[Kapitalmarkt-News vom 16. August 2024]
Fazit: Nachrichten über die schrumpfende Beschäftigtenentwicklung im Verarbeitenden Gewerbe werden als negativ für den Standort Deutschland gesehen, entweder weil es auf eine schwache Konjunktur (Nachfrage) oder auf Fachkräftemangel (Angebot) hinweist. Doch der Industriestandort Deutschland reagiert schon länger auf die Herausforderungen. So blieb trotz eines Abbaus von Arbeitsstunden die Wertschöpfung seit der Pandemie stabil, was für Produktivitätssteigerungen spricht. Entscheidend bleibt jedoch ein spürbarer Investitionsschub, der Kapazitäten ausweitet, die Produktivität weiter verbessert und so das Potenzialwachstum der Industrie stabilisiert.
Anzahl der Beschäftigten unter Druck, …
Über viele Jahre war die Beschäftigungsentwicklung im Verarbeitenden Gewerbe nur aufwärtsgerichtet. Und auch die Arbeitslosenquote ist in Deutschland mit 6,0 % weiterhin auf einem niedrigen Niveau. Bei einer nun schon seit über zwei Jahren stagnierenden Wirtschaft ist der Arbeitsmarkt doch überraschend robust. Der Tiefpunkt der Arbeitslosenquote wurde bisher nur um 0,5 Prozentpunkte überschritten. Dabei hat die starke Nachfrage nach Fachkräften im Dienstleistungssektor sicherlich eine entscheidende Rolle gespielt. Und auch die Industrie beklagt nach wie vor den Mangel an Fachkräften. Doch aktuell droht ein zunehmender Stellenabbau – vor allem im Verarbeitenden Gewerbe. Sind diese Ankündigungen des Stellenabbaus nur Einzelfälle, und viele Unternehmen versuchen aufgrund des Fachkräftemangels, ihre Belegschaft trotz schwacher Nachfrage zu halten? Oder drohen infolge fehlender Aufträge und steigender Kosten zunehmende Entlassungen?
Schon seit Längerem hat die globale Nachfrage einen immer geringeren positiven Einfluss auf den Produktionsstandort Deutschland. Deutschland entkoppelt sich zunehmend von der globalen Konjunktur (siehe Verarbeitendes Gewerbe: Globale Erholung wird nur kurzfristige Aufhellung bringen (ikb-blog.de)). So muss laut IKB-Schätzung die globale Industrieproduktion um 4 % pro Jahr wachsen, damit das Produktionsniveau am Standort Deutschland stabil bleibt. Globale Spezialisierung und daraus resultierende Produktionsverlagerungen haben aufgrund des hohen Kostendrucks, ungünstiger Rahmenbedingungen, aber auch fehlender Fachkräfte das Produktionspotenzial am Standort Deutschland belastet. Und eine kurzfristige spürbare Entlastung ist weder von der Konjunktur noch von der Politik zu erwarten. Im Gegenteil, es droht ein weiterer Produktionsrückgang. So haben energieintensive Branchen – allen voran die Chemieindustrie – einen strukturellen Einbruch ihrer Produktion erlebt.
… doch dies ist nichts Neues
Die Skepsis über den Standort zeigt sich auch in der mangelnden Investitionsbereitschaft, die weiterhin nicht ausreichend ist für die angestrebte Transformation, und in der zunehmenden Abwanderung der Unternehmen. Fehlende Nachfrageimpulse sowie eine zögerliche und sogar rückläufige Ausrüstungsinvestitionen lassen vermuten, dass das Halten von Fachkräften für die Industrie immer schwieriger werden könnte. Am aktuellen Rand ist bereits ein Rückgang der Beschäftigtenzahl zu erkennen. Im April und Mai dieses Jahres ist die Anzahl der Erwerbstätigen um etwa 10.000 pro Monat zurückgegangen, eine Entwicklung, die infolge der Konjunktur kurzfristig anhalten könnte. Abb. 1 zeigt, dass die Unternehmen des Verarbeitenden Gewerbes bereits nach der Pandemie eine Anpassung ihrer Beschäftigten vorgenommen haben, indem der Stellenaufbau eher zögerlich verlaufen ist. Dieser mag gewollt oder durch fehlende Fachkräfte nach der Pandemie auch forciert worden sein. Empirische Analysen zeigen nicht klar, ob die Beschäftigungsentwicklung die Folge oder der Grund einer schwachen Produktionsentwicklung ist.
