[Kapitalmarkt-News vom 9. Juni 2023]
Fazit: Das Wachstum der preisbereinigten Geldmenge geht nun schon länger zurück und wird durch die Geldpolitik weiter belastet. So ist über die nächsten Quartale sogar mit einem absoluten Rückgang der Geldmenge zu rechnen – mit Folgen für die Realwirtschaft. Denn die Geldmengenentwicklung ist ein Frühindikator für die Konjunktur. Sie belastet zunehmend das BIP-Wachstum in der Euro-Zone, eine Rezession Ende 2023 wird immer wahrscheinlicher.
Die IKB erwartet für dieses und das kommende Jahr ein BIP-Wachstum in der Euro-Zone von deutlich unter 1 %; dementsprechend sollte die durchschnittliche Inflationsrate im nächsten Jahr auf unter 2,5 % fallen.
Die Zinsanstiege der EZB haben bzw. werden für einen weiteren Rückgang der Kreditvergabe führen. Die Risikostandards der Banken sind deutlichen gestiegen, während die Zinslast die Nachfrage nach Krediten dämpft. Das überrascht nicht, wirft aber die Frage auf, was eine rückläufige Kreditvergabe für die Realwirtschaft bedeutet. Generell ist eine dämpfende Wirkung zu erwarten, gehen die rückläufigen Kredite doch mit reduzierten Konsum- und Investitionsausgaben einher. Ein direkter Vergleich des Geldmengenwachstums mit Größen wie Inflation oder BIP-Wachstum gestaltet sich jedoch schwierig. Die Problematik liegt in der instabilen Umlaufgeschwindigkeit, die eine stabile Beziehung zwischen Geldmengenwachstum und Inflation oder BIP-Wachstum nicht sicherstellen kann. Sinkt etwa die Geldmenge, aber die Umlaufgeschwindigkeit steigt zum Beispiel in Folge von Spareinlagen, die nun für Ausgaben herangezogen werden, so mag der Einfluss eines Rückgangs der Geldmenge durch eine geldpolitische Straffung auf Inflation bzw. Wachstum weniger ausgeprägt sein. Auch ist unklar, welche Geldmenge benutzt werden sollte. Die breite Geldmenge wie M3 oder nur frei verfügbares Geld wie Bargeld und Tageskonten. Da frei verfügbare Einlagen unmittelbar für Konsum herangezogen werden können, steht oftmals die Entwicklung von M1 im Fokus.
Im Fokus steht die Gleichung, dass die gesamte reale Geldmenge (M/P), multipliziert mit der Umlaufgeschwindigkeit (v), dem realen BIP (Y) entspricht. Wie oben erwähnt, liegt das Problem bei der Instabilität von v. Auch sagt diese Gleichung nichts über Kausalität aus. Ist es die Geldmenge, die das BIP-Wachstum bestimmt oder ist es das BIP-Wachstum, das die Geldmenge treibt. In der Volkswirtschaftslehre gibt es hierzu unterschiedliche Meinungen von Monetaristen und Post-Keynesianer.
(M/P)*v=Y
Aktuell sinkt die preisbereinigte Geldmenge in der Euro-Zone. Dies ist sowohl auf die hohe Inflation, aber auch auf eine sinkende Kreditvergabe zurückzuführen. Was bedeutet dies für die Realwirtschaft? Ist es ein klares Indiz für eine Rezession oder sollte die Geldmengenentwicklung in der Hoffnung auf eine steigende Umlaufgeschwindigkeit nicht weiter beachtet werden?
Auch wenn Aufholeffekte beim privaten Konsum vielleicht die Sparquote unter Druck setzen könnten, so deuten Stimmungsindikatoren doch auf eine zunehmende Zurückhaltung und damit eher auf eine eher stabile als steigenden Umlaufgeschwindigkeit hin – zumindest was den Privatsektor angeht. Im Falle Deutschlands (siehe unten) ist das auch daran zu erkennen, dass Haushalte mehr und mehr ihre Einlagen in Festgeld umschichten, und somit ihre frei verfügbare Liquidität reduzieren.
