[Kapitalmarkt-News vom 8. Oktober 2019]
Fehlende staatliche Autonomie über Unternehmenssteuern?
Aufgrund der Liberalisierung der Finanzmärkte während der letzten Jahrzehnte kann sich Vermögen relativ frei bewegen: Ob es sich um ausländische Direktinvestitionen (FDI) oder Finanzinvestitionen handelt, die Suche von Unternehmen sowie Finanzinvestoren nach Rendite führte infolge des weltweiten Abbaus von Kapitalkontrollen zu einer Globalisierung von Investitionsentscheidungen. Dies hat viele Länder dazu gezwungen, ihre Wirtschaft international auszurichten, was niedrigere Zölle, Investitionen in die Infrastruktur, Reduzierung von bürokratischen Hürden und auch oftmals einen Machtverlust von Gewerkschaften mit sich brachte. Auch die Steuerpolitik wurde ein wichtiges Instrument zur Verbesserung der Standorteinschätzung, vor allem im Hinblick auf realwirtschaftliche Investitionsentscheidungen.
Durch den zunehmenden internationalen Wettbewerb um Investitionen scheint sich der Einfluss des Staates auf die Besteuerung von Unternehmensgewinnen zu reduzieren. So wird eine Steuersenkung durch ein einzelnes Land oftmals als unfairer Wettbewerb gesehen, der zu ähnlichen Reaktionen anderer Länder führt und zu einem „race to the bottom“ der länderspezifischen Unternehmenssteuern führen kann. Dieser Wettbewerbsdruck ist im historischen Vergleich der Unternehmenssteuer erkennbar. In den meisten OECD-Ländern ist sie in den letzten Jahrzehnten deutlich gesunken. Konsum- und persönliche Einkommensteuern hingegen werden von der Globalisierung weniger beeinflusst. So ist der Staat oftmals gezwungen, fehlende Einnahmen in Folge einer durch den globalen Wettbewerb induzierten Senkung der Unternehmenssteuer aus diesen Steuerquellen zu finanzieren. Das ist sicherlich auch ein Grund, warum gerade die Konsum- oder Mehrwertsteuer als Einnahmequelle tendenziell an Bedeutung gewonnen haben.
Die Vermeidung eines Steuerwettbewerbs lässt sich weniger zwischen Staaten vereinbaren. Solche Abkommen sind zum einen selten effektiv und zum anderen reduzieren sie den Handlungsspielraum der Staaten weiter und bestätigen die Kritik, die Staaten hätten aufgrund der Globalisierung ihren Handlungsspielraum verloren und seien zum Spielball globaler Märkte geworden. Doch eher ist das Gegenteil der Fall. Denn ein internationaler Steuerwettbewerb zwingt den Staat, andere Wettbewerb- bzw. Standortvorteile zu entwickeln. Ist der Staat zum Beispiel erfolgreich, einer höheren Unternehmenssteuer durch eine effizientere Anwendung der Ausgaben in Infrastruktur und Bildung entgegen zu wirken, kann sich der Handlungsspielraum der Steuerpolitik sogar erhöhen. Denn der Wettbewerbsverlust durch eine höhere Steuerquote wird durch Verbesserungen anderer Wettbewerbsfaktoren ausgeglichen, was dem Staat Handlungsspielraum in der Steuerpolitik erschließt. Zur Beurteilung von Wettbewerbsverlusten in Folge eines Anstiegs der allgemeinen bzw. Gewinnsteuerlast muss demnach die Effizienz des Staates ebenso wie die Nutzung der höheren Steuereinnahmen berücksichtigt werden. So mag zwar eine höhere Unternehmenssteuer isoliert betrachtet einen Wettbewerbsnachteil bedeuten. Entscheidend ist jedoch, wie effizient und produktiv höhere Steuern zur Förderung anderer wettbewerbsbestimmender Faktoren genutzt werden.
