[Kapitalmarkt-News vom 4. Oktober 2019]
Zinsmärkte signalisieren konjunkturellen Einbruch …
Wie erwartet, hat die Fed die Zinsen im September erneut gesenkt. Nun befindet sich die von der Notenbank gewünschte Spanne für die Fed Funds Rate bei 1,75 % bis 2 %. Noch hat die US-Notenbank also Raum, im Falle einer beschleunigten Abkühlung der US-Wirtschaft gegenzusteuern. Für die US-Zinsmärkte gibt es keine Zweifel daran, dass die Zinsen nicht nur weiter fallen, sondern auch mittel- bis langfristig nicht bedeutend steigen werden. So handeln 30-jährige US-Renditen aktuell bei ca. 2 %, während sie noch zu Jahresanfang bei über 3 % lagen. Doch ob die aktuelle Einschätzung der Märkte sich als richtig erweisen wird, bleibt abzuwarten. Die Argumente für eine Abkühlung sind vielfältig. Zum einen sollten fiskalische Stimulierungsmaßnahmen in Form von Steuersenkungen mehr und mehr auslaufen. Zum anderen wird die Länge der aktuellen Erholungsphase als Indiz für eine bevorstehende Abkühlung gesehen. Auch scheinen Konjunkturdaten zunehmend eine nachlassende Dynamik anzudeuten. So ist der ISM Index für das Verarbeitende Gewerbe im September deutlich zurückgegangen. Auch der Arbeitsmarkt scheint sich abzukühlen – zumindest was neugeschaffene Stellen angeht. Ob all dies jedoch zu einer über mehrere Quartale anhaltenden Schwächephase und gar Rezession führen wird, ist allerdings weniger sicher. Fundamentaldaten sprechen ebenso dagegen wie die effektive geldpolitische Lockerung.
… und unterstützen damit die Fed, gerade diesen zu verhindern
Die deutliche Korrektur in den Renditen von langläufigen US-Anleihen hat zu einer negativen bzw. extrem flachen Zinskurve (10-jährige Renditen unter 2-jährigen Renditen) geführt. Dies war in der Vergangenheit oft ein Frühindikator für eine bevorstehende Rezession. Historisch lag die Ursache für solch einen Zinskurvenverlauf vor allem am kurzen Ende. Die Fed hielt die Zinsen zu lang relativ hoch, was die Wirtschaft belastete und zu einer extremen Meinung des Zinsmarktes bezüglich zukünftiger Zinssenkungen führte. Die aktuelle Dynamik ist jedoch eine andere: Die Fed muss sich nicht vergewissern, dass sich die infolge eines Konjunkturbooms angestiegene Inflation auf einem sinkenden Pfad befindet. Im Gegenteil: Die Fed kann wegen einer niedrigen Inflation und trotz eines robusten Arbeitsmarkts die Zinsen relativ schnell senken. So kann sie bereits vergleichsweise früh als konjunkturelle Stütze dienen und muss nicht aufgrund von Inflationsrisiken den Abschwung einleiten. Diese Dynamik unterscheidet sich also fundamental von vergangenen Zins- und Rezessionszyklen.
Es ist aktuell nicht die Fed, die eine negative Zinskurve verursacht und die US-Wirtschaft wie in früheren Zyklen abbremst. Dies spricht für eine weniger ausgeprägte Abschwungphase bzw. rechtfertigt eine antizipierende Fed-Geldpolitik. Der Einfluss dieser Politik wird durch die aggressiven Erwartungen der Zinsmärkte über Zinssenkungen noch verstärkt. Die US-Zinsmärkte signalisieren sehr deutlich, dass sie nicht nur mehrere Zinssenkungen der Fed erwarten. Mit 30-jährigen Renditen bei um die 2 % spiegeln sie hohe Zweifel an der der Fähigkeit der Fed, die Zinsen selbst langfristig auf einem gewissen Niveau zu halten. Doch gerade diese Zweifel und damit die einhergehende flache oder inverse Zinskurve dämpfen das Risiko eines Abschwungs. Denn durch überzogen niedrige Renditen verstärkt der Zinsmarkt den Einfluss der Geldpolitik – und dies bereits relativ früh im Konjunkturzyklus. Dies gilt vor allem für die Schuldentragfähigkeit bzw. Entlastung von US-Haushalten wie auch dem US-Staat.
Zinssenkung stützt US-Konsum …
Der US-Konsum ist in guter Verfassung. Die Quote von Immobilienkrediten, bei denen ein Zahlungsverzug vorliegt, ist mit unter 1 % historisch gesehen auf einem äußerst niedrigen Niveau – und dies, obwohl Häuserpreise nur moderat ansteigen und die Fed über die Jahre die Zinsen kontinuierlich angehoben hat. Auto- und Studentenkredite sind allerdings auf einem erhöhten Niveau. Bei Studentenkrediten liegt die Quote von Zahlungsverzügen bei über 10 %, bei Autokrediten bei fast 5 %. Allerdings umfassen Immobilienkredite zwei Drittel des gesamten Kreditvolumens, das an US-Privathaushalte ausgereicht wird. So scheint derzeitig wenig dafür zu sprechen, dass die finanzielle Lage der privaten US-Haushalte Grund zur Sorge bzw. ein ernsthaftes Rezessionsrisiko darstellen – vor allem, weil die aktuelle Kreditentwicklung bzw. der zurückgehende Zahlungsverzug in einem Umfeld steigender Zinsen stattgefunden haben und sich der Einfluss der geldpolitischen Lockerung noch zeigen muss.
