[Kapitalmarkt-News vom 5. Dezember 2018]
Die Lage ist oftmals besser als die Stimmung, …
Die Auftragslage ist weiterhin gut, doch keiner weiß wie lange noch. Dies sind Aussagen, die man des Öfteren in Gesprächen mit mittelständischen Unternehmen hört. Nach Jahren guter Konjunktur und bei einem Welt-BIP, das rund 30 % über dem Vorkrisenniveau von 2008 liegt, bleiben trotzdem große Zweifel an der Nachhaltigkeit bzw. Stabilität der zukünftigen lokalen wie globalen Entwicklung. Und jüngste Prognoserevisionen sowie die anhaltende Betonung von Risiken schüren diese Sorgen weiter.
Die Erfahrungen aus der Finanzkrise scheinen immer noch tief zu sitzen. Investoren sind eher bereit, Opportunitäten nicht zu nutzen, als zu investieren und im Falle einer konjunkturellen Eintrübung oder Krise auf dem falschen Fuß erwischt zu werden – eine oft getätigte Aussage, vor allem von global agierenden Mittelständlern. Zwar gab es schon immer Volatilitäten, die die Auslastung von Kapazitäten und damit Investitionen beeinflusst haben. Das fundamentale Vertrauen, dass die Wirtschaft nachhaltig wächst und sich Investitionen langfristig lohnen, scheint durch die Erfahrungen der Finanz- und Euro-Krise jedoch dermaßen erschüttert worden zu sein, dass die aktuelle Lage und die unmittelbare Zukunft bei unternehmerischen Entscheidungen ausschlaggebend sind und nicht die langfristige Perspektive. Unternehmer investieren überwiegend nur dann, wenn es nicht mehr anders geht, die Kapazitäten also aufgrund sehr guter Auftragslage dauerhaft ausgelastet sind. In solch einem Umfeld mag bereits die Vermutung einer Eintrübung selbst kurzfristig notwendige Investitionsentscheidungen verzögern. Gerade im aktuellen Umfeld könnte dies zu einer erhöhten Zurückhaltung bei Unternehmern führen und das Risiko einer konjunkturellen Eintrübung beschleunigen.
… doch Investitionsverhalten ist eher verhalten
Sicherlich neigen Unternehmer in konjunktursensitiven Branchen wie dem Maschinenbau oder der Automobilindustrie eher zur Vorsicht bei Investitionen. Doch gilt dies auch für die gesamte Wirtschaft? Lässt sich die These empirisch belegen, dass die Erfahrungen der Finanzkrise bzw. eine anhaltend hohe wirtschaftliche Unsicherheit das Investitionsverhalten belasten und Unternehmer in ihren Investitionsentscheidungen weiterhin beeinflussen? Hat sich das Investitionsverhalten verändert? Ist es heute reaktiver als früher? Abb. 1 zeigt, die Dynamiken des Investitionsverhaltens haben sich seit der Finanzkrise tatsächlich verändert, und zwar über alle Branchen. Klassische Zyklen, bei denen die Investitionen im Verhältnis zum BIP in Phasen konjunktureller Erholung deutlich ansteigen und in Rezessionen stark nachlassen, sind seit der Finanzkrise deutlich weniger ausgeprägt. Eine der Ursachen, warum die deutsche Wirtschaft aktuell keine klassischen Konjunkturzyklen erlebt, ist also die nachlassende Volatilität bei den Investitionen.
Unternehmer handeln durchaus rational, wenn sie sich in ihrer Investitionstätigkeit zurückhaltend zeigen. Denn die Nachhaltigkeit der aktuellen Konjunkturentwicklung wird schon länger angezweifelt. Blasenbildungen durch die Notenbanken und nicht haltbar hohe Schuldenquoten sind nachvollziehbare Argumente, die in diesem Zusammenhang immer wieder betont werden bzw. als Indiz für eine bevorstehenden Korrektur oder gar einen Crash genannt werden. So wird die nun schon seit Jahren stabile Konjunktur nicht als Indiz anerkannt, dass die Welt- und europäische Konjunktur robust sind. Negative Zinsen und steigende Schuldenquoten führen demnach zu keinem nachhaltigen Wachstum, sondern verschieben nur eine unausweichliche Korrektur. Das seit Jahren anhaltende Wirtschaftswachstum ist nach dieser Lesart durch steigende Schuldenquoten teuer erkauft und nicht haltbar.
Unsicherheiten über Politik und Wirtschaftsausblick häufen sich …
Dabei ist das Geldwachstum in der Euro-Zone alles andere als überschüssig (siehe auch IKB-Kapitalmarkt-News Euro-Zone: Geringes Geldmengenwachstum entschärft Inflationsrisiko), sodass die Argumentation eines durch billiges Geld induzierten Booms nicht nachvollziehbar ist. Allerdings gibt es andere Themen, die im Kontext einer allgemeinen Verunsicherung für Zündstoff sorgen. Hierzu gehört sicherlich die anhaltende Diskussion über einen von den USA ausgelösten Handelskonflikt. Grundsätzlich scheinen mögliche Konjunkturrisiken zuzunehmen, vor allem auf globaler Ebene. Dazu zählen etwa der Brexit, die Schuldentragfähigkeit einzelner Länder und die Wechselkursentwicklungen verschiedener Schwellenländer. So zeigt der Policy Uncertainty Index, der politische wie konjunkturelle Unsicherheit misst, für die Weltwirtschaft und auch für Deutschland seit der Finanzkrise nicht nur höhere Ausschläge, sondern auch einen negativen Trend. Der hohe Gleichlauf zeigt zudem, wie stark das globale Umfeld die Stimmung und die Medien in Deutschland beeinflusst.
