zu können.

… sondern insbesondere Italiens, die angezweifelt werden kann

Italiens Risikoprämien haben sich infolge der politischen Veränderungen deutlich ausgeweitet. Der Markt hat trotz aller EZB-Maßnahmen signalisiert, dass er in Zeiten zweifelhafter Fiskalpolitik und unsicherer Schuldentragfähigkeit Länder einzeln und unabhängig von der Euro-Zone beurteilt. Die Ausweitung der italienischen Risikoprämien offenbart dies deutlich. Denn die Möglichkeiten, einen Zahlungsausfall zu verhindern, liegen nicht allein bei der EZB und den europäischen Rettungsmechanis-men, sondern ebenfalls bei der Fiskalpolitik jedes einzelnen Landes. Deshalb sollte die Bedeutung des europäischen Währungsfonds oder weiterer Euro-Institutionen auch nicht überbewertet werden. In einem Bund souveräner Staaten wie die Euro-Zone bleibt die Glaubwürdigkeit der einzelnen Länder entscheidend. Dies gilt insbesondere für Italien, das aufgrund fehlender Reformen einen ambitionierten Primärbilanzüberschuss und somit eine fokussierte Fiskalpolitik benötigt, um Schuldentragfähigkeit zu erlangen – von einem nachhaltigen Rückgang der Schuldenquote ganz abgesehen. Die Alternative ist eine weitere und vor allem nachhaltige Senkung der Zinsen. Doch durch die drohende Herabstufung Italiens durch Moody’s und Fitch sinkt selbst mittelfristig die Hoffnung auf solch eine Entwicklung. Somit nimmt die Notwendigkeit von anhaltenden Marktinterventionen bzw. von Subventionen der Zinslast zu, was einer Verabschiedung Italiens vom Kapitalmarkt gleichkommt.

Die Schuldenquoten Italiens (131,8 %) und Portugals (125,7 %) liegen nicht ganz so hoch wie die von Griechenland (178,6 %), könnten aber ebenfalls bereits einen kritischen Schwellenwert erreicht bzw. überschritten haben, bei dem die Bereitschaft des Staates zur Schuldenreduzierung nicht mehr besteht (s. IKB-Kapitalmarkt-News 30. August 2018); eine erfolgreiche Gegensteuerung durch die Fiskalpolitik ist damit keine plausible Annahme. Das aktuelle Verhalten der italienischen Regierung lässt solche Zweifel durchaus als begründet erscheinen. Denn die italienische Regierung zeigt aktuell weder Bereitschaft noch Bemühungen, einen anhaltend stabilen Primärüberschusses zu erzielen. Dennoch sollte nicht übersehen werden, dass Italien in den letzten 22 Jahren im Schnitt sehr wohl einen Primärüberschuss in Höhe von 2,3 % des BIP erreicht hat. Dieser Überschuss ging tatsächlich zwischenzeitlich mit einer Reduzierung der Schuldenquote von ca. 17 Prozentpunkten einher, von 117 % in 1995 auf knapp unter 100 % in 2007. Seitdem hat sich der positive Saldo allerdings im Schnitt auf unter 2 % des BIP reduziert, und die Schuldenquote ist wieder auf 132 % angestiegen.

Anhaltende Primärüberschüsse keine belastbare Annahmen für viele Euroländer

Um die Aussage zu untermauern, dass ein anhaltender Primärüberschuss eine unrealistische Annahme für Portugal und Italien ist, hat die IKB die Sensitivität der Primärbilanz auf Entwicklungen der Schuldenquote näher betrachtet. Die Bank hat analysiert, in welchem Maße eine Veränderung der Schuldenquote eine ausreichend große Reaktion der Primärbilanz und damit der effektiven Fiskalpolitik verursacht. Reagiert der Staat sofort, oder wartet er auf eine Konjunkturbelebung? Ist die Konjunktur ein entscheidender Treiber, stärkt dies wiederum die Notwendigkeit von strukturellen Reformen, um das Potenzialwachstum zu erhöhen.

