[Kapitalmarkt-News vom 13. Mai 2020]

Fazit: Die Produktion des deutschen Verarbeitenden Gewerbes ist im März 2020 um 11,5 % im Vergleich zum Vorjahresmonat eingebrochen. Ein Rückgang von über 30 % im zweiten Quartal 2020 ist durchaus denkbar. Doch unabhängig vom Ausmaß des Absturzes und der Erholung in den darauffolgenden Quartalen – eines ist gewiss: Die Zahl der Unternehmensinsolvenzen wird deutlich zulegen und den im Jahr 2008 durch die Finanzkrise verursachten Anstieg klar übertreffen. Auch dürfte diese Entwicklung ihren Höhepunkt erst Mitte 2021 erreichen.

Kommen bis dahin keine ausreichenden Impulse aus der Fiskalpolitik und aus der globalen Konjunkturentwicklung, wird zudem die Anzahl der Unternehmensinsolvenzen im Verarbeitenden Gewerbe höher ausfallen als in der Finanzkrise. Deshalb sind zusätzliche fiskalische Maßnahmen dringend erforderlich, welche die reale Nachfrage stützen.

Normalisierung benötigt externe Impulse

Aufgrund der Sorge vor einer anhaltenden Depression werden zunehmend Konjunkturprogramme gefordert. Gleichzeitig wird von den meisten Volkswirten weiterhin eine deutliche Erholung im dritten Quartal erwartet. Dies gilt vor allem für die Industrie, aber auch für andere Wirtschaftssektoren. Demnach sollte dem Produktionseinbruch im März und vor allem im April ein deutlicher Aufholeffekt folgen. Wie stark diese Erholungsdynamiken sein werden, bleibt jedoch abzuwarten. Sorgen von Unternehmen und Konsumenten sowie anhaltende Einschränkungen zur Eindämmung der Pandemie könnten die Erholungsdynamik dämpfen bzw. in das Jahr 2021 verschieben. Dennoch ist sicherlich von einem Aufholeffekt auszugehen. Eine Rückkehr zur Normalität bei Wachstum und Produktionsniveau wird hingegen deutlich länger brauchen. Nach der Finanzkrise im Jahr 2008 kam es erst im Jahr 2010 zu deutlichen Aufholeffekten; und die Produktion des Verarbeitende Gewerbes benötigte zwei Jahre, um wieder das Vorkrisenniveau zu erreichen.

Um der verbreiteten Unsicherheit entscheidend entgegenzuwirken, mögen in der Tat die Nachfrage fördernde Maßnahmen der Fiskalpolitik erforderlich sein. Die aktuelle Politik ist jedoch eher darauf fokussiert, den finanziellen Einfluss der Krise auf die Unternehmen und Arbeitgeber abzumildern. Dies führt aber nicht zwangsläufig zu bedeutenden Impulsen für die Wirtschaft. Denn erst muss die Stimmung aufhellen, damit sich die Nachfrage beleben kann. Dazu sollte zunächst die Produktion bzw. Angebotsseite hochgefahren werden. IKB-Studien zeigen, dass in vergangenen Konjunkturkrisen zunächst die Angebotsseite der Wirtschaft reagierte und dann im weiteren Verlauf eine Erholung der Binnennachfrage einsetzte. (siehe IKB-Kapitalmarkt-News 9. April 2020). Externe Nachfrageimpulse durch Exporte oder durch die Fiskalpolitik sind erforderlich, um einen positiven Kreislauf aus anziehender Produktion, steigendem Einkommen, Zuversicht und einer sich erholenden lokale Nachfrage in Gang zu setzen und ausreichend Dynamik zu generieren. In klassischen Konjunkturzyklen war es bisher in der Regel der Export, der in Deutschland die wirtschaftliche Erholung auslöste und notwendige externe Impulse für die Wirtschaft lieferte, im zweiten Schritt kam es dann zu einer Erholung der Binnennachfrage. Doch wie stark die Impulse aus dem Export im aktuellen Umfeld sein werden, ist unklar – vor allem, da die deutsche Exportwirtschaft einen hohen Anteil an Investitionsgütern aufweist. Die Lockerung der einschränkenden Pandemiemaßnahmen und die Sicherstellung von genügend Liquidität dürften nicht unbedingt ausreichende Impulse für die Wirtschaft liefern. Belastend wirkt zudem, dass Unternehmen sowie Haushalte im Vergleich zur Finanzkrise höhere Schuldenquoten aufweisen.

