[Kapitalmarkt-News vom 27. Juli 2020]
Fazit: Das ifo Geschäftsklima hat sich im Juli erneut klar aufgehellt, und die Stimmungsverbesserung ist breit aufgestellt. Sie zeigt sich in allen Wirtschaftssektoren. Der Tiefpunkt der Krise scheint zunehmend durchschritten und die Unternehmen hoffen auf eine Belebung der Nachfrage.
In den deutschen Schlüsselbranchen Maschinenbau, Metall- und Automobilindustrie sind die Unternehmen allerdings im historischen Vergleich nach wie vor relativ schlecht gestimmt, zumal bereits das Jahr 2019 nicht gut lief.
Die Coronakrise wird eine neue Normalität bringen und kann ein Beschleuniger für den bereits begonnenen Strukturwandel und die Digitalisierung werden. Unternehmen sollten sich auf die neuen Bedingungen einstellen und nicht nur darauf hoffen, dass sich die Nachfrage von allein wiederbelebt – dies gilt insbesondere für die genannten Schlüsselbranchen der deutschen Wirtschaft.
Klare Stimmungsaufhellung
Das ifo Geschäftsklima hat sich im Juli erneut klar aufgehellt und liegt nur noch 5 Punkte unter seinem Vorkrisenniveau vom Februar 2020. Der Teilindex der Geschäftserwartungen hat sogar seinen Februar-Wert überschritten; bezogen auf den Ausblick scheint sich zumindest eine V-förmige Erholung abzuzeichnen. Lediglich die aktuelle Lage wird noch deutlich schlechter als zu Anfang des Jahres beurteilt, hat sich aber ebenfalls im Vergleich zu den Vormonaten aufgehellt.
Die Stimmungsverbesserung zeigt sich in allen Wirtschaftssektoren. Bei den Dienstleistungen ist der Index sogar bereits wieder im positiven Bereich angekommen.
„Vorzeigebranchen“ der Industrie stehen vor enormen Herausforderungen
Die aktuelle Stimmungslage hat sich zwar in der Industrie weiter aufgehellt, dennoch wird das Geschäftsklima von der Mehrzahl der Unternehmen weiterhin als schlecht beurteilt. Dabei fällt die Einschätzung in deutschen Schlüsselbranchen wie Automobilindustrie und Maschinenbau besonders ungünstig aus. Am kritischsten beurteilen aktuell die Metallererzeuger die Lage. Alle drei Branchen sind stark exportabhängig und hatten schon vor der Krise Probleme bzw. steckten in der Krise.
So hat die Pandemie deutliche Spuren in der Metallerzeugung hinterlassen. Internationale Handelskonflikte, schwächelnde Exporte und Konkurrenz durch billigen Stahl aus Fernost sowie die Schwäche der Automobilindustrie machten den Metallerzeugern schon in den vergangenen Jahren zu schaffen. Zudem steht die energieintensive Branche vor einem gewaltigen Umbruch, denn um die Klimaziele zu erreichen, sind große Investitionen in neue CO2-ärmere Herstellungsverfahren nötig. Der Ausbruch der Pandemie im Frühjahr 2020 traf die Branche daher zusätzlich hart.
Ähnliches gilt für die Automobilbranche – auch sie war schon seit Jahren infolge der anhaltenden Dieselkrise, der Probleme bei der Einführung des neuen Abgasprüfstandards WLTP sowie schwächelnder Exportmärkte angegriffen. Zudem ist ungewiss, wie die Kfz-Nachfrage nach Corona aussehen wird. Wie stark die Automobilindustrie letztendlich von der Coronakrise betroffen sein wird, hängt davon ab, ob die Kunden ihren Konsum zügig nachholen werden, wie es anscheinend in China der Fall ist, oder ob sie größere Anschaffungen wie einen Automobilkauf zunächst zurückstellen werden.