Stabile Wertschöpfung trotz weniger Arbeitsstunden
Aktuell sind 1,4 % weniger Menschen im Verarbeitenden Gewerbe beschäftigt als noch im Jahr 2018, und dies bei einer fast konstanten Wertschöpfung. Denn im Vergleich zur Produktion ist die Wertschöpfung eher stabil geblieben und hat so die Lohnkosten gedämpft bzw. die Anzahl der Erwerbstätigen gestützt. Die Wertschöpfung am Standort Deutschland stagniert zwar bzw. geht seit 2018 ebenfalls tendenziell leicht zurück. Das Ausmaß ist allerdings um einiges weniger stark ausgeprägt als für die Produktion. Dennoch bleibt das Bild dramatisch. Die Wertschöpfung am Standort Deutschland stagniert seit sieben Jahren.
Wie die Erwerbstätigenzahl sind auch die Arbeitsstunden pro Arbeitnehmer im Vergleich zur Vor-Pandemie auf einem niedrigeren Niveau. Weniger Menschen arbeiten zudem weniger Stunden, und die gesamte Anzahl der Arbeitsstunden ist demnach geringer. Da die Wertschöpfung jedoch stabil geblieben ist, deutet dies auf einen gewissen Produktivitätsanstieg hin bzw. weniger Druck auf Lohnstückkosten. Denn die Wertschöpfung je Arbeitsstunde ist auf einem hohen, wenn auch stagnierenden Niveau. Noch nie war die Wertschöpfung pro Arbeitsstunde so hoch wie nach der Pandemie. Somit zeigen sich aktuell aufgrund der Sorge um Fachkräfte keine Anzeichen für eine Überbesetzung oder Überbeschäftigung von Arbeitskräften – es sei denn, der Rückgang der Wertschöpfung wird sich spürbar ausweiten.
Ausblick und Einschätzung
Im Mai 2024 arbeiteten über 7 % weniger Menschen in der Automobilindustrie als noch 2018/19. In der Chemieindustrie hat der Beschäftigungsabbau 2022 mit Anziehen der Energiepreise eingesetzt, er dürfte sich fortsetzen. Und selbst in der Elektroindustrie zeigt sich seit Ende 2023 ein klarer negativer Trend. Ähnliches ist vom Maschinenbau zu berichten, wenn auch etwas abgeschwächt. Diese Entwicklung sollte sich auch für das gesamte Verarbeitende Gewerbe kurzfristig fortsetzen, vor allem wenn Konjunkturimpulse weiterhin ausbleiben. Die hohe Wertschöpfung pro Arbeitsstunde deutet aber auf keinen markanten Stellenabbau hin. Denn zum einen gab es bereits eine Korrektur nach der Pandemie und zum anderen befindet sich die Produktivität auf einem hohen Niveau.
Eine stagnierende Wertschöpfung kann auf ein Angebotshemmnisse aufgrund fehlender Fachkräfte zurückzuführen sein. Die Frage wäre dann vor allem, wie weit die Wertschöpfung infolge des Fachkräftemangels noch zurückgehen wird. Die letzten Jahre haben jedoch gezeigt, dass trotz zurückgehender Arbeitsstunden die Wertschöpfung stabil geblieben ist. Produktivitätssteigerungen konnten also fehlende Fachkräfte bzw. eine geringere Beschäftigtenzahl zumindest dahingehend kompensieren, dass die Wertschöpfung seit der Pandemie stabil geblieben ist. Für eine weitere Produktivitätsverbesserung wird das Investitionsverhalten des Verarbeitenden Gewerbes eine entscheidende Rolle spielen.
Mit einem Stellenabbau könnten Kapazitäten abgebaut werden, wenn Arbeitskräfte nicht freigesetzt werden, sondern in Rente gehen. Die Arbeitslosenquote würde infolge nicht entscheidend steigen, da das Arbeitsangebot schrumpft. So besteht die Gefahr, dass ein durch die Konjunktur induzierter Stellenabbau am Standort Deutschland das Potenzialwachstum belasten wird. Es gilt deshalb nochmals zu betonen, dass die Konjunkturentwicklung sehr wohl langfristige Folgen für das Wachstum hat (siehe auch Konjunkturerholung: Verschnaufpause oder erhöhter Handlungsdruck? (ikb-blog.de)).
Dr. Klaus Bauknecht ist als Chefvolkswirt der IKB Deutsche Industriebank AG verantwortlich für die volkswirtschaftlichen Analysen, Prognosen und Einschätzungen der Bank. Er schreibt zu aktuellen und übergeordneten Konjunktur-, Volkswirtschafts- und Marktthemen. Zudem kommentiert er regelmäßig konjunkturelle Entwicklungen in renommierten Wirtschaftsmedien und ist mit seinen pointierten Präsentationen häufiger Gast bei Verbänden und Unternehmen. Zuvor arbeitete Klaus Bauknecht in verschiedenen leitenden Positionen anderer Banken und im südafrikanischen Finanzministerium.
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