Trotz all der theoretischen Unsicherheit in der Beziehung zwischen BIP-Wachstum und realer Geldmenge scheinen die Daten der Euro-Zone dennoch ein paar belastbare Aussagen zuzulassen. Diese bestätigt u.a. ein VAR-Modell. Grundsätzlich gilt: Geldmengenentwicklung ist von Bedeutung und der Rückgang in der realen Geldmenge signalisiert eine klare Abkühlung der Wirtschaft. Im Detail:
- Das Wachstum der realen Geldmenge reagiert vor einer Veränderung des BIP-Wachstums. Dies ist nicht überraschend, hat die Notenbank doch durch ihre Zinsen einen direkten Einfluss auf die Geldmenge, aber nur einen indirekten auf das BIP. Eine Veränderung im realen Geldmengenwachstum ist also ein Frühindikator für die BIP-Entwicklung.
- Die Beziehung ist eindeutig positiv. Sinkt das reale Geldmengenwachstum, so wirkt sich das negativ auf das BIP-Wachstum aus. Schätzungen deuten darauf hin, dass das BIP-Wachstum um rund 0,1 Prozentpunkte zurückgeht, wenn das reale Geldmengenwachstum um 1 Prozentpunkt sinkt. Der Rückgang des realen Geldmengenwachstums um fast 10 % auf aktuell unter 0 % sollte also das BIP-Wachstum in der Euro-Zone um rund einen Prozentpunkt dämpfen. Bei einem durchschnittlichen Wachstum in der Euro-Zone von rund 1 % in den letzten 10 Jahren ein bedeutender Einfluss. Auch wird das Geldmengenwachstum trotz rückläufiger Inflation in Folge der Zinspolitik weiter unter Druck bleiben.
- Das von der IKB geschätzte VAR-Modell prognostiziert anhand der aktuellen BIP- und Geldmengendynamik eine Rezession für die Euro-Zone Ende 2023/Anfang 2024. Die IKB erwartet deshalb, dass die EZB in der kommenden Woche ihren Konjunkturausblick nach unten revidiert.
Diskurs: Einlagen von deutschen Haushalten reagieren auf Zinsanstieg
Die Zinsanstiege haben zu einer Umschichtung der Einlagen deutscher Haushalte geführt. Einlagen mit einer längeren Laufzeit haben deutlich zugenommen, während Tagesgeld rückläufig ist. So reagieren Haushalte auf die relative Zinsentwicklung durch erhöhte Nachfrage nach Festgeld. Bei einer nachlassenden Inflation und attraktiven Zinssätzen selbst für Festgeld für 1 Jahr ist davon auszugehen, dass dieser Trend anhält. Aus geldpolitischer Sicht ist dies wünschenswert.
Haushalte zeigen durch die steigenden Zinsen eine höhere Bereitschaft zum Sparen und Schichten dementsprechend ihre Einlagen um. Die Haushalte sind also bereit, in Folge steigender Zinsen ihr frei verfügbares Vermögen und damit die kurzfristige Konsumneigung zu reduzieren. Die Geldpolitk beeinflusst folglich nicht nur die Entwicklung von Kreditvergabe und gesamter Geldmenge, sondern auch das Einlagenverhalten. Allerdings ist der Bestand an Tagesgeld um ein Vielfaches höher als beim Festgeld.
Dr. Klaus Bauknecht ist als Chefvolkswirt der IKB Deutsche Industriebank AG verantwortlich für die volkswirtschaftlichen Analysen, Prognosen und Einschätzungen der Bank. Er schreibt zu aktuellen und übergeordneten Konjunktur-, Volkswirtschafts- und Marktthemen. Zudem kommentiert er regelmäßig konjunkturelle Entwicklungen in renommierten Wirtschaftsmedien und ist mit seinen pointierten Präsentationen häufiger Gast bei Verbänden und Unternehmen. Zuvor arbeitete Klaus Bauknecht in verschiedenen leitenden Positionen anderer Banken und im südafrikanischen Finanzministerium.
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