Erschwerend kommt hinzu, dass die Coronakrise in eine Zeit des Umbruchs in der Autoindustrie fällt. So halten Herausforderungen wie die Digitalisierung der Fertigung, Elektromobilität, autonomes und vernetztes Fahren sowie neue Mobilitätsangebote die Branche seit einigen Jahren in Atem und stellen sie vor fundamentale Veränderungen. Viele Unternehmen, allen voran kleinere Zulieferunternehmen, stehen unter enormem Kostendruck. Teilweise kann eine Chance darin liegen, die erzwungene Ruhepause zu nutzen, um die Effizienz von Produktion und Lieferketten zu überdenken oder den für die Megatrends nötigen Umbau voranzubringen.
Der Maschinenbau war ebenfalls schon zuvor belastet: Die internationalen Handelskonflikte haben den weltweiten Warenaustausch und die globale Investitionstätigkeit beeinträchtigt, was den exportorientierten deutschen Maschinenbau stark getroffen hat. Nachdem sich zum vergangenen Jahreswechsel eine leichte Erholung der Geschäftsentwicklung angedeutet hatte, ist diese im März und April 2020 infolge der Coronakrise drastisch eingebrochen. Eine anhaltende weltweite Investitionszurückhaltung würde den Maschinenbau erneut schwer treffen. Immerhin bieten sich Herstellern von Maschinen und Anlagen für die Produktion von medizinischen Geräten und Ausrüstungen neue Opportunitäten. Als Antwort auf Engpässe hat die Bundesregierung beschlossen, die Produktion von medizinischen Geräten und Ausrüstungen in Deutschland zu fördern.
Einschätzung
Neben der eher kurzfristigen konjunkturellen Dimension der Pandemie sollte nun auch die Frage nach den langfristigen Effekten gestellt werden. So dürfte die Digitalisierung der Volkswirtschaften infolge der Pandemie einen zusätzlichen und dauerhaften Schub erleben. Dabei haben Unternehmen und private Haushalte bereits in technische Ausrüstungen investiert, um die Einschränkungen beim Arbeitseinsatz infolge des Shutdowns zu kompensieren. Zudem hat die Krise auch große Potenziale für eine Digitalisierung offengelegt – etwa bei Bildung und öffentlichen Verwaltungen –, die angegangen werden sollten. Keine Frage – der begonnene Strukturwandel wird durch die Coronakrise beschleunigt, und der pandemiebedingte Technologieschub kann eine Verstärkung erfahren, insbesondere, wenn nun auch von staatlicher Seite die entsprechende Infrastruktur zur Verfügung gestellt wird.
Zudem dürfte die Industrie Lieferketten und Produktionsprozesse auf den Prüfstand stellen und die Vorteile der bisherigen Spezialisierung mit denen einer Restrukturierung und Risikodiversifizierung gegenüberstellen. Unternehmen sollten die Zeit nutzen, um den nötigen Umbau voranzutreiben und nicht nur auf die Belebung der Nachfrage hoffen.
Kurzfristig ist eine Nachfragebelebung ohne Frage wichtig für die Unternehmen, und Deutschland ist als offene Volkswirtschaft auch angewiesen auf eine Erholung der Auslandsmärkte. Grundsätzlich sollte das Vertrauen in den Industriestandort Deutschland wieder zurückkehren, was auch das ifo Geschäftsklima signalisiert. Die Politik ist gefragt, dafür wachstumsorientierte Rahmenbedingungen zu schaffen.
Dr. Klaus Bauknecht ist als Chefvolkswirt der IKB Deutsche Industriebank AG verantwortlich für die volkswirtschaftlichen Analysen, Prognosen und Einschätzungen der Bank. Er schreibt zu aktuellen und übergeordneten Konjunktur-, Volkswirtschafts- und Marktthemen. Zudem kommentiert er regelmäßig konjunkturelle Entwicklungen in renommierten Wirtschaftsmedien und ist mit seinen pointierten Präsentationen häufiger Gast bei Verbänden und Unternehmen. Zuvor arbeitete Klaus Bauknecht in verschiedenen leitenden Positionen anderer Banken und im südafrikanischen Finanzministerium.
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