[Kapitalmarkt-News vom 01. März 2023]
Fazit: Langfristige Erwartungen einer höheren Inflation haben zuletzt Auftrieb erhalten. Dafür verantwortlich sind neben klimapolitischen Notwendigkeiten und demografischem Wandel auch Zweifel an der Handlungsfähigkeit und -bereitschaft der EZB angesichts hoher Schuldenquoten der Euro-Länder. Doch gerade diese benötigen deutliche Zinsanstiege am kurzen Ende. Denn bei einer höheren langfristigen Inflation steigen die Inflationsprämien und damit der reale Zinssatz, was die Schuldentragfähigkeit belastet.
Eine höhere Inflation und eine Notenbank, die nicht rigoros ihr Inflationsziel verfolgt, führen zu höheren und nicht zu niedrigeren Zinsen, da mit steigender Inflation auch die Volatilität zunimmt. Erwartungen, die Inflation könnte mittelfristig über dem Inflationsziel liegen, sind wenig schlüssig. Denn statt der Inflation werden am Ende die EZB-Zinssätze höher ausfallen.
Der deutliche Inflationsanstieg in der Euro-Zone, der mit einer zu Anfang eher zögerlichen Reaktion der EZB einhergeht, hat unterschiedliche Vermutungen über die Motivation der Notenbank aufkommen lassen. Da war zum einen die Sorge, die EZB könne deutliche Zinserhöhungen vermeiden, um die Schuldentragfähigkeit einiger Euro-Staaten nicht zu gefährden. Zum anderen wurde vermutet, die Inflation könne gewollt sein, um die Schuldenquoten in den Griff zu bekommen. Beides hat dazu geführt, dass nun die langfristigen Inflationserwartungen über dem Inflationsziel liegen. Auftrieb erhielten die Inflationserwartungen zudem durch die Klimapolitik und den demografischen Wandel, die beide zu einer langfristig höheren Inflation führen könnten. Diese Einschätzungen beruhen auf der impliziten Annahme einer passiven Geldpolitik, die dem Inflationsdruck nicht ausreichend entgegentreten wird. Denn letztlich beinhaltet eine Inflationsprognose immer eine Einschätzung der zukünftigen Geldpolitik und deren Bereitschaft, das für ein Gleichgewicht in der Wirtschaft notwendige Zinsniveau sicherzustellen.
Seit Dezember 2022 scheinen sich Sorgen, die EZB wolle oder könne die Zinsen nicht deutlich anheben, etwas gelegt zu haben. Schließlich hat sie endlich unmissverständliche Worte gefunden. Die Märkte gehen nun von höheren kurzfristigen Zinsen aus. Der erwartete Höhepunkt der Zinsen entspricht dabei aber weiterhin einem eher niedrigen Zinsniveau, denn ein Einlagenzinssatz zwischen 3,5 und 4,0 % ist angesichts der aktuellen Inflationsentwicklung sowie einer langfristigen Inflationsrate von 2 % sicherlich nicht als außerordentlich hoch zu bezeichnen. Zu berücksichtigen ist allerdings, dass sich aufgrund der hohen Verschuldung der Einflussgrad der Zinspolitik erhöht hat – zumindest was den Privatsektor betrifft. Für den Staatssektor scheint dies jedoch noch nicht der Fall zu sein.
Die EZB betont ihr datengetriebenes Handeln. Ist die Geldpolitik nicht restriktiv genug, will sie nachlegen. Dabei wird insbesondere die Fiskalpolitik eine entscheidende Rolle spielen, wie hoch die EZB die Zinsen anheben muss, denn die Stützungspolitik der Staaten hat das Potenzial, den Einfluss geldpolitischer Anstrengungen zu verwässern.
