Intensiv-Pflegebedürftige besser versorgen, Fehlanreize in der Intensivpflege beseitigen und die Selbstbestimmung der Betroffenen stärken: Das sind die Ziele des Entwurfs eines „Gesetzes zur Stärkung von intensivpflegerischer Versorgung und medizinischer Rehabilitation in der gesetzlichen Krankenversicherung“, kurz Intensivpflege- und Rehabilitationsstärkungsgesetz bzw. IPReG, den das Bundeskabinett am 12. Februar 2020 beschlossen hat. Dem Beschluss vorausgegangen waren viele Überarbeitungen am bis dato geltenden Reha- und Intensivpflege-Stärkungsgesetz RISG seit Sommer 2019. Wir hatten bereits im September 2019 darüber berichtet. Der Bundesrat sieht immer noch einigen Korrekturbedarf. Ausschlaggebend für die geplante Reform der Intensivpflege waren steigende Patientenzahlen in der außerklinischen Pflege und ein zunehmender Missbrauch – etwa durch dubiose Pflegedienste.
Die wesentlichen neuen Regelungen
zur außerklinischen Intensivpflege …:
- Es wird ein neuer Leistungsanspruch auf außerklinische Intensivpflege in das Sozialgesetzbuch V aufgenommen. Nur besonders qualifizierte Ärztinnen und Ärzte dürfen außerklinische Intensivpflege verordnen.
- Außerklinische Intensivpflege kann in Pflegeeinrichtungen, in Einrichtungen der Hilfe für behinderte Menschen, in qualitätsgesicherten Intensivpflege-Wohneinheiten, in der eigenen Häuslichkeit sowie an geeigneten Orten, wie Schulen, Kindergärten und Werkstätten erbracht werden.
- Die Medizinischen Dienste prüfen jährlich im Auftrag der Krankenkassen im Rahmen einer persönlichen Begutachtung, ob die medizinische und pflegerische Versorgung vor Ort sichergestellt ist.
- Damit die Unterbringung in einer stationären Einrichtung nicht aus finanziellen Gründen scheitert, werden Intensiv-Pflegebedürftige in stationären Pflegeeinrichtungen weitgehend von Eigenanteilen entlastet.
- Die Krankenkassen können diese Kostenübernahme als Satzungsleistung auch für den Fall anbieten, dass sich der Gesundheitszustand der versicherten Person bessert und außerklinische Intensivpflege nicht mehr nötig ist.
- Bei allen Patientinnen und Patienten, bei denen eine Entwöhnung von der Beatmung möglich erscheint, soll vor Entlassung aus dem Krankenhaus ein Entwöhnungsversuch erfolgen. Dafür werden Anreize gesetzt und zusätzliche Vergütungen gezahlt. Wird kein Entwöhnungsversuch gemacht, drohen Vergütungsabschläge.
- Nur qualitätsgeprüfte Pflegedienste dürfen außerklinische Intensivpflege erbringen. Deshalb wird der Gemeinsame Bundesausschuss einheitliche Qualitätsvorgaben definieren.
… und zur medizinischen Rehabilitation:
- Der Zugang zur medizinischen Rehabilitation wird erleichtert: Die verordnenden Ärztinnen und Ärzte stellen die medizinische Notwendigkeit einer geriatrischen Rehabilitation fest. Die Krankenkassen sind an diese Feststellung gebunden.
- Die Regeldauer der geriatrischen Rehabilitation wird auf 20 Behandlungstage (ambulant) bzw. drei Wochen (stationär) festgelegt.
- Das Wunsch- und Wahlrecht der Versicherten wird gestärkt: Der Mehrkostenanteil, den Versicherte tragen müssen, wenn sie eine andere als die von der Krankenkasse zugewiesene Reha-Einrichtung wählen, wird halbiert. Die Mindestwartezeit für die erneute Reha von Kindern und Jugendlichen wird gestrichen.
- Damit Reha-Einrichtungen ihren Pflegekräften angemessene Gehälter zahlen können, wird die Grundlohnsummenbindung für Vergütungsverhandlungen aufgehoben. Auf Bundesebene werden Rahmenempfehlungen geschlossen, um einheitliche Vorgaben für Versorgungs- und Vergütungsverträge zu schaffen.
Bundesrat sieht Korrekturbedarf
Das Gesetz tritt voraussichtlich im Sommer in Kraft. Der Bundesrat hat kein Vetorecht. Dennoch gab er in einer Stellungnahme am 15. Mai 2020 Hinweise auf Verbesserungsmöglichkeiten. So spricht er sich dafür aus, die außerklinische Intensivpflege nach einer Krankenhausbehandlung in Kurzzeitpflegeeinrichtungen genauso zu vergüten wie die in Einrichtungen der stationären Dauerpflege. Dass die Kosten für die außerklinische Intensivpflege nach Wegfall des Leistungsanspruchs lediglich als Satzungsleistung der Krankenkassen übernommen werden können, lehnen die Länder ab. Es müsse vielmehr darum gehen, allen Versicherten in der Übergangszeit einen solchen Leistungsanspruch per Gesetz zu ermöglichen. Diese Leistung dem Wettbewerb der Krankenkassen zu überlassen, bezeichnet der Bundesrat als unseriös. Außerdem fordert das Verfassungsorgan Erleichterungen bei kassenärztlich bezahlten Rehabilitationsmaßnahmen: So sollten Krankenkassen generell die Kosten für vertragsärztlich verordnete und indikationsbezogene Rehabilitationen ohne vorangegangene Prüfung übernehmen – der Gesetzentwurf ermöglicht das nur bei geriatrischer Reha. Zur Begründung seiner Forderung verweist der Bundesrat auf den Grundsatz „Rehabilitation vor Pflege“ und die damit verbundenen Kosteneinsparungen für die Sozialkassen. Die Bundesregierung wird dazu in den nächsten Wochen eine Gegenäußerung verfassen. Im Anschluss werden die Dokumente dem Bundestag zur Entscheidung vorgelegt. Das Gesetz wird voraussichtlich im Sommer in Kraft treten.
Qualitätssteigerungen für die Patienten stehen im Vordergrund
Nach Meinung der IKB werden die Änderungen bei der Intensivpflege einen massiven Qualitätswettbewerb auslösen, der den Betroffenen zugutekommen wird. Die ursprünglich vorgesehene einseitige Bevorzugung einer stationären Pflegeeinrichtung für Intensivpatienten gegenüber der häuslichen Pflege wurde gekippt. Dies war sicherlich für viele Familien eine wichtige Korrektur zum ursprünglichen Entwurf, da sie den Betroffenen mehr Selbstbestimmung und Teilhabe am Leben in der Gesellschaft ermöglicht. Spannend wird, ob die neuen positiven Regelungen für Rehakliniken schnell umgesetzt werden können. Die Coronakrise hat nämlich bei vielen Einrichtungen erhebliche Belegungs- und damit Umsatzrückgänge ausgelöst.
Johanna Eckert-Kömen betreut als Direktorin im Sektorteam Consumer, Retail, Logistics & Health der IKB insbesondere Unternehmen aus den Branchen Healthcare Services, Medizintechnik, Pharma sowie Kosmetik und ist involviert in Finanzierungs- und Corporate Finance-Transaktionen der Bank. Nach dem Studium der Volkswirtschaft an der Universität des Saarlandes stieß sie bereits 1991 zur IKB.
Hinterlasse einen Kommentar