[Kapitalmarkt-News vom 3. März 2022]

Fazit: Die Inflationsrate der Euro-Zone war zwar seit 2007 im Durchschnitt niedriger als in den ersten Jahren nach der Euro-Einführung. Doch sie zeigt sich seitdem auch um Einiges instabiler, und es besteht die Gefahr, dass eine konstante Inflationsrate kaum noch zu erreichen ist. Denn temporäre Schocks – wie aktuell die Ukraine-Krise – sorgen nicht nur für kurzfristige Inflationsanstiege, sondern haben auch einen spürbar nachhaltigen Einfluss. Diese hohe Volatilität wird wiederum von einem nennenswert stärkeren Gleichlauf der Länder-spezifischen Inflationsraten getrieben. Rohstoffpreisveränderungen scheinen ein entscheidender gemeinsamer Treiber hierfür zu sein, zumal die Geldpolitik oft passiv bleibt.

Soll das Inflationsziel relevant und plausibel bleiben, muss die EZB die nun schon seit rund 15 Jahren anhaltende Inflationsdynamik verändern. Im aktuellen Umfeld hoher Inflationsrisiken heißt dies, die geldpolitische Wende voranzutreiben, auch wenn sich die Teuerungsrate auf Sicht wieder legen sollte. „Gegensteuern“ und nicht „Aussitzen“ sollte die Devise sein.

Ein Inflationsziel – zwei Welten

In den ersten Jahren seit der Euro-Einführung (2000 bis Mitte 2007) war die Inflationsrate in der Währungsunion stabil. Der Durchschnittswert lag leicht über 2 % und die Standardabweichung lag bei 0,3. Das Inflationsziel von knapp unter 2 % war deshalb kurz- und mittelfristig als Anker für Inflationserwartungen wirksam. Seit 2007 hat sich dieses Bild grundsätzlich geändert. Die Volatilität bzw. Standardabweichung ist auf 1,15 angestiegen, die Inflationsrate ist durchschnittlich auf unter 1,5 % gesunken. Die Teuerung verlief in einer Bandbreite zwischen 0 und 4 % oder sogar darüber. Seit 2007 zeigt die Inflationsrate zudem deutlich höhere systematische Abweichungen von ihrem Durchschnittswert. Die Inflationsdynamik führt zu länger anhaltenden Über- und Unterschreitungen des Ziels bzw. des Durchschnitts. Statistische Tests zeigen sogar, dass die Dynamik im Gegensatz zu der Zeit vor dem Jahr 2007 eher auf eine instabile oder nicht-stationäre Zeitreihe hinweist.

Durchschnittswerte sowie Inflationsziele sind in diesem Fall nicht mehr stabil und damit relevant. Der historische Mittelwert oder ein Inflationsziel wären damit nicht mehr korrekte Erwartungswerte. Die Inflationsdynamik seit 2007 ist nicht nur deutlich volatiler; sie ist auch nicht mehr konsistent mit dem Inflationsziel. Deshalb ist es nicht verwunderlich, dass die EZB seit der Neuausrichtung ihrer geldpolitischen Strategie ein mittelfristiges Inflationsziel anstrebt. Denn die Geldpolitik hat einen relativ langen Transmissionsmechanismus. Dennoch ist für den Erfolg eines Inflationsziels ein ausreichender Notenbankeinfluss dahingehend sicherzustellen, dass sich die Teuerungsrate zumindest Richtung Inflationsziel bewegt. Eine Inflationsrate kann zwar längere Zeit über oder unter dem Ziel liegen. Es muss aber eine klare, wenn auch länger dauernde Konvergenz zum Inflationsziel zu erkennen sein. Da eine solche Entwicklung seit 2007 nicht mehr besteht, deutet die Nicht-Annäherung auf eine zu passive Geldpolitik hin: Ein Inflations- oder Deflationsschock wird nicht ausreichend bzw. zeitig bekämpft, um zumindest langfristig eine stabile Inflationsrate sicherzustellen. Ohne Konvergenz können Inflationsschocks jedoch auch nicht mehr als temporär gesehen werden.