Produktionsstandort Deutschland bereits vor der Krise geschwächt

Es ist von besonderer Bedeutung, dass sich die Wirtschaft relativ schnell erholt. Denn das Verarbeitende Gewerbe ist bereits geschwächt in die Coronakrise geraten. Im Jahr 2019 ist die Produktion im Jahresverlauf um 5 % zurückgegangen, strukturelle Themen, vor allem in der Automobilindustrie belasteten die Unternehmen neben einer allgemeine Konjunkturschwäche. Eine sich hinziehende Konjunkturerholung mag sich somit für viele Unternehmen lebensbedrohlich auswirken: Die Schuldenquoten nehmen zu, Liquiditäts- und Einkommenssituation haben sich bereits durch die skizzierte Industrierezession im Jahr 2019 abgeschwächt. Das Risiko einer anhaltenden industriellen Depression am Produktionsstandort Deutschland ist damit deutlich gestiegen.

Global aufgestellte Unternehmen sind gegenüber diesen Risiken widerstandsfähiger. Ihre Entwicklung hat sich als stabiler erwiesen als die von Unternehmen, die hauptsächlich vom Produktionsstandort Deutschland abhängig sind. Dies hat eine Bilanzauswertung von Unternehmen durch die IKB im Jahr 2019 gezeigt. Auch aktuell könnten insbesondere Firmen, die in China aktiv sind, von ihrer globalen Ausrichtung profitieren, da dort die Produktion bereits wieder angelaufen ist. Allerdings wird vielfach von einer abnehmenden Globalisierung als Folge der Coronakrise ausgegangen. Hier wird vor allem auf das Risiko der sensiblen Produktionsketten verwiesen. Doch ist diese Sorge begründet? Nicht nur einzelne Teilprodukte haben sich globalisiert, um wachsende Märkte lokal zu bedienen, sondern gesamte Produktionsprozesse samt Zulieferer. Geografisch unabhängige Produktionsstätten sind das Ergebnis. Diese globalisierten Produktionsstätten agieren zunehmend selbstständig. Dieser Trend wird durch die Coronavirus-Krise eher verstärkt als geschwächt. So ist die Krise eher ein Katalysator für mehr als für weniger Globalisierung.

Gerade die Automobilindustrie ist hierfür ein Beispiel. Nicht mehr nur Einzelteile, sondern ganze Autoserien werden mittlerweile im Ausland gefertigt, sodass globale Produktionsstätten eher eine Diversifikation und Chance darstellen als ein Komplexitätsrisiko. Dies gilt umso mehr im Falle einer synchronen globalen Abschwächung der Absatzmärkte. Zwar ist auch die chinesische Industrie aktuell noch vom Sog der globalen Rezession betroffen. In der Finanzkrise konnte China jedoch durch umfängliche Konjunkturprogramme einen wichtigen Wachstumsbeitrag leisten und das globale Wachstum stabilisieren. Und auch aktuell ist von zusätzlichen chinesischen Maßnahmen auszugehen, welche die Konjunktur stabilisieren. Das sollte global agierende Unternehmen stützen – auch deutsche, reicht jedoch allein nicht aus, um den Produktionsstandort Deutschland mithilfe von Exportimpulsen ausreichend zu stärken. Denn im Jahr 2019 gingen gerade mal 7,2 % der deutschen Exporte nach China.

Insolvenzen im Verarbeitenden Gewerbe – deutlicher Anstieg unausweichlich

Trotz der relativ schnellen Erholung nach der Finanzkrise 2008 hat es mehrere Quartale gedauert, bis die Produktion in Schwung kam. So stagnierte die Industrieproduktion nach dem Einbruch zur Jahreswende 2008/09 auf sehr niedrigem Niveau im zweiten Quartal 2009. Erst im dritten Quartal setzte langsam eine Aufholdynamik ein. Würde die aktuelle Entwicklung eine ähnliche Dynamik aufweisen, dürften sich keine bedeutenden Aufholeffekte im dritten Vierteljahr 2020 ergeben – im Gegensatz zur allgemeinen Erwartung. Erst im Schlussquartal 2020 wäre mit ersten Aufhol- bzw. Erholungstendenzen zu rechnen. Und tatsächlich kann aufgrund des weltweiten Konjunktureinbruchs in der ersten Jahreshälfte 2020 nicht wirklich mit bedeutenden kurzfristigen Aufholeffekten im Verarbeitenden Gewerbe gerechnet werden. Und dennoch: Obwohl das Verarbeitende Gewerbe nach der Finanzkrise fast drei Jahre brauchte, um das Vorkrisenproduktionsniveau wieder zu erreichen, stiegen damals zwar die Ausfallraten, allerdings bei weitem nicht so deutlich und nicht so lange wie befürchtet.

