[Kapitalmarkt-News vom 24. Juni 2022]
Fazit: Die Eintrübung deutscher Stimmungsindikatoren wie das ifo Geschäftsklima ist nicht überraschend und sollte sich fortsetzen. Zudem ist diese Entwicklung notwendig, um den Inflationsdruck zu dämpfen. Kurzfristig wird sich die Situation auch kaum verbessern. Entweder weil Angebotsschocks durch Lieferengpässe oder Rohstoffmangel belasten, oder weil die Notenbank an der Zinsschraube dreht. Deshalb sind die jüngsten Stimmungsindikatoren aus geldpolitischer Sicht positiv, weil sie signalisieren: Der notwendige Anpassungsprozess hin zu einer niedrigeren Inflation ist gestartet.
Für Unternehmen ist die Herausforderung allerdings groß: Infolge einer sich abschwächenden Nachfrage verstärkt sich auch der Margendruck. Die IKB hat ihre BIP-Prognose für Deutschland abwärts revidiert und erwartet nun ein Wachstum von rd. 1,5 % im laufenden Jahr; das Prognoserisiko ist angesichts der geopolitischen Unsicherheiten weiterhin nach unten gerichtet.
Stimmung trübt sich ein
Die Stimmung in der deutschen Wirtschaft trübt sich wieder ein. Dies gilt vor allem für die Industrie. Ihr Ausblick wird nicht nur von steigenden Rohstoffpreisen und Versorgungsknappheit, vor allem bei Gas, belastet, auch die Nachfrage ist zunehmend rückläufig. Insgesamt bewerten die Unternehmen ihre aktuelle Lage zwar nur etwas schlechter als im Vormonat; der entsprechende Teilindex des ifo Geschäftsklimas sank um 0,3 auf 99,3 Punkte. Aber die Geschäftserwartungen haben sich erneut deutlich eingetrübt. Der Index sank um 1,1 auf 85,8 Punkte. Der Blick in die Zukunft wird also noch skeptischer. Insbesondere die Chemische Industrie ist alarmiert.
Lohnanstiege in Deutschland: Aufgeschoben ist nicht aufgehoben
Reale Einkommensverluste infolge der aktuell hohen Inflation belasten die Kaufkraft und dämpfen die Nachfrage; dies wird durch die Normalisierung des Konsums infolge der Corona-Pandemie und den damit einhergehenden Nachfragerückgang nach produzierten Gütern noch verstärkt. In der Folge ist zunehmender Margendruck zu erwarten bzw. bereits ersichtlich. Auch bleibt der Fachkräftemangel ein Thema. Denn vor allem in den USA verharrt die Erwerbsquote auf einem deutlich niedrigeren Niveau als noch vor Ausbruch der Corona-Pandemie. Doch auch am Standort Deutschland ist von zunehmendem Lohndruck auszugehen. Zwar halten sich die Tariflohnerhöhungen aktuell aufgrund von Einmalzahlungen noch in Grenzen. Bei einer Inflationsrate im Jahr 2022 von über 7 % und einem spürbaren realen Einkommensverlust ist jedoch von weiterem Tariflohndruck auszugehen – vor allem auch im nächsten Jahr, insbesondere, wenn es nicht zu einem absoluten Preisrückgang bei wichtigen Rohstoffen kommt.
Zunehmend herauforderndes Umfeld für Unternehmen
Eine lokale sowie globale Konjunktureintrübung ist notwendig, um den Inflationsdruck zu dämpfen. Denn für eine niedrigere Inflation im Jahr 2023 sind Anpassungsprozesse in Form von Lohnmoderation und Margendruck bei Unternehmen notwendig. So geht der Weg hin zu einer niedrigeren Inflationsrate nur über eine sich eintrübende Konjunktur, die aktuell von den Notenbanken aktiv angesteuert wird. Dies gilt vor allem im aktuellen Umfeld, bei dem sinkende Rohstoffpreise und damit eine Umwälzung des Anpassungsprozesses auf das Ausland nicht möglich bzw. kurzfristig nicht zu erwarten sind. Weltweit sehen sich deshalb Notenbanken gezwungen, Zinsen anzuheben, um die Konjunktur abzuschwächen und die Kosten des Anpassungsprozesses hin zu einer niedrigeren Inflation auf Arbeitnehmer und -geber umzulenken. Deshalb befinden sich Unternehmen aktuell in einem herausfordernden Umfeld: eine sich abkühlende Nachfrage, Kostendruck sowie steigende Zinsen. Eine Entlastung wäre perspektivisch nur durch absolut sinkende Rohstoffpreise möglich, die auch Raum für eine Erholung des privaten Einkommens erlauben würden. Doch auch hierfür wird eine globale Konjunktureintrübung notwendig sein. Zwei Lichtblicke gibt es aber dennoch – zumindest über 2022 hinaus. Zum einen wird der reale Einkommensverlust der Haushalte die Erwerbsquote ansteigen lassen. Denn für den Erhalt des Lebensstandards muss mehr gearbeitet werden. Zweitens wird der Margendruck zunehmend für Produktivitätswachstum sorgen, vor allem im Produzierenden Gewerbe. Beides stützt das Potenzialwachstum am Industriestandort Deutschland. Der Weg dahin muss allerdings erst noch beschritten werden und wird in den kommenden Monaten bzw. Quartalen für ein herausforderndes Konjunkturumfeld für Unternehmen sorgen (siehe auch IKB-Kapitalmarkt-News 20. Juni 2022).
Einschätzung: Angesichts der aktuellen Rahmenbedingungen wie die zu erwartende Konjunktureintrübung, Margendruck und steigende Zinsen ist es nicht überraschend, dass die Stimmung der Unternehmen nicht die beste ist. Ein Grund, warum sie nicht schlechter ist, sind sicherlich die noch guten Auftragspolster. Das Blatt sollte sich aber in den kommenden Monaten spürbar wenden. Hinzu kommen hohe Unsicherheiten über die kurz- und selbst mittelfristige Versorgungslage bei wichtigen Energierohstoffen sowie Rohstoffen grundsätzlich. Bei einem sinkenden bzw. kaum wachsenden Angebot muss die Nachfrage nachlassen, damit das Gleichgewicht wieder hergestellt wird. Dies wird wahrscheinlich durch Lohnmoderation, aber sicherlich auch durch Margendruck infolge spürbar steigender Zinsen geschehen.
Dr. Klaus Bauknecht ist als Chefvolkswirt der IKB Deutsche Industriebank AG verantwortlich für die volkswirtschaftlichen Analysen, Prognosen und Einschätzungen der Bank. Er schreibt zu aktuellen und übergeordneten Konjunktur-, Volkswirtschafts- und Marktthemen. Zudem kommentiert er regelmäßig konjunkturelle Entwicklungen in renommierten Wirtschaftsmedien und ist mit seinen pointierten Präsentationen häufiger Gast bei Verbänden und Unternehmen. Zuvor arbeitete Klaus Bauknecht in verschiedenen leitenden Positionen anderer Banken und im südafrikanischen Finanzministerium.
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