Kapitalmarktfähigkeit: Eine griechische Tragödie
[Kapitalmarkt-News vom 30. August 2018] Die Rating Agentur Moodys hat jüngst den Ausblick für Griechenland auf positiv gesetzt. Hauptgrund waren verbesserte Konjunkturperspektiven. Moodys erwartet, dass das griechische BIP-Wachstum in den kommenden Jahren durchschnittlich um rund 2,5 % zulegen sollte. Das DIW (Wochenbericht 29/2018) ist allerdings deutlich weniger optimistisch: Es betont in seiner Studie zu Griechenland, dass zwar der Arbeitsmarkt unter Aufsicht der EU dereguliert wurde, aber grundlegende Reformen beim Steuersystem und verbesserte Anreizstrukturen ausgeblieben sind. Demzufolge wurde die Krise nicht als Chance zum Neuanfang genutzt; das langfristige Wirtschaftswachstum wird schwache 1 bis maximal 2 % erreichen.
Wenn sich die Wirtschaftsdynamik tatsächlich nicht beschleunigen sollte, müssen die Zinsen weiterhin auf einem ausreichend niedrigen Niveau bleiben, um die Schuldentragfähigkeit sicherzustellen. Es mag als positives Zeichen gesehen werden, wenn Griechenland eine einzelne Anleihe am Kapitalmarkt platzieren kann. Der Hauptteil der Verschuldung wird allerdings weiterhin nicht-marktkonform bewertet werden, um die Schuldentragfähigkeit sicherzustellen. Dementsprechend sind die Laufzeiten der EFSF- (2013 bis 2056) sowie der ESM-Gelder (2034 bis 2060) sehr lang. Doch selbst eine lange Laufzeit und relativ niedrige Zinsen sind keine ausreichende Voraussetzung dafür, dass Griechenland seine Finanzierung irgendwann wieder in den Griff bekommt. So prognostiziert der ESM, dass mit der Umsetzung von allen geforderten Maßnahmen die Schuldenquote erst 2060 unter 100 % des BIP fallen wird und betont, dass dafür Wirtschaftswachstum und eine umsichtige Fiskalpolitik entscheidend sein werden. So sind neben der subventionierten Zinslast ein relativ stabiles Wachstum und vor allem ein anhaltend hoher Primärüberschuss notwendig, um die Schuldenquote langfristig nennenswert zu senken. Erst dann wären Griechenlands Fundamentaldaten kapitalmarktfähig genug, um zunehmend Investoren anzulocken. Doch sind diese Annahmen berechtigt?
Griechenland benötigt ein deutlich höheres Potenzialwachstum, um angesichts der aktuellen Kapitalmarkzinsen eine sinkende Schuldenquote sicherzustellen. Dies ist laut DIW-Studie jedoch nicht gegeben. Griechenland ist ein Land mit nur knapp 11 Mio. Einwohnern – Tendenz abnehmend. Daher ist vor allem die Angebotsseite der Wirtschaft gefragt: Der Absatzmarkt und die Nachfrage sind nicht groß genug, um einen bedeutenden Anreiz für Investitionen in Griechenland zu bieten. Der Fokus muss auf der Angebotsseite liegen. Die Wettbewerbsfähigkeit ist zu verbessern und attraktive Produktionsstandorte sind zu schaffen – bekannte Themen. Aktuelle Daten sowie Studien bieten jedoch kaum Anzeichen für eine perspektivische Verbesserung des griechischen Potenzialwachstums.
Neben Wirtschaftswachstum benötigt Griechenland auch einen anhaltend hohen Primärbilanzüberschuss, um eine Reduzierung der Schuldenquote zu erreichen. Aktuell erwirtschaftet der griechische Staat diesen Überschuss (ca. 4 % des BIP in 2016 und 2017). Aber dieser muss noch viele Jahre erzielt werden; damit werden der Realwirtschaft Ressourcen entzogen und in die Finanzwirtschaft geleitet. Dies scheint angesichts der sozialen Strukturen, des Potenzialwachstums Griechenlands aber auch der benötigten anhaltenden fiskalischen Disziplin eine unrealistische Forderung zu sein. Auch ist, historisch betrachtet, eine nachhaltige Senkung der Schuldenquote immer durch ein hohes nominales BIP-Wachstum oder einem Schuldenschnitt gelungen, und nicht durch andauernde Primärüberschüsse bei niedrigem Potenzialwachstum und erst recht nicht angesichts des aktuellen Niveaus der griechischen Staatsschuldenquote von rund 180 %.