Nicht die Schuldenquote, sondern die Steuerlast sollte im Fokus stehen
Trotz hohen Wirtschaftswachstums und sinkender Zinsen ist die effektive Steuerlast in Deutschland vor allem in den letzten Jahren angestiegen. Ausgabensenkungen, insbesondere infolge von geringeren Zinszahlungen, haben nicht zu einer niedrigeren Steuerlast geführt, sondern zum beschleunigten Abbau der Schuldenquote. Dabei wirkt sich eine höhere Steuerlast negativer auf das Wirtschaftswachstum aus, als ein relativ hohes Haushaltsdefizit des Staates. Dies gilt vor allem in einem Niedrigzinsumfeld. Denn die Besorgnis ein höheres Defizit treibe die Zinsen nach oben und bringe Verdrängungseffekte bei Investitionen mit sich, ist unbegründet. Die Staatsschuldenquoten sind über Jahre deutlich angestiegen, während die Zinsen gefallen sind. Ein Verdrängungseffekt existiert nicht, weil die Geldmenge nicht begrenzt ist, sodass ein stärkerer staatlicher Konsum nicht zwangsläufig das für Investitionen zur Verfügung stehende Kapital reduziert. Schließlich wird die Geldmenge durch die Kreditnachfrage bzw. die Notenbank bestimmt. Gerade angesichts niedriger Zinsen sollte die Steuerlast reduziert und durch Mittelaufnahme des Staates am Kapitalmarkt gegenfinanziert werden, um Wachstumsimpulse zu liefern. Die Belastung der Realwirtschaft durch Steuern sollte dann durch die großzügige Bereitstellung von Geld durch den Kapitalmarkt reduziert werden.
Eine Senkung der allgemeinen Steuerlast und insbesondere der Unternehmensteuer hat einen positiven Einfluss auf das Wirtschaftswachstum. Dies bestätigt eine große Anzahl von Studien. Ein größeres staatliches Haushaltsdefizit hat hingegen keinen bedeutenden negativen Einfluss – solange die Schuldentragfähigkeit gegeben ist. Dies ist aufgrund der niedrigen bzw. negativen Zinsen in Deutschland der Fall. Eine Umschichtung der Zinsersparnisse vom Defizit zu einer niedrigeren Steuerlast hat somit klar positive Wachstumsimpulse und stärkt die Wettbewerbsfähigkeit des Standorts Deutschland. Dies gilt vor allem, weil Zinsersparnisse nicht für Investitionen genutzt werden, die Wettbewerbsnachteilen aus einer höheren Steuerlast effektiv entgegenwirken könnten. Nicht die schwarze Null muss im Fokus der Politik stehen, sondern die Effizienz des Staates bzw. eine möglichst geringe Steuerquote.
Eine IKB-Analyse bestätigt eine positive Beziehung zwischen der Reduzierung der allgemeinen Steuerlast und dem BIP-Wachstum bei 15 OECD-Ländern. Dabei unterscheidet sich die Effizienz des deutschen Staats nicht bedeutend von der anderer OECD-Länder. Denn es gibt keine bedeutenden Unterschiede im Ausmaß des Einflusses der Steuerquote auf das BIP-Wachstum bei den untersuchten Ländern. So kann nicht argumentiert werden, dass der Nachteil einer relativ hohen Steuerlast in Deutschland durch eine effizientere Verwendung der Ausgaben teilweise kompensiert wird. Dies bestärkt das Argument, die Abkehr von der schwarzen Null sei durch Senkung der Steuerlast zu erfolgen und nicht durch höhere Ausgaben.
Effizienz der Staatsausgaben durch mehr öffentlichen Wohnungsbau steigern
Die Zinszahlungen des deutschen Staates sind infolge sinkender Renditen deutlich zurückgegangen. Der Staat hat im Jahr 2018 rund 35 Mrd. € weniger Zinsen gezahlt als dies vor der Finanzkrise (2007) der Fall war. Insgesamt ist die Zinslast um 1,8 Prozentpunkte von 2,7 % des BIP im Jahr 2007 auf 0,9 % im Jahr 2018 gesunken. Dieser Rückgang ist ein Mitnahmeeffekt, der aus der Geldpolitik resultiert, und er stellt eine bedeutende Umverteilung vom Privatsektor an den Staat dar. Außerdem ist bei einer effektiven Zinsrate von um oder unter 0 % selbst bei moderatem Wachstum eine Senkung der Schuldenquote trotz eines Primärdefizits erreichbar. Die Schuldenquote würde nur langsamer sinken. Dies stellt allerdings bei einem anhaltend niedrigen Zinsniveau keine Herausforderung für die Zukunft dar. Im Gegenteil: Durch die Stützung der Wirtschaft in Form einer sinkenden Steuerquote bzw. eines effizienteren Staates wird der Wettbewerbsstandort und damit auch das langfristige Wachstumspotenzial gestärkt, was die Schuldenquote nachhaltig sinken lässt.