In der Finanzkrise reagierte die Fiskalpolitik relativ schnell. Die Konjunkturprogramme I und II wurden bereits im November 2008 und im Januar 2009 – und damit am Anfang des Produktionseinbruchs im Verarbeitenden Gewerbe – von der Bundesregierung verabschiedet. Zuletzt kündigte die KfW zwar auch Garantien und Sonderprogramme relativ früh an. Die realwirtschaftliche Stützung bleibt allerdings bis dato eher indirekt. Während der Finanzkrise beinhaltete das Konjunkturprogramm hingegen neben der Abwrackprämie für Pkw verschiedene Förderungen zur Stärkung von Investitionen, Steuersenkungen und höhere Sozialausgaben wie den Kinderbonus. Aus dieser Sicht hätte aktuell ein ähnliches Programm bereits zwischen März und Mai 2020 verabschiedet werden müssen. Zudem bleiben noch auf Sicht Einschränkungen bestehen, die einige Branchen bis weit in die zweite Jahreshälfte 2020 belasten sollten. Mangels fehlender Nachfrageimpulse bleibt es somit fraglich, ob die Produktion des Verarbeitenden Gewerbes bereits im dritten Quartal 2020 spürbare Aufholeffekte zeigen kann. Ein U-Verlauf der Industrieentwicklung mag vor diesem Hintergrund wahrscheinlicher sein als ein V-Verlauf. Im Folgenden hat die IKB zwei Szenarien für einen möglichen Produktionsverlauf erstellt, um eine Einschätzung des Ausfallrisikos im Verarbeitenden Gewerbe abzugeben.

  • Szenario 1 – eine mit der Finanzkrise vergleichbare Entwicklung: Zwar bricht die Produktion im zweiten Quartal stärker ein als damals, der weitere Verlauf ist allerdings ähnlich: Im dritten Quartal stabilisiert sich die Produktion, gefolgt von einer Erholung in den Folgequartalen. Fast drei Jahre nach Krisenbeginn ist das Vorkrisenniveau wieder erreicht. In der Finanzkrise wurden zügig Konjunkturprogramme verabschiedet, die die Konjunktur unterstützten. Damit ist dieses Szenario eher optimistisch.
  • Szenario 2 – Der Einbruch im zweiten Quartal 2020 ist ausgeprägter und länger als in Szenario 1. Zudem setzt erst Anfang des Jahres 2021 eine spürbare Erholung der Produktion ein. Es ergibt sich ein U-Verlauf der Konjunkturentwicklung. Das Produktionsniveau erreicht erst nach vier Jahren das Vorkrisenniveau. Aufgrund fehlender Impulse aus dem In- und Ausland zieht sich der Normalisierungsprozess hin. Szenario 2 spiegelt eine sich nur langsam erholende Weltwirtschaft.

Unabhängig vom Ausmaß des Produktionseinbruchs im zweiten Quartal 2020 deuten die Simulationen auf einen deutlichen Anstieg der Unternehmensinsolvenzen hin. Eine spürbare Zunahme ist nicht zu verhindern. Der bereits erfolgte Einbruch der Konjunktur ist zu bedeutend; jegliche fiskalpolitische Stimulierung kommt dafür zu spät. Ihren Höhepunkt sollte die Zahl der Insolvenzen in der Mitte des Jahres 2021 erreicht haben, also in gut einem Jahr – unabhängig davon, welches der beiden Szenarien näher an der Realität ist. Wie hoch die Zahl der Insolvenzen sein wird, ist von der realwirtschaftlichen Entwicklung abhängig und somit von möglichen Stimulierungsimpulsen aus dem In- oder Ausland. In beiden Szenarien ist der Anstieg (nicht das Niveau) der Insolvenzen höher als in der Finanzkrise. Im Szenario 2 steigt das Niveau der Insolvenzen über das von der Finanzkrise 2008, es erreicht sogar fast das Niveau der Jahre 2003 und 2004. In diesem Szenario ist ein bedeutender Anstieg der Arbeitslosenquote zu erwarten. Da in der Finanzkrise aus fiskalischer Sicht deutlich mehr Maßnahmen verabschiedet wurden als bisher in der Coronakrise, ist dies nicht überraschend. Ein Konjunkturprogramm ist notwendig, das eine stärkere reale Stütze für die Wirtschaft darstellt und den unausweichlichen Anstieg der Insolvenzen dämpft – vor allem in den Folgequartalen. Sollte sich die globale Konjunktur nicht ausreichend erholen, sind umfangreichere fiskalische Stützungsmaßnahmen die einzige Möglichkeit, um das Szenario 2 oder Schlimmeres zu verhindern. Angesichts des bereits erkennbaren und unausweichlichen Anstiegs der Insolvenzen scheint es höchste Zeit für solch eine Politik zu sein.

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