Ein Rückgang der Renditen stützt die geldpolitischen Lockerungsmaßnahmen der Notenbank. Dies gilt vor allem in den USA, wo auch festverzinste Immobilienkredite, die bei Weitem die Mehrheit der US-Immobilienkredite ausmachen, vorzeitig refinanziert werden können. So profitieren nicht nur variable, sondern auch Kreditnehmer mit festverzinsten Verbindlichkeiten von der jüngsten Fed-Aktion bzw. der doch eher negativen Konjunkturmeinung der US-Zinsmärkte. Demnach ist die Geldpolitik in den USA auch um einiges lockerer geworden, als es die zwei Zinssenkungen von je 25 bp andeuten würden. Lag der durchschnittliche Festzinssatz von Immobilienkrediten mit einer Laufzeit von 30 Jahren im November 2018 bei knapp unter 5 %, so sind diese im September 2019 um über 120 bp auf unter 3,7 % gefallen. Ein guter Arbeitsmarkt, wenig Zahlungsverzüge und ein Zinssatz auf dem niedrigen Niveau von 2016 deuten demnach auf ein erhöhtes Refinanzierungspotenzial.
… und auch die Fiskalpolitik erhält mehr Spielraum
Der US-Staat muss sich angesichts der aktuellen Zinskurve bzw. Zinslast wenig Sorgen über seine Schuldentragfähigkeit machen. Denn die Zinslast liegt deutlich unter dem nominalen BIP-Wachstumspfad. Auch wird das aktuelle Renditeniveau die Zinslast weiter reduzieren. 2018 lag der effektive Zinssatz des Staates bei ca. 2 %, angestiegen von 1,7 % im Jahr 2016. Auch hier wird die pessimistische Einschätzung der US-Zinsmärkte über den US-Konjunkturverlauf helfen, den Zinssatz erneut zu senken. Somit erhält die Fiskalpolitik, unterstützt von der pessimistischen Einschätzung der Zinsmärkte, weiteren Handlungsspielraum.
EUR/USD-Devisenkurs: Einfluss von US-Zinsmärkten durch EZB ausgebremst
Der Handelskonflikt und Sorgen um Zollmauern belasten die globale Konjunktur und werden auch als Auslöser einer sich abkühlenden US-Konjunktur gesehen. Der anhaltende Handelskonflikt scheint zunehmend die Stimmung in der US-Industrie zu belasten, wie auch der jüngste ISM-Index bestätigt. Insgesamt sollte der Einfluss des Handelskonflikts auf die USA jedoch nicht überbetont werden. Es sind der ununterbrochen starke US-Dollar sowie der Abwertungsdruck der chinesischen Währung, die auf breiter Basis Preisanstiege von importierten Gütern dämpfen und die Wettbewerbsfähigkeit des Verarbeitenden Gewerbes der USA belasten.
Ein starker US-Dollar mag die Wachstumsdynamik dämpfen, sollte aber wegen der überschaubaren Bedeutung des Verarbeitenden Gewerbes für die US-Wirtschaft zu keinem Wachstumseinbruch oder zu anhaltender Stagnation führen. Auch sollte die Motivation von Trump nicht vernachlässigt werden, im US-Wahljahr 2020 einen „Deal“ mit China zu erreichen. Dennoch bedeutet ein starker US-Dollar eine Wachstumsbremse bzw. geht einher mit einer geldpolitischen Straffung. Aus dieser Sicht mögen die US-Renditemärkte noch nicht ausreichend pessimistisch sein, um den US-Dollar zu schwächen und die US-Konjunktur dadurch zusätzlich zu unterstützen. Allerdings wird das Langfristzinsdifferenzial durch die Negativzinspolitik und das erneute Aufkaufprogramm der EZB strukturell hochgehalten.
Fazit: US-Wirtschaftsdaten bestätigen zunehmend die allgemeine Erwartung einer sich abkühlenden US-Konjunktur. Ob diese Entwicklung tatsächlich in einer US-Rezession enden wird, ist trotz der negativen Einschätzung der Zinsmärkte nicht eindeutig. Denn aktuell verstärkt die flache oder inverse US-Zinskurve die Effektivität der geldpolitischen Lockerung. Die Zinsen für Immobilienkredite sind deutlich gefallen und der fiskalischen Handlungsspielraum hat sich erhöht. Auch ist der US-Konsum in guter Verfassung – ein Zustand, der eher vor Zinsanhebungen zu erwarten wäre als vor Zinssenkungen. So mögen die Konjunkturdaten zwar kurzfristig weiter enttäuschen; sie rechtfertigen jedoch keine 30-jährigen US-Renditen von nur 2 %. Die IKB erwartet in diesem Jahr ein US-Wachstum von leicht über 2 % und zwischen 1,5 % und 2 % im Jahr 2020.
Dr. Klaus Bauknecht ist als Chefvolkswirt der IKB Deutsche Industriebank AG verantwortlich für die volkswirtschaftlichen Analysen, Prognosen und Einschätzungen der Bank. Er schreibt zu aktuellen und übergeordneten Konjunktur-, Volkswirtschafts- und Marktthemen. Zudem kommentiert er regelmäßig konjunkturelle Entwicklungen in renommierten Wirtschaftsmedien und ist mit seinen pointierten Präsentationen häufiger Gast bei Verbänden und Unternehmen. Zuvor arbeitete Klaus Bauknecht in verschiedenen leitenden Positionen anderer Banken und im südafrikanischen Finanzministerium.
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