Doch wie weit kann die Fiskalpolitik gehen, bevor Probleme mit der Schuldentragfähigkeit sie einholen? Hier scheinen gewisse Bedenken angebracht, und zwar nicht, weil die Fiskalpolitik an ihre Grenzen kommt, sondern weil es keine bindenden Grenzen mehr gibt. Die Maastricht Kriterien – zumindest was die Schuldenquote angeht – stellen keine relevante Steuerungsgröße mehr dar. Dies gilt zumindest für Länder, deren Quote über 100 % des BIP liegt. Zeitspanne und Voraussetzungen, die für eine Rückkehr auf 60 % nötig wären, sind einfach nicht greifbar genug, vor allem in Demokratien. Viele Schuldenquoten sind mittlerweile zu weit vom Zielwert entfernt, als dass sie noch irgendeine Bedeutung hätten. Des Weiteren hat die Vergabe von EU-Anleihen neue potenzielle Finanzmittel geschaffen; die Schulden trägt die EU als Ganzes. Solange eine wirtschaftliche Herausforderung als Krise eingestuft wird, scheint es für die Euro-Staaten legitim zu sein, sich mit EU-Anleihen zu finanzieren. Außerdem bekämpft die EZB im Umfeld deutlicher Zinsanstiege am kurzen Ende Spread-Ausweitungen am langen Ende, wenn erforderlich. Dadurch ist es höchst unwahrscheinlich geworden, dass Euro-Länder Refinanzierungsprobleme bekommen. Spreads haben damit aber auch jeglichen Informationsgehalt zur Finanzierbarkeit von Staaten verloren, und sie lassen nicht mehr erkennen, wie solide deren Finanzpolitik ist. Die Spreads sollen vielmehr die Homogenität des europäischen Finanzmarktplatzes spiegeln, auch wenn diese infolge eines ineffektiven Rahmenwerks immer weiter abnimmt.
Auf der einen Seite ist es in Krisenzeiten wünschenswert, dass Notenbanken unkonventionelle Wege gehen, um die Handlungsfähigkeit des Staates aufrecht zu erhalten – schließlich ist dies ein Grund, warum es sie gibt. Doch in Europa unterbinden wir weit über Krisen hinaus disziplinierende Marktkräfte. So haben die Euro-Staaten aktuell weder den Markt noch Brüssel zu fürchten. Es gibt aktuell keinen effektiv bindenden Rahmen, der die Fiskalpolitik in ihre Schranken weisen könnte. Dies verwässert die Effektivität der Geldpolitik und kann zu Zinsen führen, die höher sind, als notwendig wäre. Damit ergeben sich folgende Fragen: Kommt die EZB im Inflationskampf doch an ihre Grenzen? Ist eine höhere Inflation aufgrund struktureller Herausforderungen wie demografische Entwicklungen und Klimawandel unausweichlich? Ist eine höhere Inflation sogar die Lösung zur Schuldenstabilisierung, und kann sie drastische Zinsanhebungen verhindern? Die Antwort ist nein. Eine höhere Inflation kann und darf nicht als Kompromiss gesehen werden.
Zuerst ist festzuhalten, dass eine höhere Inflation nicht die Schuldentragfähigkeit von Staaten sichert. Im Gegenteil: Je höher die Inflationsrate ausfällt, desto volatiler ist sie. Infolge steigen die Inflationsprämien, und zwar nicht nur aufgrund der Inflationshöhe, sondern auch aufgrund der starken Volatilität. Dies bewirkt, dass der Realzinssatz steigt, denn Investoren und Gläubiger wollen eine positive reale Rendite erwirtschaften. Inflation ist also nur dann eine Lösung, wenn die Märkte von der hohen Inflation überrascht werden, was nur kurzfristig der Fall sein kann. Auf Dauer entstehen nachhaltige Schäden aufgrund von Vertrauensverlusten und steigenden Inflationsprämien. Eine höhere Inflation würde also die Schuldentragfähigkeit der Staaten eher belasten, als sie zu stützen, da steigende reale Zinsen bzw. Renditen die Folge sind.
Auch wird es kaum bei einem einmaligen Anstieg der Inflationsrate bleiben. Denn mit Zunahme der Volatilität ist die Basis für tendenziell steigende Inflationserwartungen geschaffen. Und weil die positiven Effekte für die Staatsfinanzierung nur kurzfristig und temporär sind, besteht ein Drang zu einer immer weiter ansteigenden Inflation. Der Gedanke, mit einer etwas höheren Teuerung könnten Volkswirtschaften höhere Zinsen erspart bleiben und dies sei womöglich ein pragmatischer Weg für die Euro-Zone im Vergleich zur rigorosen Einhaltung des Inflationsziels, ist deshalb ein Trugschluss. Letztlich müssen Zinsen immer kräftiger steigen, um die Inflation einzufangen. Eine Erfahrung, die auch die Fed Anfang der 80er Jahre machen musste. Nach vielen Jahren mit zu niedrigen Zinsen und einer tendenziell zunehmenden Teuerung blieb ihr nichts anderes übrig, als die Zinsen drastisch anzuheben, um die Inflation entscheidend und nachhaltig zu senken.
