[Kapitalmarkt-News vom 24. September 2024]
Fazit: Die deutsche Wirtschaft steckt in einer Zwangsjacke aus negativen Erwartungen. Dies belastet nicht nur den kurzfristigen Ausblick, sondern infolge fehlender Investitionen auch das Potenzialwachstum am Standort Deutschland. Das aktuelle ifo Geschäftsklima deutet nicht auf eine Entspannung hin. Somit besteht weiterhin dringender Handlungs- und Reformbedarf für einen Neustart. Die jüngste Wachstumsinitiative der Bundesregierung geht hier sicherlich in die richtige Richtung, aber reicht nicht aus. Denn es braucht immer noch einen spürbaren Konjunkturschub, damit die angekündigten Maßnahmen zum Tragen kommen. Und gerade dieser Schub bleibt weiterhin fraglich. Die IKB erwartet eine stagnierende deutsche Wirtschaft im Jahr 2024 und ein nur marginales Wachstum im Jahr 2025.
Die Stimmung in Deutschland bleibt fest im Sog sich negativ verstärkender Einschätzungen zu Politik und Wirtschaft. Die Bundesregierung startet deshalb einen neuen Anlauf: Nach dem Wachstumschancengesetz kommt nun die Wachstumsinitiative, die der Angebotsseite der Wirtschaft mit einer ganzen Reihe von Maßnahmen neue Impulse geben soll (2024-07-08-wachstumsinitiative-data.pdf (bundesregierung.de). Viele der einzelnen Maßnahmen mögen positiv bewertet werden, dienen sie doch der Verbesserung der Anreizstruktur in der Wirtschaft. So gibt es z. B. bessere Abschreibungsbedingungen sowie Anreize, auch im „hohen Alter“ zu arbeiten bzw. grundsätzlich mehr zu arbeiten. Auch die Anstöße für eine Fachkräftezuwanderung sind erwähnenswert ebenso wie günstigere Strompreise. Zudem gibt es die übliche Aussage zum Bürokratieabbau sowie zur Vereinfachung der Unternehmersteuer.
Manche Aspekte wie der Abbau der kalten Progression sind sehr konkret, andere eher noch vage. Doch insgesamt muss festgehalten werden, dass diese Initiative an vielen Schrauben versucht, in die richtige Richtung zu drehen. Die Bundesregierung erhofft sich einen deutlichen Wachstumsschub: Es wird von einem halben Prozentpunkt mehr Wachstum im ersten Jahr der Umsetzung ausgegangen. Doch vor allem erhofft sich die Bundesregierung eine deutliche Steigerung des Potenzialwachstums, das sie laut Frühjahresprognose in den kommenden Jahren bei 0,6 % sieht. Allerdings sollte der Einfluss auf das Potenzialwachstum nicht überbewertet werden – vor allem kurzfristig. Denn viele der Maßnahmen sind Optimierungen, während eine Veränderung des Investitionsverhaltens doch eher grundsätzliche Reformen braucht.
Das Problem bleibt die Investitionsbereitschaft am Standort Deutschland. Unternehmen agieren hinsichtlich ihrer Investitionsvorhaben in den letzten Jahren eher re- als proaktiv. Unternehmen investieren nicht in die Transformation und treiben damit das Wachstum nicht voran. Sie warten vielmehr, bis die Konjunkturerholung einsetzt, und investieren erst, wenn die Auftragsbücher gefüllt sind. Deshalb ist aktuell die schwache Konjunktur auch das größte Hemmnis für die Investitionen (siehe Konjunktur in Deutschland | Deutsche Bundesbank). So sind Investitionen des Privatsektors kein unabhängiger Treiber der Wirtschaft. Dies wäre aber notwendig, um das Potenzialwachstum zu steigern und die Transformation zu beschleunigen. Bessere Abschreibungsbedingungen sollten hierbei allerdings eine untergeordnete Rolle spielen. Nötig ist eine grundsätzliche Neuausrichtung der Erwartungen. Denn das ifo Geschäftsklima und damit die Stimmung in der deutschen Wirtschaft verlaufen nicht nur zyklisch, sondern sie sind vor allem strukturell unter Druck. Bereits seit 2018 hat ein negativer Trend eingesetzt: Unternehmen werden immer skeptischer hinsichtlich der aktuellen und erwarteten Lage. Diese negative Einschätzung ist sicherlich verbunden mit den globalen Wachstumsaussichten, die vor allem durch Risiken in China und einer sich abkühlenden US-Wirtschaft bzw. geopolitischen Spannungen belastet werden. Doch auch die deutschen Standortbedingungen belasten die Stimmung. Das aktuelle ifo Geschäftsklima bestätigt wieder einmal den negativen Trend. So hat sich der bedeutendste Stimmungsindikator für die deutsche Wirtschaft im September zum vierten Mal verschlechtert; der Rückgang fiel zudem deutlich aus. Die Unternehmen waren insbesondere mit den laufenden Geschäften weniger zufrieden. Auch der Ausblick auf die kommenden Monate trübte sich weiter ein.
Ob die Wachstumsinitiative ausreicht, um den negativen Trend der Stimmung und der Investitionen zu stoppen, bleibt hingegen fraglich. Dies liegt auch daran, weil die Maßnahmen – so richtig sie vielfach auch sein mögen – keine grundsätzliche Aufbruchstimmung vermitteln. Im Gegenteil, sie werden nur mit einer sich erholenden Wirtschaft voll zum Tragen kommen. Ein Konjunkturimpuls zusammen mit der Wachstumsinitiative der Bundesregierung kann zu mehr Dynamik führen. Die Initiative allein bringt aber im Umfeld der negativen Stimmung und einem reaktiven Investitionsverhalten keine grundlegenden Veränderungen. Es braucht einen konjunkturellen Anstoß. Auch wenn konjunkturelle Impulse häufig als weniger bedeutend für strukturelle Anpassungen bzw. das Wachstumspotenzial angesehen werden – ohne eine ausreichend spürbare Konjunkturbelebung werden veränderte Anreizstrukturen nur begrenzt Erfolg haben. Dies gilt gerade im Umfeld einer sich festigenden negativen Stimmung in der Wirtschaft.
Dr. Klaus Bauknecht ist als Chefvolkswirt der IKB Deutsche Industriebank AG verantwortlich für die volkswirtschaftlichen Analysen, Prognosen und Einschätzungen der Bank. Er schreibt zu aktuellen und übergeordneten Konjunktur-, Volkswirtschafts- und Marktthemen. Zudem kommentiert er regelmäßig konjunkturelle Entwicklungen in renommierten Wirtschaftsmedien und ist mit seinen pointierten Präsentationen häufiger Gast bei Verbänden und Unternehmen. Zuvor arbeitete Klaus Bauknecht in verschiedenen leitenden Positionen anderer Banken und im südafrikanischen Finanzministerium.
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