Die jüngsten Inflationsentwicklungen bestätigen diese Einschätzung: Ohne eine effektive Gravitation zum Inflationsziel mit Hilfe der Notenbank führen Preisschocks zu einer länger anhaltenden Inflationszunahme. Bleibt die Teuerung trotz Gegenbewegungen wie Rohstoffpreisrückgängen bestehen, sind unausweichlich drastische geldpolitische Maßnahme erforderlich – wenn denn das Inflationsziel weiter von Bedeutung sein soll (siehe auch IKB-Kapitalmarkt-News „Wo bleibt der Glaube an das Inflationsziel“). Ein größerer Inflationsdruck infolge des Ukraine-Konflikts sollte die EZB deshalb umso mehr nötigen, ihre Wende hin zu einer neutraleren Geldpolitik voranzutreiben. Dies gilt gerade im Kontext der seit 2007 eher instabilen Inflationsrate.

Rohstoffpreise und extreme Geldpolitik treiben Gleichlauf und hohe Volatilität

Trotz der hohen Volatilität ist eine deutlich größere Korrelation zwischen den Inflationsraten einzelner Euro-Länder und jener der Euro-Zone erkennbar. Der Korrelationskoeffizient ist im Schnitt von 0,5 auf 0,85 angestiegen. So mag die Inflationsrate in der Euro-Zone seit 2007 zwar um einiges volatiler ausfallen; diese Volatilität geht aber mit einem stärkeren Gleichlauf der Inflationsraten einher. Denn der Inflationsverlauf der Euro-Zone wird zunehmend von allen Euro-Ländern geteilt, was die Euro-Inflationsrate trotz ihrer Volatilität immer mehr zu einem Anker für länderspezifische Inflationserwartungen macht. Dies sollte die Geldpolitik dahingehend vereinfachen, dass eine einheitliche geldpolitische Ausrichtung möglich ist.  

Warum zeigen die Euro-Länder einen spürbaren Gleichlauf untereinander und damit auch zu der Inflationsrate der Euro-Zone? Seit 2007 scheinen es vor allem systematische und damit für alle Länder geltende Entwicklungen zu sein, die die Inflationsraten in der Euro-Zone prägen. So haben Inflationsschocks einen ähnlichen Verlauf der Inflationsraten verursacht. Das heißt: Bedeutende Inflation- und Deflationstreiber in einzelnen Ländern waren in den letzten Jahren vor allem die Folge von systematischen und nicht-länderspeziellen Entwicklungen. Hierzu gehören zum Beispiel die Entwicklung der Rohstoffpreise und des Euro-Devisenkurses. Aber auch die Notenbankpolitik zählt dazu. Schließlich hebt die Flut alle Boote – ein Fluten der Märkte und Volkswirtschaften mit Liquidität und eine durch die Notenbank finanzierte expansive Fiskalpolitik sorgen in allen Ländern der Euro-Zone für Inflationsdruck. Somit ist auch zu vermuten, dass der Einfluss der Rohstoffpreise auf die Inflation durch die unterstützende Geldpolitik vergrößert wurde und so den Gleichlauf der länderspezifischen Inflationsraten verursacht hat. Dies hat wiederum zu größeren Amplituden bei der Euro-Inflation geführt.

Mit Hilfe des statistischen Verfahrens der Hauptkomponentenzerlegung können viele Variablen zu wenigen Hauptkomponenten zusammengefasst werden. So lassen sich statistisch gemeinsame Treiber für die unterschiedlichen Inflationsraten der Euro-Zone ermitteln. Ist die Anzahl dieser voneinander unabhängigen Treiber um einiges geringer als die Anzahl der analysierten Inflationsraten, deutet dies auf eine starke Gemeinsamkeit bzw. einen Gleichlauf der Inflationsraten hin.  

Um für die Periode 2000 bis 2007 rund 80 % der Bewegungen in der Inflationsrate der elf größten Euro-Länder erklären zu können, bedarf es gemäß der Hauptkomponentenzerlegung vier Treiber. Anders ausgedrückt: Um die einzelnen Inflationsraten der Euro-Länder durch systemische Einflüsse ausreichend zu beschreiben, werden statistisch betrachtet mindestens vier unterliegende und unabhängige Gründe benötigt. Die Inflationsraten der Euro-Länder vor 2007 entwickelten sich also eher individuell. 

Seit 2007 ergib sich ein deutlich anderes Bild: Allein der bedeutendste gemeinsame Bestimmungsfaktor erklärt laut Hauptkomponentenzerlegung statistisch fast 80 % der Bewegungen in den Inflationsraten. Dies geht einher mit einem außerordentlich starken und systemischen Gleichlauf.