In den letzten 35 Jahren sind die realen Renditen gesunken, auch weil die Märkte immer weniger eine Inflationsgefahr gesehen haben. Noch immer scheint dieses Vertrauen zu bestehen. Schließlich haben die Zinserhöhungen der EZB zu einer deutlichen Verflachung der Zinskurve geführt. Das heißt: Die Märkte glauben, die Zinsen und damit auch die Inflation werden langfristig wieder niedriger sein. Somit bleibt entscheidend, dass die EZB am kurzen Ende weiter die Zinsen anhebt, gerade damit das lange Ende nicht bedeutend ansteigt und die staatliche Schuldentragfähigkeit gesichert ist. Die IKB erwartet Mitte des Jahres 2023 einen Einlagenzinssatz zwischen 3,5 % und 4,0 %. Die langfristige Inflationsprognose für die Euro-Zone liegt bei 2 %.
Deutliche Zinserhöhungen der EZB stehen also in keinem Widerspruch zur Schuldentragfähigkeit der Euro-Staaten; vielmehr sichern sie diese durch fest verankerte Inflationserwartungen und relativ niedrige Kapitalmarktrenditen. Hohe Zinsen verursachen allerdings auch eine Ausweitung der Risikoprämien. Denn sie erhöhen aufgrund ihres Einflusses auf die Realwirtschaft das Ausfallrisiko. Und auch Risikoprämien von Staaten dürften dann zulegen. Eine nachhaltige Reduzierung der Schuldenquote benötigt Wirtschaftswachstum. Hohe Zinsen und daraus resultierende Rezessionsrisiken bzw. ausweitende Defizite lassen hingegen Schuldenquoten ansteigen, was die Bonitäten der Staaten unter Druck setzt. Doch mit einer Rezession sollte auch die Inflation zurückgehen, was erneut Raum für sinkende Renditen schafft. Zudem kann die EZB durch ihr TPI-Programm gegen kurzfristige Spread-Ausweitungen vorgehen.
Zusammenfassung:
Je höher die Inflation, desto volatiler ist sie. Auch ist eine hohe Inflation schwierig zu stabilisieren, da mit ihr Inflationserwartungen tendenziell zunehmen. Deshalb ist eine hohe Inflation keine Lösung für die Schuldentragfähigkeit, da sich Inflationsprämien ausweiten und damit reale Renditen steigen. Eine straffe Geldpolitik stützt somit eine nachhaltige Schuldentragfähigkeit, weil sie eine steile Zinskurve verhindert.
Die aktuell flache bzw. inverse Zinskurve bestätigt, dass Inflationserwartungen des Marktes weiterhin verankert sind. Notenbanken sind jedoch aktuell gefordert, das Vertrauen der letzten 30 Jahre nicht zu verspielen und eine flache oder sogar inverse Zinskurve durch Zinserhöhungen am kurzen Ende weiter zu forcieren.
Die Fiskalpolitik in der Euro-Zone verwässert aufgrund mangelnder fiskalischer Vorgaben die Geldpolitik, nicht zuletzt, weil die disziplinierende Wirkung des Marktes ausgeschaltet ist. Zusammen mit weiteren strukturellen Herausforderungen wie demografische Entwicklung und Klimapolitik erfordert dies einen höheren langfristigen Gleichgewichtszinssatz der Notenbank. Deshalb wird die Inflation langfristig durch das Inflationsziel von 2 % definiert. So wird nicht die Inflation höher ausfallen, sondern die Zinssätze der EZB werden mittelfristig höher liegen.
Dr. Klaus Bauknecht ist als Chefvolkswirt der IKB Deutsche Industriebank AG verantwortlich für die volkswirtschaftlichen Analysen, Prognosen und Einschätzungen der Bank. Er schreibt zu aktuellen und übergeordneten Konjunktur-, Volkswirtschafts- und Marktthemen. Zudem kommentiert er regelmäßig konjunkturelle Entwicklungen in renommierten Wirtschaftsmedien und ist mit seinen pointierten Präsentationen häufiger Gast bei Verbänden und Unternehmen. Zuvor arbeitete Klaus Bauknecht in verschiedenen leitenden Positionen anderer Banken und im südafrikanischen Finanzministerium.
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