[Kapitalmarkt-News vom 24. Juni 2020]
Fazit: Anträge auf Kurzarbeit haben ein nie dagewesenes Niveau von über 8 Mio. Beschäftigten erreicht. Nun besteht die Gefahr, dass diese Anträge nicht nur zunehmend ausgeschöpft werden, sondern dass Teile dieses gigantischen Potenzials von Personen mittelfristig in die Arbeitslosigkeit geraten. IKB-Schätzungen deuten allerdings aktuell auf einen Beschäftigtenüberschuss (Unternehmen halten mehr Beschäftigte, als wirtschaftlich erforderlich sind) in Folge der Coronakrise von „nur“ rund 3,5 Mio. Menschen hin. Bei einer Rückkehr zum Vorkrisen-BIP-Niveau Ende 2021 bzw. Anfang 2022 kann dieser Überschuss – wie auch in der Finanzkrise erfolgt – über die nächsten fünf bis sechs Quartale abgebaut werden, ohne dass es zu einem nachhaltigen und bedeutenden Anstieg der Arbeitslosenquote kommt. Die heutige erneute Aufhellung des ifo Geschäftsklimas gibt zwar nur einen kurzfristigen positiven Ausblick für den weiteren Konjunkturverlauf. Es ist allerdings ein wichtiges, wenn auch nicht ausreichendes Indiz.
Aktuelle Kurzarbeit– trotz erschreckender Zahlen keine Krise?
Die Zahl der Anträge auf Kurzarbeit lag im April bei über 8 Mio. und betraf damit 18 % der gesamten Erwerbstätigen. In der Finanzkrise waren es „gerade mal“ rund 670.000 bzw. 1,6 %. Die aktuellen Anträge stellen demnach eine nie dagewesene Größe dar. Wie ist das zu bewerten? Wie hoch ist das Risiko, dass die von der Kurzarbeit betroffenen Menschen arbeitslos werden? Und in welchem Umfang werden die Anträge tatsächlich umgesetzt?
Die Kurzarbeiterregelung hat verhindert, dass die Arbeitslosenquote in Deutschland in Folge der Coronakrise drastisch angestiegen ist, was in den USA der Fall war. Die Regelung verhindert auch, dass Unternehmen nach dem Einbruch Arbeitskräfte auf dem Arbeitsmarkt suchen müssen, was ein relativ schnelles Wiederhochfahren der Wirtschaft nach der Krise verhindern könnte. Doch was ist, wenn die Wirtschaft infolge einer anhaltend schwachen globalen sowie lokalen Nachfrage die Produktion kurzfristig nicht bedeutend ausweiten kann? Die Finanz- und die Eurokrise haben sich in der Arbeitslosenquote kaum bemerkbar gemacht, obwohl das Verarbeitende Gewerbe fast drei Jahre brauchte, um wieder das Vorkrisenniveau zu erreichen. Auch das deutsche BIP benötigte über zwei Jahre, um das alte Niveau zu erreichen. Allerdings erreichte die Kurzarbeit damals nur einen Bruchteil des aktuellen Ausmaßes. Wie hoch ist also derzeit das Risiko, dass sehr viele Beschäftigte aus der Kurzarbeit in die Arbeitslosigkeit geraten?
Nach IKB-Schätzungen lag der Überschuss an Beschäftigten zum Höhepunkt der Finanzkrise bei rund 1,2 Mio. Personen. Aktuell liegt die Überbeschäftigung nach IKB-Schätzungen bei rund 3,5 Mio. Personen. Unter der Annahme einer Erholung im dritten Quartal 2020 sowie bei einem BIP-Wachstum von 4,5 % im Jahr 2021 wäre dieser Überschuss Ende des Jahres 2021 bzw. Anfang des Jahres 2022 wieder abgebaut. Nach der Finanzkrise war die Überschussbeschäftigung nach gut einem Jahr wieder vorbei, auch wenn das BIP-Niveau etwas länger brauchte, um wieder das Vorkrisenniveau zu erreichen. Im skizzierten Szenario wäre also mit keinem systematischen Anstieg der Arbeitslosenquote zu rechnen. Anders ausgedrückt: Bestätigen sich die aktuellen BIP-Wachstumsprognosen von mindestens 4 % im Jahr 2021, bleibt die Ausweitung der Arbeitslosenquote eher temporär und die Überbeschäftigung wird, wie in der Finanzkrise, in den nächsten zwölf Monaten abgebaut werden können. Ein schwächeres BIP-Wachstum hingegen – zum Beispiel in Folge einer zweiten Corona-Infektionswelle – würde zu einem unausweichlichen Anstieg der Anträge auf Kurzarbeit und damit auch zu einer höheren Arbeitslosenquote führen.