Doch was ist dieser Treiber? Was hat die Inflationsraten in der Euro-Zone so homogen gemacht? Rohstoffpreise und der Euro-US-Dollar-Kurs sind systematische Faktoren, die alle Länder beeinflussen. Wertet der Euro-Kurs ab, führt dies zu importiertem Preisdruck in allen Euro-Ländern. Doch dies war auch schon vor 2007 der Fall. Empirische Analysen deuten jedoch daraufhin, dass seit 2007 Einfuhrpreise über 50 % des dominierenden gemeinsamen Treibers aller Inflationsraten erklären. Importpreise werden wiederum durch Rohstoffpreise maßgeblich bestimmt und diese zeigen seit 2007 eine sichtbar höhere Volatilität – wie die Inflationsrate der Euro-Zone. So haben große Schwankungen der Rohstoffpreise maßgeblich dazu beigetragen, dass die Inflationsraten der Euro-Länder einen starken Gleichlauf aufweisen und die Inflationsrate der Euro-Zone eher instabil geworden ist. Diese Entwicklung wurde durch eine außerordentlich expansive Geld- und Fiskalpolitik verstärkt, die den Preisschocks weiteren Auftrieb gegeben haben, auch und gerade aktuell. Schließlich war der Rohstoffpreisanstieg im Jahr 2021 weniger stark als in den Jahren 2008 oder 2010 bis 2014.

Einschätzung: Risiken von Zweitrundeneffekten steigen, gerade wegen der Ukrainekrise   

Rohstoffpreise und Geldpolitik haben in den letzten 15 Jahren entscheidend dazu beigetragen, dass die Inflationsraten der Euro-Länder synchroner verliefen als in den ersten fünf Jahren nach Euro-Einführung. Ein starker Gleichlauf in den Euro-Ländern macht die Inflationsrate der Euro-Zone zu einem relevanten Anker für alle Euro-Länder – und damit auch für die Geldpolitik. Das führt deshalb zu keinem Konflikt zwischen den Euro-Ländern, wie es womöglich bei unterschiedlichen Inflationsdynamiken möglich wäre.

In Kombination mit der expansiven Geldpolitik seit der Finanzkrise haben die Rohstoffpreise aber auch zu einer spürbar instabileren Inflationsrate geführt. So bestätigt die Inflationsdynamik seit 2007 eine eher passive Geldpolitik. Die Inflationsdynamik lässt aber auch vermuten, dass Inflationsschocks immer weniger als temporär angesehen werden können. Deshalb besteht ein zunehmendes Risiko für Zweitrundeneffekte. Der Ukraine-Konflikt erhöht das Inflationsrisiko zusätzlich, da Preisschocks durch Sanktionen und Gegenmaßnahmen länger anhaltende Folgen zeigen – gerade im aktuellen Umfeld einer bereits hohen Inflationsrate. Dies gilt vor allem auch deshalb, weil die erwartete geldpolitische Wende kaum einen abkühlenden Einfluss auf die Wirtschaft und damit auf die Inflation haben sollte – selbst bei einer Beendigung der Krisenpolitik im Verlauf des Jahres 2022. Schließlich erwartet aktuell niemand positive reale Zinsen.

Um das Inflationsziel der Euro-Zone als relevanten Anker für Inflationserwartungen zu sichern, muss die EZB die Inflationsdynamik der letzten 15 Jahre verändern und ihre geldpolitische Strategie ändern. Das heißt, sie muss auf Inflationsschocks stärker reagieren, als sie es bis jetzt getan hat, um die hohe Volatilität und Instabilität der Inflationsrate zu brechen. Das Fokussieren auf die mittelfristige Inflationsrate, um Zeit zu gewinnen, erhöht das Inflationsrisiko und damit die Gefahr einer am Ende deutlich strengeren geldpolitische Ausrichtung – wenn das Inflationsziel von 2 % erreicht werden soll. Angesichts der Dynamiken der europäischen Inflationsrate ist die EZB deshalb gut beraten, den aktuellen Inflationsdruck nicht als einen weiteren temporären Schock zu banalisieren. Gegensteuern und nicht aussitzen muss das Motto sein – gerade, wenn die EZB ein langfristiges Inflationsziel verfolgt.

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