In der Literatur über Schuldentragfähigkeit und nachhaltige Fiskalpolitik findet das Konzept eines „kritischen Schwellenwerts von Schuldenquoten“ oftmals Anklang. Gemäß diesem Ansatz ist bis zu einer gewissen Schuldenquote durchaus mit fiskalischen Sparmaßnahmen zu rechnen. Ist allerdings die Schuldenquote zu hoch, so ist die Fähigkeit und auch Bereitschaft des Staates ausgeschöpft, durch Konsolidierungs- und Reformpolitik für eine entscheidende Wende zu sorgen,. Zwar lässt sich dieser Schwellenwert nur schwer berechnen und ist von der wirtschaftlichen Entwicklung des Landes abhängig. Eines scheint allerdings sicher zu sein: Angesichts des Wachstumspotenzials und Einkommens sowie der fragilen gesellschaftlichen Strukturen in Griechenland liegt die aktuelle Schuldenquote sicherlich über dem Schwellenwert. Die Annahme eines über Jahrzehnte anhaltenden hohen Primärüberschusses scheint damit auch aus dieser Sicht höchst fragwürdig.
Finanzminister Tsakalotos kündigte an, Griechenland werde in den nächsten zwei Jahren die Stimmung der Anleger mit mehreren Bond-Emissionen testen. Dies ist keine Rückkehr zur Kapitalmarktfähigkeit. Ein Kapitalmarktzugang im Schatten einer subventionierten Zinslast ist nur dann ein echter, wenn die durch eine niedrige Zinslast induzierten fundamentalen Verbesserungen auf Sicht einen vollständigen Ersatz der subventionierten Zinsen durch den Markt erlauben. Doch das ist nicht der Fall, wie die wenig plausiblen, aber notwendigen Annahmen über Wachstum und Primärbilanz zeigen. Griechenland mag den Kapitalmarkt dank ESM und EFSF anzapfen können, als Erfolg oder Signal der Kapitalmarktfähigkeit ist dies in den nächsten Jahren jedoch nicht zu interpretieren. Der griechische Finanzminister hat mit dem Auslaufen der Hilfsprogramme das Ende der griechischen Krise verkündet – eine krasse Fehleinschätzung.
Fazit
Auch wenn die Zahlen schön gerechnet werden können, führt nichts daran vorbei, dass Griechenland weder kapitalmarktfähig ist, noch eine nachhaltige Schuldenstabilität aufweisen kann. Die Schuldenquote ist zu hoch, als dass der Staat sie durch eigene Anstrengungen nachhaltig stabilisieren bzw. auf einen klar abwärts gerichteten Pfad lenken kann – trotz subventionierter Zinslast durch die EU. Das Potenzialwachstum ist zudem zu niedrig, um mit marktgerechten Zinsen eine stabile Finanzierung zu sichern.
Auch langfristig wird Griechenland nicht ohne Schuldenschnitt kapitalmarktfähig werden. Daran ändert auch die ein oder andere griechische Neuemission im Schatten einer subventionierten Schuldenlast nichts.
Empfohlene Literatur:
DIW Wochenbericht; https://www.diw.de/documents/publikationen/73/diw_01.c.594645.de/18-29.pdf
ESM Präsentation: Conclusion of ESM programme for Greece: an overview;
https://www.esm.europa.eu/sites/default/files/greece_programme_conclusion_presentation.pdf
Dr. Klaus Bauknecht ist als Chefvolkswirt der IKB Deutsche Industriebank AG verantwortlich für die volkswirtschaftlichen Analysen, Prognosen und Einschätzungen der Bank. Er schreibt zu aktuellen und übergeordneten Konjunktur-, Volkswirtschafts- und Marktthemen. Zudem kommentiert er regelmäßig konjunkturelle Entwicklungen in renommierten Wirtschaftsmedien und ist mit seinen pointierten Präsentationen häufiger Gast bei Verbänden und Unternehmen. Zuvor arbeitete Klaus Bauknecht in verschiedenen leitenden Positionen anderer Banken und im südafrikanischen Finanzministerium.
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