In der Finanzkrise lag der geschätzte Überschuss an Beschäftigten deutlich über der Anzahl der Anträge auf Kurzarbeit. Viele Unternehmen agierten damals eher zögerlich, Anträge zu stellen. Dieses Mal ist es anders. Die meisten Unternehmen scheinen diesbezüglich deutlich aktiver zu sein. Die tatsächliche Zahl der Kurzarbeiter sollte demnach deutlich unter der Summe der 8 Mio. Anträge liegen, vorausgesetzt, die wirtschaftliche Erholung setzt wie erwartet im dritten Quartal ein. Im März 2020 gab es zum Beispiel 2,6 Mio. Anträge und gemäß einer ersten Schätzung der Arbeitsagentur „nur“ 2,02 Mio. Beschäftigte, die tatsächlich kurzarbeiteten. Auch die aktuelle Zahl von rund 8 Mio. Anträgen ist also eher als Potenzial, denn als tatsächliche Anzahl von Beschäftigten in Kurzarbeit zu betrachten. Frühindikatoren wie der Einkaufsmanagerindex und das ifo Geschäftsklimaindex attestieren der Konjunktur zudem zunehmende Aufholdynamiken im dritten Quartal, was zu einer Entspannung auf dem Arbeitsmarkt führen sollte.
Allgemeine Stimmungsaufhellung im Juni – mehr aber auch nicht
Die Stimmungsindikatoren sind im Juni 2020 weltweit auf Erholungskurs. Auch Echtzeitdaten wie Frachtflüge, Containerumschlag und Exportaufträge signalisieren einen Aufwärtstrend für den globalen Handel. Der Einkaufsmanagerindex für die Euro-Zone hat sich im Juni deutlich um 15,6 auf 47,5 Punkte verbessert. In Deutschland stieg der Indikator um 13,5 auf 45,8 Punkte. In Frankreich, das allerdings stärker als Deutschland von der Coronakrise getroffen wurde und umfangreichere Lockdown-Maßnahmen durchsetzte, erholte sich der PMI noch deutlicher um 19,2 auf 51,3 Zähler. Damit liegt der französische Index über der Expansionsschwelle von 50 Punkten.
Das ifo Geschäftsklima, der bedeutendste Stimmungsindikator für die deutsche Wirtschaft, hat sich nach dem tiefen Einbruch im April ebenfalls klar erholt und fiel etwas besser aus, als die Konsensmeinung erwartete hatte. Der Index stieg um 6,5 auf 86,2 Punkte. Nicht überraschend, haben sich die Geschäftsperspektiven für die nächsten sechs Monate besonders deutlich aufgehellt. Der Index stieg um fast 11 auf 91,4 Zähler. Zudem wurde die aktuelle Lage erstmals seit Ausbruch der Krise besser als im Vormonat beurteilt. Dieser Indikator kletterte um 2,4 auf 81,3 Zähler. Die Belebung ist dabei breit aufgestellt. In allen Wirtschaftszweigen hellte sich die Stimmung wieder auf.
Die gute Nachricht ist also, dass die Talsohle durchschritten scheint. Ein guter Teil des konjunkturellen Absturzes in den Monaten März und April 2020 konnte wieder aufgefangen werden – mehr aber auch nicht. Die aktuellen Stimmungsindikatoren signalisieren eine wirtschaftliche Belebung im dritten Quartal 2020. Sie sollten aber nicht darüber hinwegtäuschen: Bezüglich der wirtschaftlichen Erholung und der Folgen für den deutschen Arbeitsmarkt besteht weiterhin viel Unsicherheit.
Dr. Klaus Bauknecht ist als Chefvolkswirt der IKB Deutsche Industriebank AG verantwortlich für die volkswirtschaftlichen Analysen, Prognosen und Einschätzungen der Bank. Er schreibt zu aktuellen und übergeordneten Konjunktur-, Volkswirtschafts- und Marktthemen. Zudem kommentiert er regelmäßig konjunkturelle Entwicklungen in renommierten Wirtschaftsmedien und ist mit seinen pointierten Präsentationen häufiger Gast bei Verbänden und Unternehmen. Zuvor arbeitete Klaus Bauknecht in verschiedenen leitenden Positionen anderer Banken und im südafrikanischen Finanzministerium.
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