[Healthcare, Pharma, Chemicals-Information vom 5. November 2020] Hoher Preisdruck und geringe Produktionskosten insbesondere in China und Indien haben zu einer Verlagerung der Produktion generischer Wirkstoffe geführt. Eine kürzlich veröffentlichte Studie zeigt die Dimension dieser Entwicklung.
59 % der Hersteller generischer Arzneistoffe für den europäischen Markt sitzen in Asien
Anfang Oktober 2020 veröffentlichte der deutsche Generika-Verband ProGenerika eine Wirkstoff-Studie. Diese ermittelte die regionale Verteilung der Wirkstoffzertifikate von 565 generischen Active Pharmaceutical Ingredients (API). Ein Wirkstoff kann von mehreren Herstellern produziert werden, sodass es etliche Certificates of Suitability of Monographs of the European Pharmacopoeia (CEP) verschiedener Hersteller zu einem API geben kann.
236 Hersteller (33 %) sitzen in Europa, 421 (59 %) in Asien und 60 (8 %) in der restlichen Welt. Allein auf China entfallen 26 %, während 24 % der Hersteller in Indien sitzen.
Die Studie analysiert auch die Verteilung der Zertifikate auf die Regionen: Nur ein Drittel der CEP für in Europa benötigte API liegen bei europäischen Produzenten, während asiatische Hersteller zwei Drittel besitzen. Indien hält dabei global die höchste Zahl an Zertifizierungen (41 % aller CEP), China besitzt 13 %. Indien vereint somit einen signifikant höheren Anteil der Zertifikate bei fast gleichhoher Anzahl der Hersteller auf sich. Der Anteil Indiens ist zudem in den letzten Jahren massiv gestiegen.
Der Shift nach Asien hat sich in den letzten beiden Jahrzehnten verstärkt
Bereits seit Anfang der 2000er Jahre findet ein Abgang der Zertifikaterechte von Europa nach Asien statt: Während im Jahr 2000 der Anteil asiatischer CEP noch 31 % betrug, ist dieser aktuell auf 63 % angestiegen. Werden lediglich neue CEP betrachtet, beträgt der Anteil Asiens am CEP-Anstieg in den letzten 10 Jahren sogar 70 bis 80 %. Im Jahr 2000 wurden in Asien nur 183 CEP neu vergeben, während sich die Zahl in diesem Jahr mit 2.369 fast verdreizehnfachte. In Europa stieg die Anzahl der Zertifikate im gleichen Zeitraum von 348 auf 1.260, die Anteile der einzelnen Länder sind in den letzten Jahren in etwa gleichgeblieben. In Asien hingegen haben sich insbesondere Indien und China durchgesetzt.
Europäische Generikahersteller können mit den geringen Produktionskosten in Asien nicht mithalten
Die Abhängigkeit von Asien ist bei einzelnen Wirkstoffen besonders stark: 93 der in Europa benötigten CEP-zertifizierten Wirkstoffe werden ausschließlich außerhalb des Kontinents produziert. Bei mehr als der Hälfte der betrachteten Arzneistoffe gibt es nur maximal fünf zertifizierte Hersteller. Die Studie analysiert auch die Gründe für die Verlagerung nach Asien: Zunächst ist der hohe Preisdruck auf dem Generikamarkt zu nennen. Während der Durchschnittpreis pro Tagesdosis für patentgeschützte Arzneimittel im Jahr 2019 bei 4,18 € betrug, lag er für Generika ohne Biosimilars und ohne Berücksichtigung von Rabattverträgen bei 0,17 €, sodass Krankenkassen nach Berücksichtigung von Rabattverträgen einen Durchschnittspreis von nur 0,06 € zahlten. Bei den Ausschreibungen der Krankenkassen gilt der Preis als alleiniges Vergabekriterium; oft werden nur wenige Rabattvertragspartner begünstigt. Diese Exklusivvergaben führen zu einer Verengung des Marktes und bergen das Risiko von Lieferengpässen.
Die niedrigeren Kosten im Nicht-EU-Ausland resultieren aus deutlichen Lohnkostenvorteilen, geringeren Umweltauflagen und niedrigeren Produktionskosten. Ausschlaggebend sind auch die zeitaufwendigen Bewilligungsprozesse in Europa. Durch Subventionierung der lokalen Produktion schuf China darüber hinaus umfangreiche Kapazitäten und ermöglichte Skaleneffekte.
Kritische Wirkstoffe sollen in Zukunft vermehrt in Europa produziert werden
Bereits im März haben wir über die politisch gewünschte Rückverlagerung der Pharmaproduktion nach Europa berichtet. Seit Juli beschäftigt sich der Beirat des Bundesinstituts für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) mit dem Thema „Lieferengpässe“. Gemäß Auftrag des Bundesgesundheitsministeriums werden besonders relevante Wirkstoffe definiert, die perspektivisch wieder in die EU zurückgeholt werden sollen. Als relevant gelten API, die für die Sicherstellung der Notfallversorgung, des Operationsbetriebs und der intensivmedizinischen Versorgung erforderlich sind. Der Beirat orientiert sich an der Verordnung zur Erhöhung der Bevorratung mit Arzneimitteln zur intensivmedizinischen Versorgung und definiert mit der zusätzlichen Aufnahme von Dexamethason aktuell 15 Wirkstoffe. Diese werden überwiegend in Kliniken eingesetzt.
Auch die EU hat die Dringlichkeit der Lage erkannt und wird das Thema in der europäischen Pharma-Strategie berücksichtigen, die noch 2020 veröffentlicht werden soll. Dieses Dokument könnte die Weichen für staatliche Fördermaßnahmen stellen.
Claudia Klein ist Prokuristin in der Industriegruppe Healthcare, Pharma & Chemicals der IKB. Sie ist involviert in Finanzierungs- und Corporate Finance-Transaktionen der Bank. Neben dem Master of Science an der FOM Hochschule für Oekonomie & Management hat sie ihre ersten fünf Berufsjahre bei einer Sparkasse und in einer Unternehmensberatung absolviert, bevor sie 2019 zur IKB stieß.
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