Eine Panel-Regression zeigt, dass die Primärbilanzen der Euro-Länder im Allgemeinen sehr wohl auf einen Anstieg der Schuldenquote reagieren. Allerdings ist das BIP-Wachstum ebenfalls ein bedeutender Treiber, der vor allem seit 2008 an Bedeutung zugenommen hat. Doch der Erklärungsbeitrag der Schuldenquote für eine Veränderung der Primärbilanz ist dennoch eher überschaubar. Die Aussage, die Primärbilanz – also die Fiskalpolitik – konzentriere sich primär auf die Reduzierung der Schuldenquote, ist somit gewagt. Im Fall von Italien zeigen die Analysen, dass vor der Finanzkrise die Entwicklung der Schuldenquote eine höhere Bedeutung für die Fiskalpolitik hatte, als dies seitdem der Fall ist. Seit der Finanzkrise bestimmt vor allem das BIP-Wachstum die Veränderung der Primärbilanz. Die Annahme, Italiens Fiskalpolitik reagiere auf die Schuldenquote in Form eines anhaltend hohen Primärüberschusses, ist somit ebenfalls gewagt; gleiches gilt für Portugal. Bei beiden Staaten scheint weder die Schuldenquote noch die Konjunktur einen bedeutenden Einfluss auf die Primärbilanz zu haben. Die Heraufstufung Portugals durch die Rating-Agenturen mag auf Grundlage der aktuellen Konjunkturerholung positiv gesehen werden. Die damit verbundene Erwartung einer nachhaltigen Wende der portugiesischen Schuldenquote ist jedoch zu bezweifeln.

Es ist auch das niedrige Potenzialwachstum in Italien und Portugal, das eine nachhaltige Senkung der Schuldenquote erschwert. Denn Voraussetzung hierfür ist in erster Linie Wirtschaftswachstum und nicht Sparen. Dies zeigt Spanien: Dort ist die Schuldenquote mit knapp unter 100 % ebenfalls relativ hoch. Doch ein hohes Wachstum in Folge weitreichender Reformen und die Neuaufstellung der Wirtschaft haben den Boden für eine sinkende Schuldenquote bereitet, was der Markt durch eine relativ niedrige Risikoprämie honoriert und fördert. Ähnliches gilt für Irland.

Implikationen: Eurozone bleibt eine Baustelle

  • Empirische Ergebnisse zeigen, dass Portugal und vor allem Italien den glaubhaften Beweis schuldig sind, einen ausreichend großen und anhaltenden Primärüberschuss erzielen zu können. Durch einen konjunkturellen Abschwung würde die Schuldentragfähigkeit beider Staaten erneut in Frage gestellt werden, Risikoprämien würden sich ausweiten, und der Zugang zum Kapitalmarkt wäre verschlossen, bzw. die EZB oder andere Institution müssten erneut zur Rettung gerufen werden. Es sind nicht nur „Spekulanten“ – wie jüngst aus Italien zu hören –, die einen Hilferuf Italiens zur Schul-denfinanzierung auslösen könnten. Es genügt angesichts der fehlenden politischen Glaubwürdigkeit bereits ein konjunktu-reller Abschwung.
  • Die aktuelle Ausweitung der Risikoprämien in Italien ist aufgrund des schwachen Wachstums und fehlenden politischen Verantwortungsbewusstseins durchaus angebracht.
  • Die aktuelle Ausweitung der italienischen Risikoprämien, das anhaltend niedrige Potenzialwachstum sowie die fehlende fiskalische Handlungsbereitschaft deuten darauf hin, dass alle drei Parameter für eine stabile bzw. sinkende Schuldenquo-te nicht überzeugen. Italiens Kapitalmarktfähigkeit ist somit nur im Kontext einer guten Konjunkturentwicklung oder unterstützenden Geldpolitik gegeben.
  • Die Gefahr, die sich aus einem konjunkturellen Abschwung für die aktuellen Strukturen der Euro-Zone ergibt, ist alles anders als gebannt. Die EZB hat allen Grund, in solch einem Umfeld eine grundsätzlich unterstützende Geldpolitik zu verfolgen und alle Fälligkeiten ihrer Anleihekäufe noch auf lange Zeit zu reinvestieren.

Fazit

Die EZB hat durch ihre Geldpolitik ein außerordentlich unterstützendes Umfeld für die Schuldentragfähigkeit vieler Euro-Staaten geschaffen. Dennoch bleibt dafür eine anhaltende Konjunkturerholung eine wichtige Voraussetzung. Und wie die jüngste Entwicklung der italienischen Risikoprämien zeigt, ist zudem eine anhaltend stabile und nachhaltige Fiskalpolitik für die Kapitalmarktfähigkeit hoch verschuldeter Euro-Staaten unabdingbar. Doch weder für Italien noch für Portugal scheinen diese Annahmen gerechtfertigt. So ist die nachhaltige Kapitalmarktfähigkeit dieser Länder, vor allem bei einer weniger unterstützen-den Geldpolitik, alles andere als selbstverständlich.

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