Investitionen machen nur rund 5 % der Staatsausgaben aus, während soziale Transferzahlungen und Sachleistungen sich auf über 50 % belaufen. In diesem Umfeld wird der staatliche Wohnungsbau vor allem als Instrument der Sozialpolitik gesehen und weniger als Wettbewerbsfaktor für den Standort Deutschland. Dabei entwickelt sich der Wohnraum in einigen Ballungszentren mehr und mehr zu einem Wettbewerbsnachteil, da er die Attraktivität des Standorts Deutschland für Fachkräfte belastet. Auch stellt er zunehmend den gesellschaftlichen Zusammenhalt in den Städten infrage und schürt befremdliche Gedanken wie die Einführung eines durch den Staat durch Behörden bestimmten Mietpreises. Generell haben die gegenwärtig praktizierten Lösungsansätze primär Verteilungseffekte im Fokus, da sie das Problem relativ eng und im sozialen Kontext betrachten – als staatliche Unterstützung der unteren Einkommensschicht. Doch das Thema sollte angesichts der Implikationen für den Wettbewerbsstandort Deutschland deutlich breiter gesehen werden.
Es fehlt an einer breit angelegten Angebotsausweitung von öffentlichem Wohnraum. Eine deutliche Ausweitung von staatlichen Investitionsausgaben für Wohnraum erfordert bei einer Zinskurve, die fast bis zu 30 Jahre im negativen Bereich verharrt, sicherlich keine Steuererhöhungen sondern eine Kapitalmarktfinanzierung. Schließlich ist die Privatwirtschaft bereit, dem Staat nicht nur ausreichend Geld bereitzustellen, sondern dafür auch noch eine freiwillige Gebühr zu zahlen. Somit ist nicht einmal eine positive Rendite aus den Investitionen notwendig, um durch eine Kapitalmarktfinanzierung sogar eine positive Netto-Rendite zu erwirtschaften. Ein negativer Einfluss öffentlichen Wohnungsbaus auf den Staatshaushalt ist damit auszuschließen. Die Zinskurve (10-Jahres-Bundrenditen notieren aktuell bei ca. -0,6 %) schafft viel Raum für subventionierte Mietrenditen.
Fazit: Auch in einer globalisierten und damit im internationalen Wettbewerb stehenden Wirtschaft kann ein Staat das Niveau der Unternehmenssteuer beeinflussen. Allerdings ist eine besonders effektive Ausgabenpolitik erforderlich, um aus hohen Steuern resultierende Wettbewerbsnachteile auszugleichen. Die Ausgabenpolitik Deutschlands unterscheidet sich allerdings nur wenig von der anderer OECD-Länder und sie ist nicht sehr effizient. Damit kann die relativ hohe Steuerlast – im Allgemeinen und für Unternehmen – sehr wohl als Wettbewerbsnachteil für den Standort Deutschland gesehen werden.
Die massiven Zinseinsparungen des Staates schaffen aktuell bei gleichzeitig eher steigender Steuerlast gefährliche Anreize für staatliche Ineffizienz. Um die Vorteile der negativen Zinsen zu nutzen, sollte der Fokus auf wachstumsfördernde Ausgaben liegen. Dazu gehören deutlich höhere staatliche Investitionen in den Wohnungsbau, der sogar bei subventionierten Mieten eine ordentliche Rendite verspricht.
Dr. Klaus Bauknecht ist als Chefvolkswirt der IKB Deutsche Industriebank AG verantwortlich für die volkswirtschaftlichen Analysen, Prognosen und Einschätzungen der Bank. Er schreibt zu aktuellen und übergeordneten Konjunktur-, Volkswirtschafts- und Marktthemen. Zudem kommentiert er regelmäßig konjunkturelle Entwicklungen in renommierten Wirtschaftsmedien und ist mit seinen pointierten Präsentationen häufiger Gast bei Verbänden und Unternehmen. Zuvor arbeitete Klaus Bauknecht in verschiedenen leitenden Positionen anderer Banken und im südafrikanischen Finanzministerium.
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