… und beeinflussen die Stimmung unter Unternehmern …
Empirische Analysen (siehe Literaturverweis am Ende des Beitrags) zeigen, dass der Policy Uncertainty Index als Frühindikator zukünftiger Investitionen bzw. Konjunkturentwicklungen statistisch bedeutend ist. Dies gilt vor allem – aber nicht nur – für die USA. Auch zeigen IKB-Analysen, dass der Index einen bedeutenden Einfluss auf die Erwartungskomponente des ifo Geschäftsklimas für das Verarbeitende Gewerbe hat: Steigt die Unsicherheit, wirkt sich dies negativ auf die Erwartungshaltung der deutschen Unternehmen aus und damit auch auf die Konjunkturentwicklung. Denn das ifo Geschäftsklima ist einer, wenn nicht der bedeutendes Frühindikator der deutschen Konjunktur. Allerdings ist seit der Finanzkrise auch hier eine Veränderung zu erkennen. So scheint die generell höhere Unsicherheit seit der Krise (Volatilität im Index) keinen negativen Einfluss auf Erwartungen und das Investitionsverhalten der Unternehmer auszuüben, da sich der Einfluss des Index deutlich reduziert hat. Auch ist die Einschätzung der aktuellen Lage weiterhin der bedeutendere Treiber für Erwartungen. So beeinflusst zwar die allgemeine konjunkturelle und politische Unsicherheit die Stimmung der deutschen Unternehmer. Eine bedeutende Bremswirkung auf das Investitionsverhalten – vor allem seit der Finanzkrise – ist jedoch nicht festzustellen. Sprich: Unsicherheit beeinflusst Stimmung. Sie ist aber nicht ausreichend, um die grundsätzliche Veränderung der in Abb. 1 dargestellten Investitionsdynamik zu erklären.
… doch die Erfahrung der Krise bleibt entscheidender Faktor für Investitionsentscheidung
Dennoch spielt die Finanz- und Euro-Krise weiter eine große Rolle, zumindest im Unterbewusstsein vieler Unternehmer. Denn Kausalitätstests bestätigen eindeutig, dass es seit der Finanzkrise nicht die Investitionen sind, die das Wachstum treiben, sondern das BIP-Wachstum bestimmt eher die Investitionen. Haben Investitionen vor der Finanzkrise in Folge positiver Erwartungen das Wachstum getrieben und zu einer deutlich ansteigenden Investitionsquote geführt, ist es seit der Finanzkrise anders herum. Das BIP-Wachstum führt zwangsläufig zu Investitionen aufgrund von Kapazitätsengpässen. Vor der Krise kann das Investitionsverhalten als aktiv bezeichnet werden, was auch zu deutlichen Über- und Unterreaktionen geführt hat, siehe Abb. 1. Seit der Krise ist das Investitionsverhalten eher reaktiv. Ein Investitionsboom bleibt aufgrund des positiven, aber relativ moderaten Wachstumspfads aus.
Benötigt wird eine hohe Wachstumsrate, die für eine steigende Investitionsquote sorgen würde und die Erfahrungen aus der Krise vergessen lässt. Die Chancen hierfür sehen die meisten Volkswirte jedoch gering. Aktuelle Prognosen für das deutsche Wirtschaftswachstum in 2019 werden fast im Tagesrhythmus nach unten revidiert, und auch für die nächsten Jahre wird ein eher moderates Wachstum von 1,5 % bis 2 % prognostiziert. Das ist zwar keine schlechte Erwartung. Doch wie die letzten Jahre gezeigt haben, reicht sie nicht aus, um das Investitionsverhalten grundsätzlich anzukurbeln. Auf der anderen Seite sollten ausgeprägte konjunkturelle Schwankungen in Folge von Investitionen auch zukünftig ausbleiben. Damit bleibt auch das Risiko eines bedeutenden konjunkturellen Einbruchs für 2019 in Folge einer nun schon lang anhaltenden Erholung eher gering.
Fazit:
Die Investitionsdynamik in Deutschland hat sich seit der Finanzkrise grundsätzlich geändert. Die Ursachen hierfür scheinen weniger aktuelle globale Konjunkturrisiken zu sein. Es sind eher die Erfahrungen aus der Finanzkrise, die zur anhaltenden Investitionszurückhaltung geführt haben.
Unternehmen investieren nicht mehr, um zu wachsen, sondern weil die Wirtschaft gewachsen ist und sich Kapazitätsengpässen gebildet haben. Sie reagieren mehr, als dass sie agieren. Die aktuellen Revisionen bei den deutschen Wachstumsprognosen für 2019 stärken diese eher skeptische Einstellung der Unternehmen und werden kaum für eine grundsätzliche Veränderung im deutschen Investitionsverhalten und damit einen bedeutenden Anstieg in der Investitionsquote sorgen. Dies spricht für eine moderate, aber auch relativ stabile deutsche Konjunkturentwicklung in den nächsten Jahren.
Dr. Klaus Bauknecht ist als Chefvolkswirt der IKB Deutsche Industriebank AG verantwortlich für die volkswirtschaftlichen Analysen, Prognosen und Einschätzungen der Bank. Zudem lehrt der promovierte Volkswirtschaftler an der Nelson Mandela University in Südafrika. Zuvor arbeitete er in verschiedenen leitenden Positionen anderer Banken und im südafrikanischen Finanzministerium. Er schreibt zu aktuellen und übergeordneten Konjunktur-, Volkswirtschafts- und Marktthemen.
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